Technik

Kartografie der Mobilfunk-Sicherheit

CISPA Helmholtz Center for Information Security

Als Mobilfunkforscher ist man in gewisser Weise Gefangener seiner geografischen Position“, sagt CISPA-Forscher Dr. Adrian Dabrowski. Was er damit meint ist, dass Mobilfunkforschende wegen der großen Zahl von Anbietern und Netzen bislang nur mit großem Aufwand Tests in ausländischen Mobilfunknetzen vornehmen können. Zusammen mit Gabriel Gegenhuber von der University Vienna und weiteren Kollegen hat Dabrowski deshalb MOBILEATLAS entwickelt, eine Infrastruktur, die die Testung quer durch Europa erlaubt – egal von wo aus.

2G, 3G, 4G, 5G – Was sich anhört wie die Ziehung beim Bingo bezeichnet die aktuell verwendeten Mobilfunkstandards. Der jüngste Standard der 5. Generation – dafür stehen all die Gs – ist noch im Aufbau. Der älteste, 2G, wurde schon in den 1990er-Jahren Jahren eingeführt und ist noch immer in Verwendung. „2G wird vor allem für Sprachübertragung oder für einfache smarte Geräte verwendet; etwa ein Getränkeautomat, der anzeigt, dass er nachgefüllt werden muss“, erklärt Dabrowski. Das darauffolgende 3G wurde 2021 in Deutschland abgeschaltet und durch 4G, auch LTE genannt, ersetzt. Mit 4G lassen sich unterwegs auch zum Beispiel Streamingdienste nutzen oder Videotelefonie durchführen. Mittlerweile gelten diese Mobilfunkstandards, die nebeneinander existieren, weltweit. Durch das sogenannte Roaming sollen Mobilfunkkunden auch im Ausland die mit ihrem Mobilfunkanbieter vereinbarten Services nutzen können und den versprochenen Sicherheits- und Privatsphäreschutz genießen. Sollen.

Ist das „Roam-Like-At-Home-Prinzip“ ein leeres Versprechen?

Die Rede ist hier vom sogenannten Roam-Like-At-Home-Prinzip, das EU-Bürger in der 2022 neugefassten EU- Roamingverordnung versprochen wird. Die Bundesnetzagentur schreibt dazu: „Durch die Neufassung der Roaming-Verordnung gilt auf Reisen in der EU nicht nur der gleiche Preis wie zuhause, sondern auch grundsätzlich die gleiche Qualität.“ Dabrowski bezweifelt, dass dieses Versprechen eingehalten werden kann. „Beim Roaming arbeiten das Heimatnetzwerk und das Netzwerk des Landes, in dem ich zu Gast bin, zusammen. Sie wollen einen Service anbieten, der auch hinsichtlich Privatsphäre und Sicherheit so konsistent ist wie der im Heimatnetz. Die technische Umsetzung ist dabei aber komplett verschieden.“ So werde zum Beispiel bei einem Urlaub in der Schweiz die Telefonieverbindung direkt übers Schweizer Netz hergestellt, während die Internetverbindung den Umweg über Deutschland nehme. Im Heimnetzwerk ginge beides den direkten Weg. „Wenn man genau hinschaut gibt es keine Konsistenz zwischen Roaming- und Nicht-Roaming-Verbindungen“, erklärt der Forscher. Die Mobilfunkanbieter hätten extrem viel Gestaltungsspielraum und seien bislang kaum zu kontrollieren. Das gilt laut Dabrowski auch hinsichtlich der Sicherheit der Netze.

Grenzüberschreitende Tests bislang kaum möglich

Das Problem: Bislang sind Tests und Messungen über die Grenzen hinweg extrem aufwendig. „Europa ist extrem zersplittert. In jedem Land gibt es viele Mobilfunkanbieter. Deutschland ist mit seinen nur drei Anbietern die Ausnahme. Wenn ich feststelle, dass in einem unserer inländischen Mobilfunknetze eine Sicherheitslücke ist und prüfen will, ob das in anderen Netzen auch der Fall ist, hab‘ ich derzeit zwei Möglichkeiten: Entweder ich reise viel herum und teste jedes Netz in jedem Land in jeder Konstellation oder ich statte in jedem Land möglichst viele Geräte mit möglichst vielen verschiedenen SIM-Karten von unterschiedlichen Anbietern aus. In kürzester Zeit habe ich so 1000 SIM-Karten, 1000 Verträge und eine Privatinsolvenz.“

„Entkoppelte Messungen“ sind die Lösung

Die Lösung könnte ein von den Forschenden entwickeltes Framework sein, das die geografische Trennung der SIM-Karte vom Mobilfunkmodem erlaubt. Das Modem ist eine Komponente in mobilen Endgeräten wie etwa Smartphones, das die Verbindung zwischen den Geräten und einem Mobilfunknetz herstellt. Seine Aufgabe ist es, die Funkdaten in die richtige Form zu bringen und an die Sendemasten senden und von dort zu empfangen. Die SIM-Karte dient zur Identifikation der Nutzer:innen und ordnet das Smartphone einem bestimmten Netz zu. Dabrowski erklärt, was das alles mit seinem Framework zu tun hat: „Normalerweise sind SIM-Karte und Telefon eine Einheit. Wir trennen diese Einheit auf und entfernen die SIM-Karte aus dem Telefon. Wir simulieren das Kommunikationsprotokoll übers Internet und können so quasi virtuell reisen. Nochmal einfacher an einem Beispiel erklärt: Wir verbinden einmal die SIM-Karte mit unserer Messstation in Deutschland und können so tun, als wären wir in Deutschland. Dann trennen wir sie und verbinden sie zu unserer Messstation in Frankreich und können so tun als seien wir da. Wir brauchen dafür nur noch ein Endgerät in Deutschland oder eben in Frankreich.“

Kostengünstig und Open Source

Die daraus resultierende Mess- und Testplattform, die für die Standards 2G bis 4G funktioniert, bietet laut Dabrowski eine kontrollierte Experimentierumgebung die erweiterbar und kostengünstig ist. „Zudem ist unser Ansatz Open Source, sodass andere Forscher Standorte, SIM-Karten und Messskripte dazu beitragen können.“ Die Forschenden machen die Plattform unter dem Namen MobileAtlas zugänglich und nutzbar. Das Tool dürfte dabei nicht nur für Wissenschaftler interessant sein. „Mobilfunkanbieter könnten damit auch erstmals prüfen, ob ihre Roamingpartner ihre Versprechen halten.“ Der Name Mobile Atlas kommt dabei nicht von Ungefähr. Er wurde laut Dabrowski abgeleitet vom Namen der seit 2010 existierenden Internet-Testplattform RIPEATLAS. „RIPE NCC ist die Europäische Internetverwaltung. Der RIPE Atlas ist ein globales Netz von Messgeräten, die die Konnektivität und Erreichbarkeit des Internets messen.“

Die Grenzen der Grenzenlosigkeit

Mit dem MOBILEATLAS gibt es bislang in zehn Ländern Messstationen und die für die Messungen geeignete Infrastruktur. Dabrowski hofft, dass sich das Messnetzwerk durch die Hilfe anderer Forschender schnell vergrößert. „Allerdings werden wir auch schauen müssen, dass kein Unfug mit den SIM-Karten getrieben wird, damit uns keine Kosten entstehen. Ob wir MOBILEATLAS so umfänglich anbieten können wie RIPE NCC ihre Plattform muss sich noch zeigen. Dass sich mit ihrem Ansatz interessante Informationen zu Tage fördern lassen, haben Dabrowski und seine Kollegen bewiesen: „Wir haben zum Beispiel entdeckt, dass sich in einigen Mobilfunknetzen bestimmte Dienste so tarnen lassen, dass der dafür anfallende Datenverkehr nicht vom im Tarif enthaltenen Datenvolumen abgezogen wird. Für Endnutzer schlimmer sind allerdings die Sicherheitsproblematiken, die wir ebenfalls nachweisen konnten. So haben wir zum Teil problematische Firewall-Konfigurationen gefunden oder versteckte SIM-Kartenkommunikation mit dem Heimnetzwerk aufgedeckt.“ Allzu beunruhigend sind die Befunde dabei nicht. Eine Ausnutzung dieser Probleme würde sehr gezielte Angriffe und versierte Angreifer voraussetzen. „Aber solche Lücken sind nie gut. Und jetzt haben wir die Möglichkeit, die Anbieter darauf hinzuweisen.

Quelle: CISPA Helmholtz Center for Information Security

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