Unerkannte Oszillationen: Die Fischer-Tropsch-Reaktion wird seit rund 100 Jahren genutzt, um Kohlenwasserstoffe aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff zu erzeugen. Doch erst jetzt haben Chemiker entdeckt, dass dabei selbsterhaltende Oszillationen auftreten: Die chemische Reaktion pendelt regelmäßig zwischen einer heißen, aktiven und einer kühleren, weniger reaktiven Phase hin und her, wie das Team in „Science“ berichtet. Diese Entdeckung könnte die auch für E-Fuels und synthetische Kraftstoffe wichtige Reaktion effizienter machen.
Sie ist die Basis für nahezu alle synthetischen Kraftstoffe und viele organische Chemikalien: Die 1925 von zwei deutschen Chemikern patentierte Fischer-Tropsch-Synthese (FT) ermöglicht die Herstellung von längerkettigen Kohlenwasserstoffen aus Ausgangsstoffen wie Erdgas, Kohle oder dem aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff bestehenden Synthesegas. Damit hat die FT-Reaktion nicht nur eine große wirtschaftliche Bedeutung, sie wird auch in Zuge der emissionsarmen Sun-to-Liquid– und Power-to-Liquid-Verfahren und der Produktion von E-Fuels immer wichtiger.
Reaktionsmechanismen strittig
Doch trotz ihrer Bedeutung gibt die Fischer-Tropsch-Reaktion noch Rätsel auf: „Die zugrundeliegenden mechanistischen Schritte dieser Polymerisations-ähnlichen Oberflächenreaktion sind auch nach 100 Jahre noch immer in der Diskussion“, erklären Rui Zhang von der Washington State University in den USA und seine Kollegen. So ist noch immer strittig, auf welche Weise diese komplexe Abfolge von Reaktionen zur schrittweisen Verlängerung der Kohlenwasserstoffketten führt.
„Jüngste experimentelle Studien legen nahe, dass es wahrscheinlich keine einheitliche, allumfassenden Reaktionsmechanismus gibt, durch den Paraffine, Olefine und Oxygenate wie Alkohol und Aldehyde entstehen“, so die Chemiker. Klar ist nur, dass für die Fischer-Tropsch-Reaktion Katalysatoren auf Basis von Cobalt oder Eisen nötig sind. Sie spalten Kohlenmonoxid und molekularen Wasserstoff auf und ermöglichen so die Bildung neuer Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen.
Verblüffend regelmäßige Oszillationen
Um mehr über die Prozesse bei dieser wichtigen Synthese herauszufinden, ließ Zhang die Fischer-Tropsch-Reaktion in einem Versuchsreaktor mit Cobalt-Katalysator ablaufen, als er Überraschendes bemerkte: Bei Ausgangsbedingungen von rund 200 Grad und Normaldruck begann die Reaktion regelmäßige Oszillationen zu zeigen. Alle gut fünf Minuten stieg die Temperatur des Reaktionsgemischs um rund sieben Grad an, um dann wieder abzusinken.
„Das war wirklich merkwürdig“, erinnert sich Zhangs Kollege, Seniorautor Norbert Kruse. Nähere Untersuchungen ergaben, dass diese Schwankungen im Temperaturbereich von 200 bis rund 260 Grad auftreten und mit ebenso regelmäßigen Zu- und Abnahmen der Reaktionsausbeute verbunden sind. „Die Temperaturen der Oszillationen reflektierten periodische Veränderungen in der Exothermik der Reaktion“, erklären die Chemiker. Die Schwankungen sind selbsterhaltend und halten mehr als 24 Stunden lang an.
Das Tempo der Oszillationen hängt den Analysen zufolge vom Mischungsverhältnis der zugeführten Ausgangsstoffe Kohlenmonoxid und Wasserstoff ab. Sie treten zudem nur auf, wenn ein gängiger Cobaltkatalysator mit Ceriumoxid als Promoter verwendet wird.
Sich wiederholender Kreislauf
Das Erstaunliche daran: Obwohl die Fischer-Tropsch-Reaktion seit 100 Jahren bekannt ist und weltweit großtechnisch genutzt wird, blieben diese Oszillationen bis jetzt weitgehend unerkannt – möglicherweise, weil sie nur in einem begrenzten Temperaturbereich auftreten. Um der Ursache dieser Schwankungen auf den Grund zu gehen, rekonstruierten die Chemiker die möglichen Abläufe in einem Modell der Reaktionsdynamiken.
Die Modellierung ergab, dass die treibende Kraft der Schwankungen wahrscheinlich im Kontakt der Gase mit der Katalysatoroberfläche liegt. Die schrittweise Verlängerung der Kohlenwasserstoffketten kann nur ablaufen, wenn Kohlenmonoxid und Wasserstoff in Kontakt mit dem Cobalt sind. Wenn jedoch die chemische Reaktion so intensiv abläuft, dass vermehrt Energie in Form von Wärme frei wird, bewegen sich die Gase zu stark und verlieren diesen Kontakt. Als Folge verlangsamt sich die Reaktion, die Temperatur sinkt – und die Reaktionspartner erhalten wieder Kontakt zum Katalysator. Der Zyklus kann nun von Neuem beginnen.
Nützlich für die Synthese von E-Fuels und Co
„Normalerweise sind Reaktionsraten-Oszillationen, die mit größeren Temperaturschwankungen verbunden sind, in der chemischen Industrie unerwünscht – aus Sicherheitsgründen“, erklärt Kruse. „In diesem Falle sind die Oszillationen jedoch unter Kontrolle und mechanistisch gut verstanden.“ Dadurch könnten diese neuentdeckten Oszillationen in der altbekannten Fischer-Tropsch-Reaktion sogar Vorteile bringen, wie die Chemiker erklären.
Nach Ansicht von Zhang und seine Kollegen könnte das Wissen um diese oszillierenden Reaktionszustände gezielt genutzt werden, um die Leistung der Fischer-Tropsch-Reaktion in Bezug auf Reaktionsrate und Selektivität zu erhöhen – beispielsweise durch Einsatz eines sich dynamisch anpassenden Katalysators. Das könnte die Herstellung von E-Fuels und anderen synthetischen Kohlenwasserstoffprodukten effizienter und sparsamer machen.
Ähnlich sehen es auch die nicht an der Studie beteiligten Chemiker Hans Niemantsverdriet und Kees-Jan Weststrate von Syngaschem in den Niederlanden. „Die Entdeckung von Zhang und Team, dass auch ein so komplexes katalytisches System wie die Fischer-Tropsch-Reaktion spontan Oszillationen entwickeln kann, die sich über den gesamten Reaktor erstrecken, ist bemerkenswert“, schreiben sie in einem begleitenden Kommentar in „Science“. „Dies könnte neue Wege eröffnen, um die Leistung der FT-Synthese zu verbessern, vor allem bei der Produktion grüner Kraftstoffe.“ (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adh8463)
Quelle: Washington State University