Medizin

Neue „Abnehmspritze“ wirkt

Doppelwirkstoff Tirzepatid lässt Adipositas-Betroffene im Schnitt um 26 Prozent abnehmen

Spritze
Die "Abnehmspritze" Wegovy sorgt seit einiger Zeit für Aufsehen, jetzt gibt es mit Tirzepatid einen weiteren Wirkstoff. © betaverso/ Getty images

Doppelt wirkt besser: Nach der „Abnehmspritze“ Wegovy zeigt nun ein zweiter ursprünglich für Diabetiker entwickelter Wirkstoff Erfolge gegen Adipositas, wie eine aktuelle Studie belegt. Mithilfe von Tirzepatid und einer einleitenden Diät nahmen die stark übergewichtigen Testpersonen in rund eineinhalb Jahren gut 21 Kilogramm ab – das entsprach rund 26 Prozent ihres Körpergewichts. Auch ihre Blutwerte und ihr Blutdruck verbesserten sich. Tirzepatid ahmt die Wirkung von zwei Darmhormonen nach, die Sättigungsgefühl und Zuckerstoffwechsel beeinflussen.

Menschen mit starkem Übergewicht schaffen es nur selten, allein durch Diäten oder Sport dauerhaft abzunehmen. Denn biologische Faktoren wie die Gene, die Darmflora, ein veränderter Energiehaushalt und eine aus dem Gleichgewicht geratene hormonelle Steuerung von Hunger und Sättigung wirken dem Gewichtsverlust entgegen.

Abhilfe versprechen in jüngster Zeit jedoch mehrere Wirkstoffe, die ursprünglich gegen Diabetes entwickelt worden sind – darunter vor allem das als „Abnehmspritze“ bekannt gewordenen Präparat Wegovy mit dem Wirkstoff Semaglutid. Dieses Mittel ahmt das körpereigene Darmhormon Glucagon-like Peptide-1 (GLP-1) nach, das den Zuckerstoffwechsel und das Sättigungsgefühl beeinflusst. Als Folge verspüren Übergewichtige weniger Hunger und nehmen nachhaltiger ab – zumindest solange sie sich den Wirkstoff weiterhin einmal wöchentlich spritzen.

Tirzepatid
Der neue Wirkstoff Tirzepatid kombiniert den Grundaufbau des Darmhormons GLP-1 mit Teilen des des Botenstoffs GIP. © Benff/ CC-by-sa 4.0

Imitation von zwei Darmhormonen auf einmal

Inzwischen gibt es jedoch eine Weiterentwicklung: Das ebenfalls ursprünglich gegen Diabetes entwickelte Tirzepatid imitiert nicht nur die Wirkung des GLP-1-Botenstoffs, sondern auch die eines zweiten Darmhormons, des Glukoseabhängigen Insulinotropen Peptids (GIP). In einer ersten klinischen Studie des Pharmakonzerns Ely Lilly konnten rund zwei Drittel der Testpersonen ihr Körpergewicht mithilfe dieses Mittels um mehr als 20 Prozent reduzieren. Eine Zulassung von Tirzepatid zur Adipositas-Therapie ist bereits in Arbeit.

Ob sich der Abnehmerfolg durch Tirzepatid sogar noch weiter erhöhen lässt, haben nun Thomas Wadden von der University of Pennsylvania und seine Kollegen untersucht. Für ihre klinische Studie unterzogen sich 806 stark übergewichtige Testpersonen zunächst zwölf Wochen lang einer klassischen Diät, inklusive intensiver Beratung und Lebensstilumstellung. Wer diese Phase durchhielt und mindestens fünf Prozent abgenommen hatte, durfte an der zweiten, 72 Wochen dauernden Studienphase teilnehmen.

In diesem zweiten Studienteil erhielt die Hälfte der Teilnehmenden ein Placebo, die andere einmal wöchentlich eine Tirzepatid-Spritze. Deren Dosis wurde allmählich von anfangs 2,5 Milligramm auf am Schluss zehn bis 15 Milligramm erhöht. Weder Teilnehmende noch Forschende wussten, wer was bekommt.

Deutliche Abnehmerfolge

Das Ergebnis: Am Ende der Studie hatten die Teilnehmenden der Tirzepatid-Gruppe im Schnitt rund 21,5 Kilogramm Gewicht verloren, dies entspricht rund 26,6 Prozent des anfänglichen Körpergewichts, wie Wadden und sein Team berichten. Davon entfielen rund 18,4 Prozent auf die Studienphase mit wöchentlicher Tirzepatid-Gabe. Im Schnitt hatte sich im Verlauf der gesamten Studiendauer der BMI um knapp acht Punkte verringert, der Taillenumfang um 14,6 Zentimeter. Die Testpersonen in der Placebogruppe nahmen im Laufe der Studie dagegen nur um 3,8 Prozent ab.

Der mit Tirzepatid erreichte Abnehmerfolg lag wie schon in früheren Studien damit deutlich über denen, die mit Semaglutid erzielt wurden. Dies bestätigt, dass die bei Tirzapatid gekoppelte Nachahmung der Darmhormone GLP-1 und GIP stärker abnehmfördernd wirkt. In seinen Nebenwirkungen ist Tirzepatid dem Semaglutid hingegen sehr ähnlich: Es verursacht vor allem Nebenwirkungen im Verdauungstrakt, darunter Übelkeit, Durchfall oder Verstopfung. Sie treten vor allem dann auf, wenn die Dosis des Wirkstoffs erhöht wird und flauen dann wieder ab.

Chance für Adipositas-Betroffene…

„Diese Resultate liefern solide Belege dafür, dass Tirzepatid nicht nur eine effektive Therapie für Menschen mit Diabetes Typ-2 ist, sondern auch dabei hilft, gemeinsam mit einer kalorienreduzierten Diät, Bewegung und Beratung effektiv einen signifikanten, lebensverändernden Gewichtsverlust zu erzielen“, sagt Co-Autor Gitanjali Srivastava von der Vanderbilt University. „Diese neuen Therapien verändern die Landschaft der Adipositas-Behandlung rapide – und weitere sind schon in der Entwicklung.“

Sowohl Semaglutid als auch Tirzepatid bieten Menschen mit starkem Übergewicht demnach eine Chance, besser und effizienter an Gewicht zu verlieren als mit Diäten und gängigen Methoden allein. Allerdings erfordern beide Wirkstoffe eine wöchentliche Injektion und eine im Extremfall lebenslange Anwendung. Denn Studien zeigen auch, dass der Heißhunger nach Absetzen der Mittel wieder einsetzt.

…aber kein Lifestyle-Mittel

Doch ein Lifestyle-Mittel sind Abnehmspritzen wie Tirzepatid, Semaglutid und Co nicht, betonen Experten. Wer nicht fettleibig ist und nur auf die Schnelle einige Pfunde abspecken will, sollte die Finger von diesen Wirkstoffen lassen. Denn ohne ärztliche Begleitung ist die Einnahme dieser Wirkstoffe riskant und bei uns schlicht illegal. Hinzu kommt: Durch die steigende Nachfrage nach Wegovy und Ozempic kommt es hierzulande immer häufiger zu Lieferengpässen, wodurch Diabetikern das dringend benötigte Medikament fehlt. (Nature Medicine, 2023; doi: 10.1038/s41591-023-02597-w)

Quelle: Vanderbilt University Medical Center

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