Atome jenseits des Bekannten: Einige Asteroiden haben eine unerklärlich hohe Dichte – kein bisher bekanntes Element ist dafür schwer genug. Doch im Weltall gibt es möglicherweise mehr Elemente als die 118 in unserem Periodensystem erfassten, wie nun Physiker postulieren. Ihren Berechnungen zufolge könnten Elemente mit rund 164 Protonen stabil und schwer genug sein, um die Existenz der ultradichten Asteroiden zu erklären. Diese übergroßen Atome nachzuweisen, könnte jedoch schwierig bis unmöglich sein.
Wie weit reicht die Palette der Elemente im Universum? Und wie vollständig ist unser chemisches Periodensystem? Mit dem Nachweis der superschweren Elemente mit den Ordnungszahlen 113 bis 118 ist die siebte und unterste Periode der Atomtabelle vollständig – vorerst. Doch ob es jenseits der bekannten Elemente noch weitere, schwerere Atome gibt, ist ungewiss. Gegen die Existenz weiterer Elemente spricht, dass alle bisher bekannten superschweren Elemente extrem instabil sind und schon nach Sekundenbruchteilen wieder zerfallen. Die hohe Zahl an Protonen verstärkt ihre gegenseitige Abstoßung.
Andererseits vermuten Kernphysiker schon länger, dass es jenseits der heute bekannten Atomsorten eine Insel der Stabilität geben könnte – einen Bereich, in dem bestimmte Wechselwirkungen der Nukleonen den Atomkern trotz der Abstoßung stabilisieren. Eine dieser hypothetischen Inseln der Stabilität könnte bei Atomen mit 126 Protonen und 228 Neutronen liegen, eine weitere bei 164 Protonen und 308 oder 318 Neutronen.
Das Rätsel der ultradichten Asteroiden
An diesem Punkt setzt nun die Studie von Evan LaForge und seinen Kollegen von der University of Arizona an. Ihre Idee: Möglicherweise könnte noch unbekannte superschwere Elemente erklären, warum einige Asteroiden im Sonnensystem weit schwerer und dichter sind als eigentlich möglich. „Besonders bemerkenswert ist der Asteroid (33) Polyhymnia: Basierend auf Massen- und Größenmessungen wurde seine Dichte auf 75,3 Gramm pro Kubikzentimeter berechnet“, so die Forscher.
Das Merkwürdige daran: Das dichteste stabile Element im Periodensystem ist das Schwermetall Osmium mit einer Dichte von 22,59 Gramm pro Kubikzentimeter. Doch der Asteroid Polyhymnia ist mehr als dreimal so dicht – mit den bisher bekannten Elementen ist dies nicht erklärbar. „Die Massedichte dieses Asteroiden liegt damit weit über der Maximaldichte der bekannten atomaren Materie“, erklären LaForge und seine Kollegen. „Wir wollten daher erforschen, ob diese kompakten ultradichten Objekte (CUDO) aus superschweren Elementen jenseits des Periodensystems bestehen könnten.“
Radius der superschweren Elemente kalkuliert
Um herauszufinden, welche Dichte Elemente jenseits der Ordnungszahl 118 haben könnten, nutzten LaForge und sein Team das sogenannte Thomas-Fermi-Modell. Dieses gibt an, wie groß der Radius der positiv geladenen Atomrümpfe eines Metalls ist – der Teil des Atoms, der den Atomkern sowie die noch fest an ihn gebundenen Elektronen umfasst. Denn ein Teil der äußeren Elektronen bildet bei Schwermetallen und Metallen einen delokalisierten „Elektronensee“ – dies macht Metalle zu guten Leitern für Strom und Wärme.
Wie dicht die Atome in einem Metall gepackt sind, hängt daher primär vom Radius ihrer Atomrümpfe ab. „Wir haben das Thomas-Fermi-Modell verwendet, weil es trotz seiner relativen Ungenauigkeit eine systematische Erkundung des Atomverhaltens als Funktion der Protonenzahl erlaubt – auch jenseits des bekannten Periodensystems“, erklärt Seniorautor Jan Rafelski. Nachdem er und sein Team das Modell zur Überprüfung auf bekannte Metalle angewendet hatten, kalkulierten sie damit auch Elemente bis zur Ordnungszahl 164.
Dichte des Elements 164 würde zu Polyhymnia passen
Das Ergebnis: Den Kalkulationen nach müsste das Element 164 einen Atomrumpf-Radius zwischen 0,13 und 0,16 Nanometer Größe haben. „Daraus leiten wir ab, dass Element 164 eine Dichte zwischen 36 und 68,4 Gramm pro Kubikzentimeter haben müsste“, berichten die Physiker. Sollte dieses Element existieren und stabil sein, wie für die Elemente in dieser „Insel der Stabilität“ postuliert, dann könnte dies erklären, warum der Asteroid (33) Polyhymnia so unerklärlich schwer ist.
„Wenn ein signifikanter Teil des Asteroiden aus solchen superschweren Metallen bestünde, dann würde seine Massendichte nahe an dem beobachteten Wert liegen“, erklären LaForge und seine Kollegen. Das belege, dass solche kompakten ultradichten Objekte auch ohne Dunkle Materie oder exotische Materieformen zustande kommen könnten.
Gibt es die „Superschweren“ überhaupt?
Allerdings: Ob solche superschweren Elemente weit jenseits unseres Periodensystems existieren, ist weiterhin ungeklärt – und wird es wohl noch eine Weile bleiben. Denn diese übergroßen Atome im Labor herzustellen, gilt als extrem schwierig bis unmöglich. „Alle superschweren Elemente – sowohl die instabilen als auch diejenigen, die nur noch nicht nachgewiesen wurden – werden meist als ‚Unobtainium‘ zusammengefasst“, sagt Radelski. Zu Deutsch heißt dies so viel wie „Unereichbarium“.
„Die Vorstellung, dass dennoch einige dieser Elemente stabil genug sein könnten, um in unserem Sonnensystem vorzukommen, ist umso spannender.“ (The European Physical Journal Plus, 2023; doi: 10.1140/epjp/s13360-023-04454-8)
Quelle: The European Physical Journal Plus, SciencePOD