Geowissen

Auch den Flüssen geht die Luft aus

Erwärmung der Fließgewässer fördert Sauerstoffmangel und "Todeszonen"

Bild eines Flussbettes
Flüsse erwärmen sich schneller und werden schneller sauerstoffärmer als Ozeane, was schwerwiegende Auswirkungen auf das Leben im Wasser – und auf das Leben der Menschen – haben könnte. © Penn State, License, CC BY-NC-ND

Bedrohte Gewässer: Durch den Klimawandel werden auch die Flüsse immer wärmer und verlieren an Sauerstoff – und das sogar schneller als Ozeane. Dies belegt eine aktuelle Studie anhand von fast 800 untersuchten Flüssen weltweit. In vielen Flusssystemen könnte es demnach in den kommenden Jahrzehnten phasenweise zu akutem Sauerstoffmangel kommen, was tödliche Folgen für einige Fischarten hat und die Artenvielfalt in Fließgewässern bedroht.

Der Klimawandel macht die Ozeane wärmer, saurer und hemmt den Sauerstoffeinstrom in tiefere Wasserschichten. Dadurch breiten sich am Meeresgrund sauerstoffarme „Todeszonen“ aus – unter anderem in der Ostsee oder im Schwarzen Meer. Aber auch der offene Ozean hat in den letzten 50 Jahren schon gut zwei Prozent seines Sauerstoffs verloren.

Ob es einen ähnlichen Sauerstoffschwund auch bei Flüssen gibt, wurde bisher noch nicht in größerem Umfang untersucht. „Die Wassertemperatur und der Gehalt an gelöstem Sauerstoff in Flüssen sind nur schwer zu quantifizieren“, erklärt Erstautor Wie Zhi von der Pennsylvania State University. Das liege einerseits daran, dass es zu wenige konsistente Daten über verschiedene Flüsse gebe. Zum anderen könnten unzählige Variablen den Sauerstoffgehalt in jedem Fluss verändern, so Zhi.

Knapp 800 Flüsse untersucht

Zusammen mit Kollegen hat Zhi nun erstmals anhand von 580 Flüssen in den USA und 216 Flüssen in Zentraleuropa umfassend untersucht, wie sich deren Temperatur und Sauerstoffgehalt zwischen 1981 und 2019 verändert haben. Um die spärlich vorhandenen historischen Daten zur Wasserqualität dieser Flusssysteme aussagekräftig auszuwerten, verwendete das Forschungsteam ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Analysemodell. Dieses ermöglichte auch den systematischen Vergleich sehr unterschiedlicher Fließgewässer.

In ihrer KI-gestützten Auswertung berücksichtigten Zhi und seine Kollegen neben direkten Messdaten zu Temperatur und Sauerstoffgehalt auch Informationen über die Umgebung der Flüsse, beispielsweise das Wetter, die Jahresniederschlagsmenge, die Sonneneinstrahlung, die Bodenart und die Landnutzung. Diese Faktoren beeinflussen Temperatur und Sauerstoffgehalt in Flüssen und können so Lücken in direkten Analysedaten schließen helfen und diese vergleichbar machen.

Signifikanter Sauerstoffverlust

Die Analysen ergaben, dass 87 Prozent der untersuchten Fließgewässer in den letzten vier Jahrzehnten stetig wärmer geworden sind und 70 Prozent der Flüsse an Sauerstoff verloren haben. Pro Jahrzehnt erwärmten sich die Flüsse in den USA im Schnitt um 0,16 Grad Celsius, in Europa um 0,27 Grad Celsius, wie Zhi und sein Team ermittelten. Im selben Zeitraum verloren die Fließgewässer durchschnittlich 0,034 beziehungsweise 0,059 Milligramm Sauerstoff pro Liter Wasser.

Die Forschenden verglichen ihre Daten auch mit Daten zur Entwicklung in anderen Gewässern und fanden so heraus, dass sich die Flüsse im Schnitt schneller erwärmen und mehr Sauerstoff verlieren als Ozeane, aber langsamer als Seen und Küstenregionen.

Nährstoffeintrag durch die Landwirtschaft als Mitursache

Wie viel Sauerstoff Fließgewässer aufnehmen können, hängt der Studie zufolge von zahlreichen Faktoren ab, etwa ihrer Fließgeschwindigkeit und wie viele Lebewesen im Fluss Sauerstoff verbrauchen oder produzieren. Der wichtigste Parameter für den Sauerstoffgehalt von Flüssen ist jedoch ihre Temperatur, wie die Ergebnisse belegten. In warmem Wasser löst sich weniger Sauerstoff als in kaltem. Im Zuge des menschgemachten Klimawandels werden die meisten Flüsse immer wärmer und verlieren daher immer mehr Sauerstoff.

Die Studie legt aber noch einen weiteren Einfluss des Menschen auf den Zustand der Flüsse nahe: unsere Landnutzung. Es zeigte sich, dass sich Flüsse in Städten am schnellsten erwärmen, während sich Flüsse in landwirtschaftlich geprägten Gegenden am langsamsten erwärmen, aber am schnellsten Sauerstoff verlieren. Das liegt Zhi und seinem Team zufolge vermutlich auf einen höheren Nährstoffgehalt von Flüssen in den landwirtschaftlich genutzten Gebieten zurück. Dadurch können ländliche Fließgewässer mehr Lebewesen ernähren, die dann spätestens bei ihrer Zersetzung nach dem Tod mehr Sauerstoff verbrauchen.

Die Wissenschaftler nutzten ihr Analysemodell auch, um die weitere Entwicklung in den Flüssen vorherzusagen. Dabei legten sie zwei verschiedene Szenarien für die weitere klimatische Entwicklung der Erde zugrunde: Ein Szenario mit mittlerem Ausstoß an Treibausgasen (SSP2-4.5) und eines mit weiterhin sehr hohen Emissionen (SSP5-8.5). Demnach verlieren alle untersuchten Flüsse künftig zwischen 1,6 und 2,5-Mal schneller Sauerstoff als in der Vergangenheit, weil sie wärmer werden. Der Prognose zufolge könnten einige Fischarten innerhalb der nächsten 70 Jahre aufgrund längerer Perioden mit niedrigem Sauerstoffgehalt in ihrem Lebensraum vollständig aussterben.

Auswirkungen auf Tiere und Menschen

„Das ist ein Weckruf“, sagt Seniorautorin Li Li von der Pennsylvania State University. In Küstengebieten wie dem Golf von Mexiko gebe es im Sommer oft tote Zonen, weil zu wenig Sauerstoff vorhanden ist. „Diese Studie zeigt, dass dies auch in Flüssen passieren könnte“, sagt sie. Erste Hinweise darauf seien auch zunehmende Berichte über zeitweise schon auftretende tote Zonen in Flüssen. Das Leben in einigen Fließgewässern werde sich drastisch verändern, was die Biodiversität in den Gewässern insgesamt gefährde, so Li.

„Was wir gefunden haben, hat erhebliche Auswirkungen auf die Wasserqualität und die Gesundheit der aquatischen Ökosysteme weltweit.“ Auch auf das Leben von uns Menschen wirke sich die Entwicklung aus, weil die meisten Menschen in der Nähe von Flüssen leben und auf deren Ressourcen angewiesen sind, schreiben die Forschenden. Der Rückgang des Sauerstoffs in den Flüssen fördere außerdem die Emission von Treibhausgasen und die Freisetzung von giftigen Metallen, was sich auch auf die menschliche Gesundheit auswirkt.

Ausmaß möglicherweise unterschätzt

Zhi und seine Kollegen geben in ihrer Studie zu bedenken, dass die Entwicklung des Sauerstoffgehalts der Flüsse möglicherweise in Realität noch dramatischer ist, als es ihre Analysemodelle zeigen. Denn die Messdaten, mit denen das KI-Modell trainiert wurde, stammen aus Stichproben, die tagsüber gesammelt wurden. Während des Tages produzieren Wasserpflanzen jedoch mehr Sauerstoff als nachts. Die tatsächliche Sauerstoffmenge könnte daher im zeitlichen Durchschnitt noch niedriger liegen.

Künftige Analysen könnten Daten von Flüssen aus weiteren Regionen der Erde einbeziehen und so prüfen, ob die in dieser Studie prognostizierten Veränderungen der Flüsse ein globales Phänomen sind. (Nature Climate Change, 2023; doi: 10.1038/s41558-023-01793-3)

Quelle: Pennsylvania State University

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