Mysteriöse Wechsel: Der gut 4.400 Lichtjahre entfernte Pulsar J1023 verhält sich anders als alle andern – erst sendete er Radiopulse aus, jetzt wechselt er zwischen zwei Röntgenzuständen hin und her. Was hinter diesem bisher einmaligen Verhalten steckt, haben Astronomen nun mithilfe einer aufwendigen Multispektral-Beobachtungskampagne aufgeklärt. Sie enthüllt, dass die ständigen Wechsel auf die Interaktion des Pulsarwinds mit einer um den Neutronenstern kreisenden Materiescheibe zurückgehen.
Millisekunden-Pulsare sind schnell rotierende Neutronensterne, die starke, gebündelte Radiowellen aussenden. Bei seiner Entdeckung vor mehr als zehn Jahren schien auch der rund 4.400 Lichtjahre von uns entfernte Neutronenstern PSR J1023+0038, kurz J1023, ein solcher Radiopulsar zu sein. Doch 2013 schaltete er plötzlich um: Statt Radiowellen sendet er nun nur noch energiereiche Gamma- und Röntgenstrahlen aus – als hätte jemand einen Schalter umgelegt.
Rascher Wechsel zwischen aktiv und passiv
Doch das war noch nicht alles: Seither sendet der „Transformer“-Pulsar zwar weiterhin primär Röntgenstrahlung aus, wechselt aber auch dabei zwischen zwei Modi: Im „aktiven“ Modus strahlt J1023 pulsierende Schübe von intensivem Röntgenlicht, ultraviolettem und sichtbarem Licht ab, die Radiopulse sind weitgehend verschwunden. Im „passiven“ Modus lässt die energiereiche Strahlung nach und die Radiostrahlung verstärkt sich um das Dreifache.
Diese seltsamen, abrupten Wechsel passieren im Schnitt alle paar Minuten, dabei nimmt der energiereichere, aktive Modus rund 70 bis 80 Prozent der Zeit ein. Was dieses Umschalten verursacht, war bisher ein Rätsel. Schon bei seiner ersten Transformation hatten Astronomen allerdings den Verdacht, dass der Begleitstern des Pulsars eine Rolle spielen könnten. Dieser Stern umkreist den Pulsar so eng, dass der schwerere Neutronenstern ihm Material abzieht, das sich in einer Akkretionsscheibe um den Pulsar sammelt.
Multispektrale Beobachtung mit zwölf Teleskopen zugleich
Warum dies jedoch ständige schnelle Wechsel des Pulsarzustands hervorruft und wie, blieb ungeklärt. Um das Rätsel zu lösen, hat nun ein internationales Astronomenteam um Maria Baglio vom italienischen Nationalen Institut für Astrophysik (INAF) den Transformerpulsar J1023 mit einer ganzen Batterie erdgebundener und orbitaler Teleskope ins Visier genommen – von den großen Radioobservatorien ALMA und Very Large Array über leistungsstarke optische und Infrarot-Teleskope wie dem Very Large Telescope in Chile bis zu den Röntgenteleskopen XMM-Newton und Swift.
Die Astronomen untersuchten die Eigenschaften und das Verhalten des rätselhaften Neutronensterns im gesamten Spektrum der elektromagnetischen Strahlung. In zwei Nächten im Juni 2021 beobachteten dafür alle zwölf Teleskope zur gleichen Zeit, wie das System über 280-mal zwischen seinem aktiven und passiven Modus wechselte.
Pulsarwind, Magnetfeld und Materie interagieren
Das Ergebnis: „Wir haben festgestellt, dass das Umschalten zwischen den Modi auf ein kompliziertes Zusammenspiel zurückzuführen ist, und zwar zwischen dem Pulsarwind – einem Strom hochenergetischer Teilchen, die vom Pulsar weggeblasen werden – und der Materie, die auf den Pulsar zuströmt“, erläutert Koautor Coti Zelati vom INAF. Im passiven Modus wird die zum Pulsar fließende Materie durch sein Magnetfeld in einem schmalen Strom umgelenkt, der rechtwinklig zur Scheibe ausgestoßen wird. In diesem Zustand setzt der Pulsar nur wenig energiereiche, kurzwellige Strahlung frei.
Doch der fortwährende Einstrom weiterer Materie vom Begleitstern führt dazu, dass sich diese um den Pulsar ansammelt und dabei vom Pulsarwind aufgeheizt wird. „In dieser Konfiguration entsteht an der Schockfront, die sich am inneren Rand des Materiestroms bildet, starke Synchrotronstrahlung – sie ist die Quelle der pulsierenden Röntgen-, UV- und optischen Strahlung“, erklären die Astronomen. Das System ist damit im aktiven Modus.
Parallelen zu aktiven Schwarzen Löchern
Weil die Schockfront des Pulsarwinds aber gleichzeitig auch immer wieder Materie umlenkt und wegbläst, wechselt das System ständig zwischen aktiv und passiv hin und her. Als Anzeiger des Wechsels identifizierten die Astronomen kurze Strahlenausbrüche. „Wir interpretiere diese Flares als Fingerabdrücke von einzelnen Massenauswürfen, die die Entfernung des inneren Materiestroms anzeigen“, erklären Baglio und ihre Kollegen.
Interessant auch: Mit diesem Verhalten ähnelt der Pulsar J1023 einigen aktiven supermassereichen Schwarzen Löchern. Auch bei diesen können Interaktionen zwischen Magnetfeldern, Strömungen und der Akkretionsscheibe aus rotierendem Plasma zu Wechseln in der Strahlenemission führen. „Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die Akkretionsphysik solcher kompakter Objekte weiter zu erforschen“, konstatieren die Forschenden. (Astronomy & Astrophysics, 2023; doi: 10.1051/0004-6361/202346418)
Quelle: ESO