Neurologie

Wie Psychosen das Gehirn verändern

Algorithmus sagt Entwicklung von Hirnschäden bei Psychosen vorher

Illustration eines zerfallenden Gehirns
Eine Psychose zeigt sich an einer fortschreitenden Abnahme im Volumen der grauen Hirnsubstanz. © Eoneren / Getty Images

Klarheit bei psychotischen Erkrankungen: Forschende haben herausgefunden, von wo aus Psychosen das Gehirn verändern und in welche Hirnregionen sich diese Veränderungen ausbreiten. Die Studie belegt zudem Hirnschäden durch antipsychotische Medikamente. Daraus haben die Wissenschaftler einen Algorithmus entwickelt, mit dem sich der Verlauf unterschiedlich starker Psychosen prognostizieren lässt. Die Ergebnisse eröffnen auch neue Therapiemöglichkeiten.

Bei Psychosen wie der Schizophrenie ist das Volumen der grauen Substanz im Gehirn verringert, was das Leben von Betroffenen massiv beeinträchtigen kann. Psychotische Menschen haben mitunter Schwierigkeiten zu kommunizieren und logisch zu denken und verlieren den Bezug zur Realität. Mit Fortschreiten der Erkrankung breiten sich diese Veränderungen im Gehirn aus. Bei der kostenintensiven Behandlung werden zudem unerwünschte Nebeneffekte der Medikamente vermutet.

Die Ursachen von Psychosen sind vielfältig und erst teilweise erforscht. Auch der Mechanismus, über den sich die psychotischen Veränderungen im Gehirn ausbreiten, ist bislang unbekannt. Für Mediziner ist es zudem schwierig, die Auswirkungen der Arzneimittel exakt von denen der Krankheit zu trennen, da bislang meist Menschen untersucht wurden, die bereits antipsychotische Medikamente einnehmen.

Blick ins Gehirn von Betroffenen

Deshalb haben Forschende um Sidhant Chopra von der Monash University in Melbourne nun gezielt die Gehirne von Psychose-Patienten mit und ohne Behandlung untersucht und detailliert analysiert, in welchen Regionen im Gehirn sich die Effekte der Erkrankung und der Medikamente im Verlauf der Krankheit zeigen. Für die Studie erstellten Chopra und seine Kollegen mehrere MRT-Bilder der Gehirne von 534 Menschen, die seit unterschiedlich langer Zeit an einer psychotischen Krankheit wie Schizophrenie litten. Als Kontrolle dienten MRT-Aufnahmen von gesunden Menschen.

Das Forschungsteam verglich die Daten der verschiedenen Gruppen sowie der einzelnen Personen nach drei und zwölf Monaten. Sie dokumentierten dabei vor allem die Veränderungen in der grauen Hirnsubstanz, die an der Außenseite des Gehirns liegt und die Zellkörper der Neuronen enthält. Mit mathematisch-statistischen Modellen berechneten Chopra und seine Kollegen aus den Vergleichsdaten, wie sich das Volumen der grauen Substanz jeweils verändert hatte und weiter entwickeln könnte.

Graue Hirnsubstanz schrumpft fortschreitend

Das Ergebnis: „Unser netzwerkbasiertes Modell war in der Lage, sowohl medikamentenbedingte als auch krankheitsbedingte Hirnveränderungen zu erklären und zu unterscheiden“, beschreibt Chopra eines der Ergebnisse. Den Aufnahmen zufolge zeigt sich die Psychose an einer signifikanten und fortschreitenden Abnahme im Volumen der grauen Hirnsubstanz. Gleichzeitig führt auch die Einnahme antipsychotischer Medikamente zu messbaren Verringerungen dieser Hirnschicht, wie das Team feststellte.

Dabei sind die von Psychosen verursachten Veränderungen der grauen Substanz aber nicht zufällig über das Gehirn verteilt. Wohin sie sich ausbreiten, sei vielmehr durch ein komplexes Netz struktureller Verbindungen der weißen und grauen Substanz bestimmt – „ganz ähnlich, wie wir das beim Fortschreiten neurodegenerativer Krankheiten im Gehirn beobachten“, sagt Chopra.

Hippocampus ist Epizentrum der Psychosen

Anhand dieser Analysen identifizierte das Team auch das Hirnareal, in dem die psychotischen Veränderungen wahrscheinlich zuerst auftreten. Zentraler Ausgangspunkt ist demnach der Hippocampus, das Areal, das bei Gedächtnisprozessen eine wichtige Rolle spielt, aber auch bekanntermaßen mit Schizophrenie in Verbindung steht. Dieses Areal ist als erstes von einer Psychose-bedingten Abnahme der grauen Substanz betroffen.

Vom Hippocampus aus breitet sich dann die Erkrankung mit der Zeit über die Nervenverbindungen der weißen Substanz weiter über das Gehirn aus. Zu Beginn der Psychose führt dies zu Schäden im hinteren Cortex, bei weiterem Fortschreiten der Krankheit ist der Studie zufolge dann auch der präfrontale Cortex betroffen – der Sitz der Selbstkontrolle, der Handlungssteuerung und der Vernunft.

Neue Ansatzstellen für Therapien

Diese neuen Erkenntnisse eröffnen auch neue Chancen für die Therapie von Psychosen: Vor allem der Hippocampus als Epizentrum der psychotischen Entwicklung ist den Forschenden zufolge ein potenzieller Ansatzpunkt für die Entwicklung künftiger Medikamente, die die Ausbreitung stoppen oder reduzieren können. „Diese Therapien könnten die Auswirkungen der Krankheit begrenzen oder vielleicht sogar das Risiko eines Psychoseausbruchs verringern“, sagt Chopra.

Insgesamt helfen die Ergebnisse seines Teams, die Ursachen der Gehirnveränderungen bei psychotischen Störungen zu verstehen, und eröffnen neue Möglichkeiten für die Vorhersage, wie sie sich bei einzelnen Patienten entwickeln könnten. Chopra und seine Kollegen wollen ihre Modelle entsprechend weiter ausbauen, um mögliche weitere Behandlungsziele zu ermitteln und den Verlauf der Krankheit bei einzelnen Menschen vorherzusagen. (Journal of the American Medical Association Psychiatry/ JAMA Psychiatry, 2023; doi: 10.1001/jamapsychiatry.2023.3293)

Quelle: Monash University

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