Vor unseren Augen verborgen: Der markante v-förmige Kopf des Sternbilds Stier könnte gleich mehrere stellare Schwarze Löcher enthalten – versteckt im Zentrum der Hyaden. Mit einer Entfernung von nur rund 150 Lichtjahren wären dies die erdnächsten Schwarzen Löcher. Indizien für ihre Existenz haben Astronomen entdeckt, als sie die Bewegungen von hunderten Sternen der Hyaden in Simulationen nachvollzogen. Demnach könnten sich im Zentrum des Haufens mindestens zwei bis drei stellare Schwarze Löcher befinden.
Eigentlich müsste es allein in der Milchstraße mindestens 100 Millionen stellare Schwarze Löcher geben – Relikte von massereichen Sternen, die in einer Supernova explodiert sind. Entdeckt wurden jedoch nur wenige Dutzend von ihnen, weil die meisten inaktiv und daher für Teleskope unsichtbar sind. Stellare Schwarze Löcher verraten sich meist nur dann, wenn sie Material von einem Begleitstern abziehen und dabei Strahlung emittieren oder wenn zwei solcher Schwarzen Löcher miteinander kollidieren.
Im Sternhaufen verborgen?
Doch es gibt noch etwas, durch das sich inaktive Schwarze Löcher verraten: durch den Einfluss ihrer Schwerkraft auf nahegelegenen Sterne. Auf diese Weise haben Astronomen im Jahr 2022 das erste inaktive Schwarze Loch jenseits der Milchstraße aufgespürt und im gleichen Jahr auch das bisher erdnächste Schwarze Loch – es liegt rund 1.560 Lichtjahre von uns entfernt.
Jetzt könnten Astronomen jedoch ein noch weit näheres Schwarzes Loch aufgespürt haben – in den Hyaden. Dieser nur rund 150 Lichtjahre von uns entfernte offene Sternhaufen bildet den schon mit bloßem Auge erkennbaren V-förmigen Kopf des Sternbilds Stier. Der Sternhaufen umfasst mehr als 700 Sterne, die sich in unregelmäßiger, lockerer Anordnung gemeinsam durch das All bewegen. Zusätzlich besitzt dieser Sternhaufen zwei sogenannte Gezeitenschweife – lang ausgezogene Bereiche, in denen weitere Sterne mit dem Haufen mitgezogen werden.
Fahndung in den Hyaden
Das Team um Stefano Torniamenti von der Universität von Padua hat nun untersucht, ob sich im Zentrum der Hyaden stellare Schwarze Löcher verbergen könnten. Beweggrund dafür war zum einen, dass in mehreren Kugelsternhaufen bereits Schwarze Löcher entdeckt worden sind. Zum anderen liegen im Zentrum der Hyaden wie bei anderen Sternhaufen besonders viele massereiche, ältere Sterne, die mit hoher Wahrscheinlichkeit nach ihrer Supernova zum Schwarzen Loch werden.
Allerdings ist es bei offenen Sternhaufen deutlich schwieriger, Schwerkraft-Einflüsse verborgener Schwarzer Löcher anhand der Sternbewegung ausfindig zu machen. „Erst die Daten des Gaia-Satelliten der ESA haben es uns ermöglicht, jetzt erstmals auch die Position und Geschwindigkeit von offenen Sternhaufen und ihren Mitgliedern im Detail zu analysieren“, erklären Torniamenti und sein Team. Für ihre Studie haben sie die Gaia-Daten zu den Hyaden ausgewertet und mithilfe einer Simulation deren Sternbewegungen rekonstruiert.
Zwei bis drei Schwarze Löcher
Dabei zeigte sich: „Unsere Simulationen könne nur dann die Größe und Masse der Hyaden nachvollziehen, wenn es im Zentrum des Sternhaufens mehrere Schwarze Löcher gibt“, berichtet Torniamenti. Auch die heutige Bewegung und Verteilung der Sterne in den Hyaden sei am besten rekonstruierbar, wenn dort stellare Schwarze Löcher präsent seien. „Sternhaufen mit zwei bis drei Schwarzen Löchern reproduzieren den beobachteten Massenradius am besten, während Modelle ohne Schwarze Löcher rund 30 Prozent kleiner sind“, so die Astronomen.
Den Analysen zufolge befinden sich die stellaren Schwarzen Löcher der Hyaden entweder noch in ihrem Zentrum oder in der unmittelbaren Umgebung des Sternhaufens. Denn wegen der dicht stehenden Sterne im Zentrum solcher Haufen können Supernovae dort leichter zum Ausschleudern von Sternen oder Schwarzen Löchern führen. Die Bewegungen der Sterne in den Hyaden legen aber nahe, dass eine solche Ausstoßung der Schwarzen Löcher – wenn sie stattgefunden hat – maximal 150 Millionen Jahre zurückliegen kann. Deshalb können diese Schwarzen Löcher noch nicht weit gekommen sein, so die Astronomen.
Nur gut 150 Lichtjahre entfernt
Sollte sich dies bestätigen, dann könnten die erdnächsten Schwarzen Löcher nur rund 150 Lichtjahre von uns entfernt liegen – in einer am Nachthimmel wohlbekannten und gut sichtbaren Sternformation. Die Entdeckung Schwarzer Löcher im nahen Sternhaufen der Hyaden eröffnet nun faszinierende Möglichkeiten, solche „stillen“ Schwarzen Löcher näher zu erforschen.
„Unsere Beobachtung hilft uns zu verstehen, wie die Präsenz Schwarzer Löcher die Evolution von Sternhaufen beeinflusst“, sagt Koautor Mark Gieles von der Universität Barcelona. „Gleichzeitig gibt uns unser Resultat Einblicke darin, wie diese geheimnisvollen Objekte in unserer Galaxie verteilt sind.“ Die Astronomen gehen davon aus, dass künftig mit der von ihnen eingesetzten Methode auch in anderen offenen Sternhaufen Schwarze Löcher entdeckt werden können. (Monthly Notices of the Royal Astronomical Society, 2023; doi: 10.1093/mnras/stad1925)
Quelle: Universidad de Barcelona