Psychologie

Warum wir manches lieber nicht wissen wollen

Egoistische Entscheidungen fallen leichter, wenn wir die Folgen für andere nicht kennen

Gewolltes Nichtwissen
Nichts hören, nichts sehen: Viele von uns wollen über bestimmte Dinge bewusst nichts wissen, wir blenden problematische Informationen lieber aus. © ZoneCreative/ Getty images

Vorsätzliche Ignoranz: Manche Informationen wollen wir gar nicht – sei es eine Krankheitsdiagnose oder die Klimafolgen unseres Handelns. Welche psychologischen Mechanismen dahinterstecken, haben Forschende jetzt aufgeklärt. Demnach hängt die bewusste Ignoranz eng mit unserem Egoismus zusammen. Denn wer die Konsequenzen der eigenen Entscheidungen nicht kennt, kann egoistisch handeln und trotzdem ein positives Selbstbild bewahren. Die gewählte Unwissenheit bietet so eine Möglichkeit, moralischen Ansprüchen auszuweichen.

Ob die Klimakrise, Kriegsnachrichten oder die umweltschädliche Herkunft unserer Kleidung: Nicht immer wollen wir alle Informationen haben, die wir bekommen könnten. Denn selbst wenn das zusätzliche Wissen für uns hilfreich sein könnte, stellt es mitunter eine Belastung dar, die wir lieber vermeiden wollen – etwa, wenn wir unser Risiko für schwere Krankheiten erfahren. Auch wenn es um die Konsequenzen unseres Handelns geht, kann Unwissenheit die angenehmere Wahl sein.

„Beispiele für solche vorsätzliche Ignoranz gibt es im Alltag zuhauf, etwa wenn Verbraucher Informationen über die problematische Herkunft der von ihnen gekauften Produkte ignorieren“, sagt Linh Vu von der Universität Amsterdam in den Niederlanden. „Wir wollten wissen, wie weit verbreitet und wie schädlich vorsätzliche Ignoranz ist und warum die Menschen sich darauf einlassen“.

Viel für mich, wenig für die anderen?

2007 gab es zu dieser Frage bereits eine einflussreiche Studie: In ihr standen Versuchspersonen vor der Wahl, entweder fünf oder sechs Dollar zu erhalten. Entschieden sie sich für die kleinere Belohnung, erhielt eine andere Person ebenfalls fünf Dollar. Wählten sie dagegen die größere Belohnung, erhielt die andere Person nur einen Dollar. Während eine Gruppe der Versuchspersonen diese Information ungefragt erhielt, durften andere selbst entscheiden, ob sie erfahren wollten, wie sich ihre Entscheidung auf den Lohn für die andere Person auswirkte.

Damals zeigte sich: Während rund drei Viertel der ungefragt Informierten die altruistische Option wählten, entschieden sich 44 Prozent der Menschen, die die Wahl hatten, lieber uninformiert zu bleiben und die für sie selbst lukrativste Option in Anspruch zu nehmen. Seither wurde dieser Versuch mehrfach in verschiedenen Varianten wiederholt. Mal war das Gegenüber keine anonyme Person, sondern eine wohltätige Organisation. Mal mussten die Teilnehmenden einen geringen Betrag dafür zahlen, die Information über die Folgen zu erhalten – ähnlich wie auch im realen Leben die Informationsbeschaffung manchmal mit Aufwand oder Kosten verbunden ist.

Informationen lieber vermeiden

Um mehr darüber herauszufinden, welche Beweggründe hinter der gewählten Ignoranz stehen, haben nun Vu und ihr Team die bisherigen Erkenntnisse dazu noch einmal zusammengetragen und ausgewertet. Für ihre Metastudie nutzten sie die Ergebnisse von 22 Studien, die meisten davon aus Deutschland und den USA, in denen insgesamt 6.531 Teilnehmende mehr als 33.000 informierte oder nicht informierte Entscheidungen treffen sollten.

Die Ergebnisse bestätigen den Hang zur bewussten Ignoranz: „Im Durchschnitt aller ausgewerteten Studien entschieden sich 39,8 Prozent der Versuchspersonen, Informationen zu den Konsequenzen ihres Handelns zu vermeiden“, berichtet das Forschungsteam. Ob die Information mit Kosten verbunden war, spielte dabei keine signifikante Rolle – wahrscheinlich, so die Forschenden, weil die Kosten in allen Fällen sehr gering waren.

Altruismus fürs gute Gewissen

Die Experimente enthüllten auch die Folgen dieser bewussten Ignoranz: Versuchspersonen, die die Folgen ihrer Entscheidung nicht wissen wollten, verhielten sich egoistischer. Dies war unabhängig davon, ob der Empfänger ein Mitspieler oder eine wohltätige Organisation war. Diejenigen, die sich dagegen bewusst dafür entschieden, alle Informationen zu bekommen, handelten meist am altruistischsten. Ihre Wahrscheinlichkeit, die altruistische Option zu wählen, lag um sieben Prozentpunkte höher als bei Teilnehmenden, die ungefragt informiert wurden.

„Zwar sind die meisten Menschen bereit, das Richtige zu tun, wenn sie über die Folgen ihres Handelns vollständig informiert sind, doch ist diese Bereitschaft nicht immer darauf zurückzuführen, dass sie sich für andere einsetzen“, sagt Vus Kollege Shaul Shalvi. „Ein Teil der Gründe, warum Menschen altruistisch handeln, ist auf den gesellschaftlichen Druck zurückzuführen, aber auch auf den Wunsch, sich selbst in einem guten Licht zu sehen.“

Gleichzeitig erklärt dies auch, warum viele Menschen die bewusste Unwissenheit vorziehen: „Da Rechtschaffenheit oft kostspielig ist und den Menschen Zeit, Geld und Mühe abverlangt, bietet Unwissenheit einen einfachen Ausweg“, erklärt Shalvi. (Psychological Bulletin, 2023, doi: 10.1037/bul0000398)

Quelle: American Psychological Association

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