Medizin

Wie einzigartig ist „Long Covid“?

Spätfolgen von „normalen“ Erkältungen und Covid-19 verglichen

Illustration zwei verschiedener Virentypen
Akute Atemwegsinfektionen wie Erkältungen, Grippe oder Lungenentzündung können ebenfalls langfristige gesundheitliche Auswirkungen haben, gehen aber auf andere Erreger als das Coronavirus zurück. © wildpixel / Getty Images

Unterschätzte Gefahr: Das Coronavirus ist nicht der einzige Erreger, der Spätfolgen wie „Long Covid“ hervorrufen kann, wie nun eine Studie bestätigt. Demnach können auch andere Erkältungsviren langanhaltende Beschwerden nach sich ziehen. Allerdings deckt sich das von den Forschenden „Long Colds“ genannte Krankheitsbild ihren Analysen zufolge nur teilweise mit dem von „Long Covid“. Welche Faktoren das Risiko von Spätfolgen in beiden Fällen erhöhen, muss weiter untersucht werden.

„Long Covid“ ist das Schreckgespenst der Corona-Pandemie. Es verfolgt uns auch noch, nachdem die akuten Corona-Erkrankungen dank Impfungen ihren Schrecken weitgehend verloren haben. Die Spätfolgen einer SARS-CoV-2-Infektion sind inzwischen eine anerkannte Erkrankung, obwohl die Symptome von „Long Covid“ vielfältig und noch nicht abschließend verstanden sind. Zahlreiche Studien suchen derzeit nach den Ursachen und möglichen Therapien gegen die über 200 bislang beschriebenen Langzeitsymptome nach einer Coronavirus-Infektion.

Zugleich ist seit langem bekannt, dass auch andere Atemwegsinfektionen Langzeitbeschwerden wie chronische Müdigkeit und Kurzatmigkeit verursachen können. Sie werden aber bei weitem nicht so intensiv erforscht wie „Long Covid“ und hatten bislang keinen Sammelbegriff. Noch weniger Studien gibt es, die beide Paletten an Langzeitsymptomen in Zusammenhang bringen.

„Long Colds“ und „Long Covid“ im Vergleich

Nun haben Forschende um Giulia Vivaldi von der Queen Mary University of London umfassend verglichen, welche Langzeitsymptome bei Patienten nach einer Corona-Infektion auftreten und welche nach akuten Atemwegsinfektion, die durch andere Erreger verursacht wurden. Spätfolgen durch Letztere sammelten sie unter dem Begriff „Long Colds“, in Analogie zu „Long Covid“.

Um für beide Krankheitsbilder Symptomcluster zu identifizieren und die Schwere der Erkrankungen zu vergleichen, werteten die Wissenschaftler von Betroffenen ausgefüllte Fragebögen statistisch aus. Als Langzeitsymptom galten dabei Beschwerden, die mindestens vier Wochen nach Beginn der Infektion noch auftraten. Die Analyse ist eine Teilstudie der britischen Corona-Studie COVIDENCE UK, die bereits im Jahr 2020 gestartet wurde und noch nicht abgeschlossen ist. Insgesamt nehmen daran rund 19.000 Personen teil.

Die Teilstudie von Vivaldi und ihrem Team umfasste Daten von über 10.000 Menschen, darunter 1.311 Covid-Patienten und 472 Patienten mit anderen Atemwegsinfektionen mit Langzeitbeschwerden zwischen Mai 2020 und Oktober 2021. Zu dieser Zeit kursierten vor allem die Alpha- und Delta-Variante des Coronavirus SARS-CoV-2 sowie diverse andere Viren. Influenzaviren waren wegen der Lockdowns eher weniger im Umlauf. Ob die Patienten an Covid-19 litten oder nicht, wurde mit Schnelltests oder PCR-Tests diagnostiziert. Nur wenige Probanden waren gegen Covid-19 geimpft.

Häufige Symptome nach Atemwegsinfektionen

Der Vergleich bestätigte: Auch nach „normalen“ Atemwegsinfektionen treten Spätfolgen auf. Die Symptome unterscheiden sich jedoch etwas: Personen, die sich von einer schweren Covid-19-Erkrankung erholten, litten häufiger unter Benommenheit oder Schwindelgefühlen, Herzrasen sowie Gedächtnis-, Geschmacks- und Geruchsproblemen als Personen, die eine andere schwere Atemwegsinfektion überstanden hatten. Zu den häufigsten Symptomen solcher „Long Colds“ gehörten dagegen Husten, Magenschmerzen und Durchfall.

Die Bandbreite der Beschwerden war allerdings in beiden Fällen groß, mit Überlappungen insbesondere nach milderen Krankheitsverläufen von Covid-19 oder anderen Infektionen, wie das Team betont. Ob die Symptome bei „Long Colds“ insgesamt gleich schwer sind oder gleich lange anhalten wie bei „Long Covid“, ließ sich anhand der Daten nicht ablesen.

Spätfolgen oft schwer zu diagnostizieren

Nach Ansicht von Vivaldi und ihren Kollegen deuten die Ergebnisse darauf hin, dass akute Atemwegsinfektionen wie Erkältungen, Grippe oder Lungenentzündung ebenfalls langfristige gesundheitliche Auswirkungen haben können, die aber derzeit nicht immer richtig zugeordnet werden. So schrieb jede zehnte Testperson mit einer vorhergehenden Nicht-Covid-Atemwegsinfektion ihre anhaltenden Symptome „Long Covid“ zu, wie die Forschenden berichten.

„Diese ‚langwierigen‘ Infektionen sind schwer zu diagnostizieren und zu behandeln, weil es so viele mögliche Symptome gibt und es an diagnostischen Tests dafür mangelt“, erklärt Vivaldi. „Zudem verhindert mangelndes Bewusstsein für die Folgen von Atemwegsinfektionen, wie es das Fehlen eines gemeinsamen Begriffs widerspiegelt, die Meldung und Diagnose dieser Erkrankungen“, ergänzt sie.

Noch viele offene Fragen

Während die Forschung zu „Long Covid“ weitergeht, müssten daher auch die dauerhaften Auswirkungen anderer akuter Atemwegsinfektionen weiter untersucht werden, mahnen die Autorinnen und Autoren. Ihre Studie liefere nur einen „Schnappschuss“, sei aber ein Anfang. Ähnlich sieht es auch der nicht an der Studie beteiligte Mediziner Peter Renshaw vom Imperial College London: „Diese Studie ist wichtig, weil sie zeigt, dass die Regeneration nach einer Atemwegsinfektion lange dauern kann – unabhängig von ihrem Auslöser“, kommentiert er.

Noch nicht eindeutig geklärt ist jedoch, warum manche Menschen unter anhaltenden Symptomen leiden, andere jedoch nicht. Auch der Anteil der Menschen mit solchen Spätfolgen nach einer Virusinfektion ist noch nicht genau bezifferbar. Ein wesentlicher Faktor für das Risiko langfristiger Symptome scheint jedoch der Schweregrad der Infektionskrankheit zu sein.

„Studien wie diese tragen dazu bei, das Bewusstsein für andere anhaltende Atemwegsinfektionen zu schärfen. Das könnte uns letztlich helfen, die am besten geeignete Form der Behandlung und Pflege für betroffene Menschen zu finden“, sagt Seniorautor Adrian Martineau von der Queen Mary University of London. (EClinicalMedicine, 2023; doi: 10.1016/j.eclinm.2023.102251)

Quelle: Queen Mary University of London

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