Dichte überschätzt. Der innere Erdkern könnte weicher und weniger dicht sein als angenommen, wie Hochdruck-Experimente nahelegen. Demnach könnten bisherige Messkalen für den Abgleich von Druck, Dichte und Wellenlaufzeiten bei Erdkern-Drücken um gut 20 Prozent daneben liegen. Sollte sich dies bestätigen, enthält der innere Erdkern neben Eisen und Nickel deutlich mehr leichtere Elemente – etwa doppelt so viel wie gedacht, wie Forschende in „Science Advances“ berichten.
Der feste innere Erdkern ist der extremste und gleichzeitig rätselhafteste Ort auf unserem Planeten. Denn welche Struktur er hat, wann er auskristallisierte und wie viel leichtere Elemente wie Wasserstoff, Helium, Sauerstoff oder Silizium seine Eisen-Nickel-Mischung enthält, ist unklar. Das Problem: Der Erdkern ist für direkte Messungen unerreichbar. Nahezu alle Erkenntnisse über ihn stammen entweder aus Hochdruck-Experimenten im Labor oder aus den Laufzeiten von seismischen Wellen.
Wie misst man die Dichte des Erdkerns?
Unklarheit herrscht auch über die Dichte im inneren Erdkern. Dafür muss bekannt sein, wie der enorme Druck die Kristallstruktur des Erdkern-Materials verändert und wie dies das Tempo der seismischen Wellen beeinflusst. Man benötigt eine Messskala, die die Laufzeitveränderungen der Wellen mit steigendem Druck angibt und über die man dann auf die Dichte des Materials schließen kann. Doch bisherige Messskalen sind bei extrem hohen Drücken ungenau und widersprüchlich.
Der Grund: Man kann zwar Materialien durch Schockkompression ähnlich stark komprimieren wie im Erdkern – beispielsweise durch Beschuss mit schweren Projektilen. „Die daraus abgeleiteten Messkalen zeigen jedoch Abweichungen von bis zu 50 Prozent“, erklären Daijo Ikuta von der Tohoku Universität in Japan und sein Team. Präziser sind statische Hochdruck-Experimente, die kleine Materialproben allmählich komprimieren und dann durch Ultraschall oder Strahlung die Dichte messen,
„Aber die meisten solcher statischen Experimente erreichen nur Drücke wie im unteren Erdmantel“, erklären Ikuta und seine Kollegen. „Nur ein einziges Experiment kam mit rund 120 Gigapascal dem Druck an der Kern-Mantel-Grenze nahe.“
Hochdruck-Probe unter Röntgenbeschuss
Abhilfe könnte nun eine neue Messmethode schaffen, mit deren Hilfe Ikuta und sein Team eine neue, präzisere Druck-Messskala aufgestellt haben. Dafür platzierten sie eine winzige, nur ein Nanogramm wiegende Probe des Schwermetalls Rhenium zwischen die beiden Diamant-Stempel einer Hochdruckpresse. Während die Probe unter immer stärkeren Druck gesetzt wurde, nutzten die Forschenden intensive Röntgenstrahlen, um die Veränderungen von Dichte und Struktur des Materials mittels Röntgenstreuung zu messen.
„Die Dichte von Rhenium bei hohem Druck ist einfach und schnell zu messen. Es gibt daher viele Anlagen weltweit, die solche Messungen durchführen können“, erklärt Seniorautor Alfred Baron vom Synchrotron-Strahlenforschungsinstitut Japans. „Aber die Geschwindigkeit der Wellenausbreitung unter diesen Drücken zu messen, ist sehr viel schwieriger. Das geht zurzeit wahrscheinlich nur hier mit unserem IXS-Röntgenspektrometer.“ Dessen Daten erlauben es, die Schallwellenausbreitung – und damit auch die Laufzeit seismischer Wellen – im Material zu messen.
Effekt des Drucks auf die Dichte
Mithilfe dieser Hochdruck-Experimente gelang es Ikuta und seinem Team, die Dichte und Wellenausbreitung im Rhenium bis zu Drücken von mehr als 230 Gigapascal zu ermitteln. „Damit haben wir die Spanne der statischen Hochdruck-Messungen bis in den Druckbereich des Erdkerns erweitert“, berichten sie. Dies erlaubte es ihnen, eine neue, genauere Messskala für den Druck im Erdinneren aufzustellen. Um diese Skala zu überprüfen, führten die Forschenden anschließend weitere Messungen mit Eisen, Rhenium und Magnesiumoxid (Periklas) durch.
Dabei zeigte sich: Bei niedrigeren Drücken stimmten die mit der neuen Messskala ermittelten Werte gut mit bisherigen Druckwerten auf Basis von Schockkompression und statischen Hochdruck-Experimenten überein. Ab Drücken von etwa 100 Gigapascal begannen die Kurven jedoch allmählich voneinander abzuweichen. „Unsere Messungen deuten darauf hin, dass bisherige Messskalen den Druck bei 120 Gigapascal um zwei bis zehn Prozent überschätzen“, berichten Ikuta und seine Kollegen. Bei 230 Gigapascal lagen die Abweichungen sogar bei 20 Prozent.
Doppelt so viel leichte Elemente im Kern?
Für den Erdkern und die Geophysik bedeutet dies: Frühere Druck-Messkalen haben die Dichte des Erdkerns wahrscheinlich falsch eingeschätzt, weil die Wellenlaufzeiten nicht korrekt interpretiert werden konnten. Als Folge könnte der innere Erdkern deutlich weniger dicht sein als bisher gedacht. „Im Druckbereich von 330 bis 365 Gigapascal – wie für den inneren Erdkern angenommen – liegt das Dichtedefizit gegenüber reinem Eisen unserer Rhenium-Skala nach bei acht Prozent“, berichten Ikuta und seine Kollegen. Bisher wurden drei bis fünf Prozent angenommen.
Daraus folgt, dass der innere Erdkern neben Eisen und Nickel mehr leichtere Elemente enthalten muss als gedacht. „Wir haben ermittelt, dass dieses leichtere Material einen rund doppelt so hohen Anteil am inneren Erdkern haben muss“, so die Forschenden. Würde man den bisher geschätzten Anteil leichter Elemente beibehalten, müsste der innere Erdkern alternativ um rund 2.800 Grad heißer sein als bisher geschätzt – nur so ließe sich die geringere Dichte und Festigkeit erklären. Welches Szenario zutrifft, müssen nun weitere Forschungen zeigen. (Science Advances, 2023; doi: 10.1126/sciadv.adh8706)
Quelle: RIKEN