Geowissen

„Bodenheizung“ der Ostsee enträtselt

Warum sich die tiefen Schichten des Bornholmer Beckens schneller erwärmen als die oberen

Ostsee
Im Bornholmer Becken der Ostsee haben sich die tiefen Wasserschichten merkwürdigerweise schneller erwärmt als die oberen – aber warum?© NASA/JSC

Verkehrte Welt: Normalerweise heizen sich Ozeane von oben her auf, doch in der zentralen Ostsee ist es genau umgekehrt. Dort haben sich die tiefen Schichten schneller erwärmt als die Oberfläche. Die Ursache dieses ungewöhnlichen Trends haben nun Forschende in Warnemünde aufgeklärt. Verantwortlich ist demnach eine Verschiebung des Wassereinstroms aus der Nordsee: Winterliche Zuflüsse von kaltem Nordseewasser werden seltener, dafür sickert im Sommer vermehrt wärmeres Salzwasser in die Ostsee ein. Dieses sinkt ab und heizt den Grund des Bornholmer Beckens auf.

Der Klimawandel wirkt auch auf die Ozeane: Sie werden immer wärmer, sauerstoffärmer und saurer. In besonderem Maße gilt dies für die Ostsee. Weil sie flach und an fast allen Seiten von Land umschlossen ist, reagiert sie besonders sensibel auf die globale Erwärmung, Nährstoffeinträge und andere Störfaktoren. Als Folge nehmen Algenblüten, sommerliche Temperaturrekorde und die Sauerstoffzehrung am Meeresgrund zu. Schon jetzt ist die sauerstoffarme Todeszone am Grund der Ostsee eine der größten weltweit.

Ostsee
Lage des Bornholmer Beckens in der zentralen Ostsee.© HG: Copernicus Sentinel-3B/ EUMETSAT 2018, CC-by-sa 3.0 IGO

Ostsee erwärmt sich unten schneller als oben

Doch in den letzten Jahren haben Meeresforscher ein weiteres, überraschendes Phänomen in der Ostsee entdeckt: Während sich normalerweise die Meeresoberfläche durch den Kontakt mit der warmen Luft schneller und stärker erwärmt als die tiefen Wasserschichten, ist es in Teilen der Ostsee umgekehrt. Dies gilt vor allem für das 90 bis 100 Meter tiefe Bornholmer Becken östlich der Insel Bornholm. Dort haben sich die unterhalb der durchmischten Oberflächenschicht liegenden Wasseranteile schneller erwärmt als die Oberfläche.

Aber warum? Um dieser scheinbar paradoxen Entwicklung auf den Grund zu gehen, haben Leonie Barghorn und ihre Kollegen vom Leibniz-Institut für Ostseeforschung in Rostock das mögliche Geschehen in einem speziellen Ozeanmodell rekonstruiert. Ihr Verdacht: Die besondere Topografie des Ostsee-Grunds und der periodische Zufluss von salzigerem Nordseewasser könnte dabei eine Rolle spielen.

Barrieren am Meeresgrund

Hintergrund dieses Verdachts: Die Ostsee ist fast überall von Land umschlossen, daher kommt ein Großteil ihres Wassers aus den in sie mündenden Flüssen – das macht das Ostseewasser so brackig und salzarm. Zwar gibt es über das Kattegat eine Verbindung zur Nordsee, diese ist aber durch mehrere vom Meeresgrund aufragende Barrieren eingeschränkt. Dadurch können größere Mengen an frischem Nordseewasser nur unter bestimmten Bedingungen in die Ostsee einströmen.

„Solche sogenannten Major Baltic Inflows (MBIs) können nur dann passieren, wenn erst stetige, rund drei Wochen anhaltende Ostwinde Wasser aus der Ostsee hinausdrücken und dann Westwinde vergleichbarer Dauer salziges Wasser aus der Nordsee zurück über die Barrieren treiben“, erklären Barghorn und ihre Kollegen. Typischerweise geschieht dies vor allem durch starke Herbst- und Winterstürme, die dann im Schnitt einmal pro Jahr größere Mengen kaltes, salziges Nordseewasser in die Ostsee strömen lassen.

Veränderunden des Salzgehalts
Zunahme des Salzgehalts am Grund der westlichen Ostsee durch vermehrtes sommerliches Einsickern von salzigem Nordseewasser.© Barghorn et al., /Geophysical Research Letters , CC-by 4.0

Sommerliches Sickern

Doch zusätzlich zu diesem seltenen größeren Wasseraustauch sickern auch zu anderen Zeiten immer wieder kleinere Mengen an Nordseewasser in die Ostsee ein. Weil dieses Salzwasser eine höhere Dichte hat als das brackige Ostseewasser, sinkt es nach Überströmen der Meeresgrundbarrieren ab und sammelt sich vorwiegend am Grund der Ostseebecken. Das Nordseewasser, das auf diese Weise im Sommer oder Frühherbst in die Ostsee strömt, ist zudem deutlich wärmer als jenes, das über winterliche Einströme eindringt.

An diesem Punkt setzt die Modellstudie von Barghorn und ihren Kollegen an: Sie wollten wissen, ob sich diese beiden Formen des Wassereinstroms in die Ostsee in den letzten gut 150 Jahren verändert haben. Auf Basis von Messdaten sowie physikalischen Modellen der Ostsee, des Klimas und der Windverhältnisse untersuchten sie zudem, inwieweit dies Salzgehalt und Temperaturen am Grund des Bornholmer Beckens beeinflusst.

Mehr Einstrom im Sommer, weniger im Winter

Tatsächlich zeigte sich eine auffällige Verschiebung im Wassereinstrom: Der große Wasseraustausch durch winterliche Stürme ist in den letzten Jahrzehnten seltener und spärlicher geworden, dafür hat das sommerliche Einsickern von warmem Salzwasser aus der Nordsee zugenommen. Als Folge nehmen Salzgehalt und Temperatur in der westlichen Ostsee stärker zu als im Rest des Meeres: Der sommerliche Einstrom aus der Nordsee bringt statt kühlerem Wasser warmes Wasser.

Hinzu kommt die besondere Topografie der durch Meeresgrund-Barrieren getrennten Meeresbecken in der westlichen Ostsee: Das westlich von Bornholm liegende Arkona-Becken ist relativ flach, so dass es regelmäßig durchmischt wird. Das bis zu 100 Meter tiefe Bornholmer Becken ist dafür jedoch zu tief, wie die Forschenden erklären. Dadurch kann sich das eingesickerte salzigere Nordseewasser am Grund des Beckens ansammeln und dort die Wassertemperaturen in die Höhe treiben.

Bodenheizung für das Bornholmer Becken

Das bedeutet: Die saisonale Verschiebung des Nordseewasser-Einstroms zugunsten sommerlicher Zuströme wirkt wie eine Bodenheizung für das Bornholmer Becken. Das warme salzige Nordseewasser treibt Temperaturen und Salzgehalt des Ostsee-Tiefenwassers dort anomal in die Höhe. Weil parallel dazu die großen Winter-Umwälzungen weniger werden, kommt es in der westlichen Ostsee auch seltener zu ausgleichenden Einströmen kalten Nordseewassers.

Die genauen Ursachen für diese Verschiebung des Wassereinstroms in die warme Jahreszeit sind noch nicht geklärt. Den Modellsimulationen zufolge könnten großräumige Verschiebungen der atmosphärischen Zirkulation und damit der Winde eine Rolle spielen, aber auch saisonale Veränderungen im Süßwassereinstrom durch Flüsse.

Negative Folgen für die Meeresumwelt

Ungeachtet dessen ist aber klar, dass dieser Trend für die westliche Ostsee nicht ohne Folgen bleibt: „Für das Bornholm Becken können die Konsequenzen jedenfalls gravierend sein, denn höhere Temperaturen werden auch die Sauerstoffzehrung antreiben und so die Ausbreitung von toten Zonen befördern“, erklärt Koautor Markus Meier. Auch die Ausbreitung wärmeliebender invasiver Arten in der Ostsee könnte dadurch begünstigt werden. (Geophysical Research Letters, 2023; doi: 10.1029/2023GL103853)

Quelle: Leibniz-Institut für Ostseeforschung Warnemünde

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