Ellen Oldenburg und Ovidiu Popa von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf (HHU) sind nun seit rund einem Jahr wieder zurück in Deutschland und werten im Labor die Proben aus, die sie im Nordpolarmeer gesammelt haben. Dafür analysieren sie das genetische Material, das sich darin befindet, und schließen so auf die verschiedenen Mikroorganismen, die am Fundort leben. In Kombination mit ozeanografischen Daten wie Salzgehalt und Temperatur können sie außerdem herausfinden, welche Faktoren die Mikroben-Zusammensetzung beeinflussen und wie diese zukünftig aussehen könnte.
Blick in die Arktis der Zukunft
Noch sind die Auswertungen von Oldenburgs und Popas Forschungsreise nicht ganz abgeschlossen, weshalb sie noch keine finalen Ergebnisse mitteilen können. In der Zwischenzeit haben die beiden Düsseldorfer Biologen aber auch noch mit anderen Forschungsteams zusammengearbeitet und Proben der Vorjahre entschlüsselt. Dabei herausgekommen sind die aktuellsten verfügbaren Erkenntnisse zum Mikrobenleben in der Framstraße – dem Seeweg, in dem Atlantik und Arktis ineinander fließen.
Zusammen mit Forschenden um Taylor Priest vom Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie in Bremen haben Oldenburg und Popa zum Beispiel herausgefunden, welchen Einfluss das einströmende atlantische Wasser auf die Bakteriengemeinschaften der Arktis hat. Dafür werteten sie die Daten von mehreren Remote Access Samplern (RAS) aus, die zwischen 2016 und 2020 in rein arktischem Wasser und in der Mischzone aus arktischem und atlantischem Wasser positioniert waren.
Jahreszeiten reizen Neuankömmlinge
Diese Mischzone ist besonders interessant, weil die dort herrschenden Bedingungen die zukünftigen eisfreien Sommer des Nordpolarmeeres widerspiegeln und so einen Blick in die Zukunft der Arktis erlauben. Und in dieser zukünftigen Arktis werden offenbar viele Bakterien leben, die aktuell noch nicht im hohen Norden vorkommen, wie Oldenburg und Popa zusammen mit Priests Team herausgefunden haben. Ihre Auswertungen zeigen, dass Gebiete, in die viel atlantisches Wasser strömt und auf deren Oberfläche nur wenig Meereis treibt, auch von Bakterien aus gemäßigten Zonen besiedelt werden.
Ihre Zusammensetzung ist allerdings jahreszeitenabhängig und durch die jährlichen Phytoplankton-Blüten bedingt. Gibt es viel Phytoplankton, gibt es auch viele an mildere Bedingungen angepasste Bakterien, die sich von der organischen Masse ernähren. Ist wieder weniger Phytoplankton verfügbar, dominieren Bakteriengemeinschaften mit anderen Nahrungsquellen.
Die RAS, die in rein arktischem Wasser stationiert waren, zeigen hingegen weiterhin typisch polare Bakteriengemeinschaften, die sich im Jahresverlauf kaum verändern und speziell an das Leben unter oder in der Eisscholle angepasst sind. Zum Beispiel können sie auch anorganische Verbindungen abbauen und sich davon ernähren. Sie sind also nicht auf Phytoplankton angewiesen.
Zwischen Verdrängung und Anpassung
Insgesamt deuten die Daten von Priest und seinen Kollegen aber trotzdem auf eine zunehmende „biologische Atlantisierung“ des Arktischen Ozeans hin, bei der Arten aus gemäßigten Zonen Schritt für Schritt die alteingesessenen arktischen Bakterien verdrängen werden. Vor allem jene Arten, die stark an ein Leben in und mit dem Eis angepasst sind, könnten künftig von Arten mit breiteren Anpassungen schlichtweg ersetzt werden, wie Oldenburg und Popa zusammen mit ihrem Team herausgefunden haben.
Die Forschungsgruppe sagt daher eine groß angelegte, klimabedingte Verschiebung der Arten und Lebensräume voraus. Jene Bakterien, die aktuell noch in den Randregionen des Nordpolarmeeres leben, werden wahrscheinlich immer mehr in dessen Zentrum vordringen und Arten aus dem Atlantik machen es sich zunächst in den Randregionen und später womöglich ebenfalls im Zentrum gemütlich.
Gleichzeitig könnten einige Arten auch neue Anpassungen entwickeln und sich dadurch weiterhin an ihrem bisherigen Lebensraum behaupten, doch das trifft eher auf Bakterien mit größeren ökologischen Nischen und höherer Konkurrenzfähigkeit zu. Nicht auf jene, deren Leben fest mit der Existenz von ganzjährigem Eis verwoben ist.