Alles begann im Jahr 2017. Mit einer Studie, die den harmlosen, fast schon langweiligen Titel „Zeitliche Trends bei der Spermienzahl: eine systematische Überprüfung und Meta-Regressionsanalyse“ trägt. Hagai Levine von der Hebräischen Universität in Jerusalem untersuchte darin zusammen mit Kollegen, wie sich die Spermienkonzentration und somit die männliche Fruchtbarkeit zwischen 1973 und 2011 entwickelt hatte. Doch anders als der Titel der Studie suggeriert waren die Ergebnisse der Forschenden weder langweilig noch harmlos.
40 Jahre Samenproben
Nachdem Levine und sein Team Samenproben von über 42.000 Männern, gesammelt im Rahmen von 185 internationalen Studien, ausgewertet hatten, fiel ihnen eine starke Abnahme der Spermienkonzentration im Ejakulat auf. Zwischen 1973 und 2011 – innerhalb von nur rund 40 Jahren – war diese im Schnitt um 52,4 Prozent zurückgegangen. Das entspricht einem Minus von 1,4 Prozent pro Jahr. Die Gesamtzahl der Spermien im Ejakulat hatte sich im selben Zeitraum um 59,3 Prozent verringert.
Zwar waren in die Analyse zunächst nur Proben aus Europa, Nordamerika, Australien und Neuseeland eingeflossen, doch spätestens seit 2022 ist klar, dass es sich bei dieser „Spermienkrise“ um ein weltweites Problem handelt. Denn in diesem Jahr erschien eine Folgestudie, in der Levine und seine Kollegen nun auch Proben aus Afrika, Lateinamerika und Asien berücksichtigt hatten.
Insgesamt analysierten die Forschenden in diesem zweiten Anlauf die Spermiendaten von mehr als 57.000 Männern aus 223 Studien und 53 Ländern. Und auch hier kamen sie auf ein ähnliches Ergebnis: Zwischen 1973 und 2018 war die Spermienzahl im Schnitt um 62 Prozent gesunken, die Spermienkonzentration um 52 Prozent. Das bedeutet, dass damit auch die Fruchtbarkeit abnimmt. Denn je geringer die Dichte intakter, bewegungsfähiger Spermien im Ejakulat, desto geringer auch die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Befruchtung.
Das Tempo zieht an
Als wäre ein genereller Rückgang der Spermien nicht schon gravierend genug, hat sich die Rate dieser Abnahme seit dem Jahr 2000 sogar nochmal verdoppelt. Bis zu dieser Schwelle konnten Levine und seine Kollegen einen stetigen Rückgang der Spermienkonzentration von 1,16 bis 1,90 Prozent pro Jahr beobachten, danach waren es schon 2,64 Prozent.
„Folgt man der Kurve, so wird für das Jahr 2045 eine mittlere Spermienzahl von Null vorhergesagt“, berichtete Koautorin Shanna Swan von der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York im „Guardian“. Düstere Aussichten, wenn man an den Fortbestand der Menschheit denkt.
Immer näher an der Unfruchtbarkeit
Doch auch schon vor der Mitte des Jahrhunderts könnte der Spermienrückgang zum Problem werden. Das wird deutlich, wenn man die Grenzwerte betrachtet, ab denen ein Mann als weitestgehend unfruchtbar gilt. Laut Weltgesundheitsorganisation ist diese Schwelle ab einer Konzentration von weniger als 16 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat und einer Spermienzahl von weniger als 39 Millionen pro Samenerguss erreicht.
Der neuesten Studie von Levine und seinem Team zufolge waren wir 2018 bereits bei einer Konzentration von 49 Millionen Spermien pro Milliliter Ejakulat angelangt. Zum Vergleich: Im Jahr 1973 lag die Spermienzahl noch bei 101 Millionen. Der aktuellste Wert ist zwar immer noch weit von der 16 Millionen-Grenze für Unfruchtbarkeit entfernt, kann aber die Zeugungsfähigkeit bereits vermindern.
Hinzu kommt, dass neben der reinen Anzahl auch die Qualität der Spermien abgenommen hat, wie verschiedene Studien nahelegen. Ihnen zufolge sind Spermien in manchen Weltregionen heute weniger beweglich als früher und weichen auch in ihrer Form immer häufiger von der Norm ab. Das beeinträchtigt ihre Schwimmfähigkeiten und erschwert den Spermien den Weg zur Eizelle nochmal mehr.