Spannender Fund: Vor der Westküste Schwedens hat ein Taucher eine Schiffskanone aus dem 14. Jahrhundert entdeckt – es ist die älteste sicher datierte Schiffsartillerie in Europa. Das noch mit Resten eines Pulverbeutels gefüllte Kanonenrohr ist nur rund 50 Zentimeter lang und aus einer bleihaltigen Kupferlegierung gefertigt – eigentlich ist diese zu spröde für Kanonen. Dies zeugt davon, dass Schiffsartillerie vor rund 700 Jahren noch ganz am Anfang stand, wie die Archäologen berichten.
Aus historischen Dokumenten, aber auch Wrackfunden ist bekannt, dass Kanonen spätestens ab dem 15. Jahrhundert zur Ausstattung vieler Schiffe gehörte. Sowohl das 1495 gesunkene dänische Flaggschiff „Gribshunden“ als auch das 1543 gesunkene englische Kriegsschiff „Mary Rose“ hatten Kanonen an Bord. Unklar ist jedoch bisher, wann man erstmals begann, Schiffe mit dieser Art der Artillerie zu bewaffnen.
„Unser Wissen über die frühesten Formen von Schießpulver-Waffen und ihre Nutzung in Europa sind überraschend mager“, erklären Staffan von Arbin und seine Kollegen von der Universität Göteborg. So erwähnen zwar einige historische Dokumente den Einsatz von Kanonen auf Schiffen aus dem 14. Jahrhundert, aber Näheres dazu wird nicht berichtet. Ähnlich dünn ist es bei den archäologischen Funden: Die bisher frühesten datierbaren Schiffswracks mit Kanonen sind das 1440 vor Sizilien gesunkene „Cavoli“-Wrack und die „Gribshunden“ aus dem Jahr 1495.
Zufallsfund vor schwedischer Insel
Umso spannender ist die Entdeckung einer Schiffskanone, die noch einmal rund 100 Jahre älter ist. Die kleine, nur knapp 50 Zentimeter lange Kanone wurde vor der westschwedischen Insel Marstrand von einem Hobbytaucher gefunden. Sie lag allein, ohne weitere Wrackteile oder Trümmer, halb im Sediment vergraben in rund 20 Meter Tiefe. „Dies ist wenig überraschend, weil ein Wrack in dieser hochdynamischen Meeresumgebung längst komplett zerbrochen und über eine große Fläche verteilt sein muss“, erklären die Archäologen.
Der Finder übergab die kleine Kanone dem Schifffahrtsmuseum der Universität Göteborg, wo von Arbin und sein Team die Kanone näher untersuchten. Dabei zeigte sich: In der Pulverkammer am hinteren Ende der Kanone steckten noch Reste eines Stoffsäckchens. „Dabei handelt es sich wahrscheinlich um die Relikte einer Kartusche, einer Stoffhülle, die die Pulverladung für die Kanone enthielt“, so die Forscher. „Dies spricht dafür, dass diese Kanone Teil der Schiffsbewaffnung war und nicht bloß ein Frachtstück.“
Schiffskanone gegen enternde Feinde
Die Reste der Pulverkartusche waren für die Archäologen ein echter Glückfall, denn es ermöglichte ihnen eine Radiokarbondatierung des Funds. Diese ergab, dass die Schiffskanone aus der Zeit zwischen 1285 und 1399 stammen muss. „Damit ist die Marstrand-Kanone nicht nur älter als jeder andere Fund von Schiffsartillerie in Europa, sie ist auch das älteste Stück Artillerie, das jemals entdeckt wurde“, berichten von Arbin und seine Kollegen. Der Fund belegt zudem, dass Pulverkartuschen früher in Gebrauch waren als zuvor angenommen.
Die vergleichsweise geringe Größe der Schiffskanone bestätigt, dass Seeschlachten im 14. Jahrhundert noch deutlich anders abliefen als später: Statt sich aus der Ferne mit Kanonen zu beschießen, wurde die Artillerie primär aus der Nähe als Waffe gegen die Besatzung des gegnerischen Schiffs eingesetzt. „Damals wurden feindliche Schiffe noch ähnlich angegriffen wie Burgen und andere Befestigungen an Land“, erklären die Archäologen: Man ging längsseits, enterte und kämpfte dann Mann gegen Mann.
Kanonenmetall war noch suboptimal
Chemische Analysen der Schiffskanone lieferten nähere Erkenntnisse zu ihrer Machart und der Herkunft ihres Materials. Demnach bestand die Kanone nicht aus Gusseisen oder einer Zinnbronze, wie später üblich. Stattdessen war sie aus einer Kupferlegierung mit 14 Prozent Blei und kleineren Beimischungen von Zinn, Antimon und Arsen gefertigt. Das Kupfer stammte aus der Slowakei, das Blei aus Nordengland oder Schlesien, wie Vergleichsanalysen ergaben.
„Der hohe Anteil von Blei in dieser Legierung machte das Material allerdings eher ungeeignet für die Kanonenherstellung“, erklären die Forscher. „Denn es machte die Legierung spröde, wodurch sich Risse gebildet hätten.“ Wäre diese Schiffskanone häufiger abgefeuert worden, hätte sie demnach explodieren können. „Offenbar waren die negativen Auswirkungen des Bleis im Kanonenmetall damals noch nicht verstanden“, so die Archäologen. Das lege nahe, dass man in dieser Anfangszeit der Schiffsartillerie noch über wenig Erfahrung verfügte und mit Materialien experimentierte.
Suche nach dem Schiffswrack ist der nächste Schritt
„Der Marstrand-Fund repräsentiert einen großen Sprung nach vorn in unserem Wissen über frühe Schießpulverwaffen, ihre Nutzung und Entwicklung“, konstatieren von Arbin und sein Team. Die Schiffskanone sei ein wirklich außergewöhnlicher und wichtiger Fund. Umso interessanter wäre es, zu wissen, auf welchem Schiff diese Kanone einst im Einsatz war.
„Als nächstes wollen wir daher natürlich versuchen, das Schiff zu dieser Schiffskanone zu finden“, sagt von Arbin. „Es ist zwar wahrscheinlich stark degradiert und zerbrochen, aber wenn wir eine gründliche Durchsuchung der Fundstätte und ihrer Umgebung durchführen, könnten wir noch Trümmer des Schiffswracks finden.“ (The Mariner’s Mirror, 2023; doi: 10.1080/00253359.2023.2225311)
Quelle: Schwedischer Forschungsrat