Zoologie

Warum „Zombie“-Ameisen das Sonnenlicht meiden

Hirnparasit manipuliert seinen Wirt in Abhängigkeit von der Temperatur

Zombie-Ameise
„Zombie“-Ameisen werden von einem Parasiten auf raffinierte Weise ferngesteuert. © anest/ Getty Images

Kuriose Manipulation: Der parasitische Leberegel befällt die Gehirne von Ameisen und manipuliert ihr Verhalten zugunsten seiner Verbreitung. Doch wie sich nun zeigt, gehen die Egel dabei noch raffinierter vor als gedacht. Demnach lassen die Parasiten die von ihnen manipulierte Ameise nur in der Morgen- und Abenddämmerung auf Grashalme klettern. Dies erhöht die Chance, dass die Ameise dann mitsamt Gras von Weidetieren gefressen wird – und der Leberegel einen neuen Wirt findet.

Während Zecken und Stechmücken sich lediglich am Blut ihres Wirtes bedienen und dann wieder ihrer Wege ziehen, gibt es auch Parasiten, die ihren Wirt aktiv manipulieren und sein Verhalten lenken, um so ans Ziel zu kommen. Ein Beispiel dafür ist der Toxoplasmose-Erreger, der Ratten und Mäusen die Scheu vor Katzen nimmt, sodass sie sich bereitwillig von ihnen fressen lassen und der Einzeller in den Katzendarm gelangt. Nur dort kann er sich sexuell fortpflanzen.

Leberegel
Der Kleine Leberegel hat ein ungewöhnliches Leben. © Adam Cuerden

Von Schnecke zu Ameise zu Reh

Ein Parasit mit noch kurioserem Lebenszyklus ist der gehirnverändernde Kleine Leberegel (Dicrocoelium dendriticum). Sein Leben beginnt als Ei, und zwar im Kot von Weidetieren wie Rindern, Schafen und Rehen. Der Egel setzt zunächst darauf, dass eine Schnecke sich an den Exkrementen labt und dabei die Eier in ihren Körper aufnimmt. Dort angekommen, schlüpfen die winzigen Parasiten und wachsen zu Larven heran. Um die Schnecke wieder zu verlassen, bringen sie diese zum Husten und werden dann als Schleimklumpen hochgewürgt.

Der schleimige Klumpen wiederum wirkt besonders anziehend auf Ameisen. Indem sie ihn verzehren, nehmen sie gleichzeitig die Egellarven auf. Doch auch die Ameise ist noch nicht die Endstation des Leberegels. Denn er muss in den Körper von Weidetieren zurückkehren, um dort vom Blut ihrer Leber zu trinken, zu voller Größe heranzuwachsen und selbst Eier zu legen, die schließlich mit dem Kot von Rind und Schaf wieder ausgeschieden werden.

Ameise auf Grashalm
Der Leberegel zwingt Ameisen dazu, Grashalme zu erklimmen. © University of Copenhagen

Zombies, die in Grashalme beißen

An dieser Stelle packt der parasitische Saugwurm seinen bisher außergewöhnlichsten Trick aus. Um die Ameise in den Körper der Weidetiere zu bringen, zwingt der Leberegel sie dazu, gegen ihren Willen auf die Spitze eines Grashalms zu klettern und sich dort mit ihrem Maul festzuklammern. In dieser Position stehen die Chancen gut, dass die „Zombie“-Ameise von Kuh, Schaf und Co. beim Grasen mitgefressen wird und der Plan des Parasiten aufgeht.

Doch bei dieser cleveren Manipulation geht der Leberegel sogar noch geschickter vor als gedacht, wie Simone Nordstrand Gasque und Brian Lund Fredensborg von der Universität Kopenhagen nun herausgefunden haben. Um mehr darüber zu lernen, wie genau der Saugwurm seinen Ameisen-Wirt lenkt, beobachten die beiden fast 1.300 infizierte Ameisen in den dänischen Bidstrup-Wäldern und markierten 172 von ihnen.

„Es erforderte einiges an Geschicklichkeit, um Farben und Zahlen auf die Hinterteile der Ameisen zu kleben, aber so konnten wir sie über längere Zeiträume hinweg verfolgen“, sagt Fredensborg. Unter anderem konnten die Forschenden auf diese Weise beobachten, ob sich das Verhalten der Zombie-Ameisen in Abhängigkeit von Feuchtigkeit, Tageszeit, Temperatur und Lichtverhältnissen veränderte.

Infizierte Ameise
Der vor Egellarven überquellende Hinterleib einer Ameise. Nur eine der Larven dringt bis ins Gehirn vor. © Brian Lund Fredensborg

Kühle Temperaturen legen „Zombie-Schalter“ um

Und tatsächlich: „Wir fanden eine klare Korrelation zwischen Temperatur und Ameisenverhalten. Wir scherzten, wir hätten den Zombie-Schalter der Ameisen gefunden“, berichtet Fredensborg. Demnach halten sich die parasitierten Ameisen bei kühlen Temperaturen eher an der Spitze eines Grashalms auf, während sie bei steigenden Temperaturen wieder nach unten krabbeln. An kühlen Tagen verbringen sie somit den ganzen Tag oben auf dem Grashalm, an Tagen mit intensiver Sonne und mittäglicher Hitze dagegen nur die Morgen- und Abenddämmerung.

Die Forschenden vermuten, dass der Kleine Leberegel auf diese Weise seine Chancen maximiert, samt Ameise von Weidegängern gefressen zu werden. Denn diese sind bei kühleren Temperaturen und in der Dämmerung am aktivsten, in der Mittagshitze ruhen sie meist. Gleichzeitig kann die pralle Sonne auch die Zombie-Ameise überhitzen und töten, was der von ihr abhängige Saugwurm natürlich verhindern möchte.

„Unsere Entdeckung offenbart einen Parasiten, der raffinierter ist, als wir ursprünglich angenommen hatten“, kommentiert Fredensborg. Er und seine Kollegin wollen sich auch in Zukunft dem Kleinen Leberegel widmen. Konkret interessiert die beiden, mit welchem Cocktail chemischer Substanzen es dem Parasiten gelingt, eine Ameise zum Zombie umzuprogrammieren. (Behavioral Ecology, 2023; doi: 10.1093/beheco/arad064

Quelle: University of Copenhagen – Faculty of Science

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