Biologie

Korallenbleiche reicht überraschend tief

Erster Nachweis von massenhaftem Korallensterben in 90 Meter Wassertiefe

Korallen
Diese Korallen im Indischen Ozean sind größtenteils ausgebleicht und abgestorben – obwohl sie rund 90 Meter Tiefe liegen und damit eigentlich in kühlerem Wasser. © University of Plymouth

Refugien zerstört: Entgegen bisherigen Annahmen trifft die Korallenbleiche nicht nur tropische Flachwasserkorallen – selbst Riffe in tieferen Lagen sind betroffen, wie sich nun zeigt. Im Indischen Ozean haben Forschende Riffe entdeckt, in denen Korallen in 60 bis 90 Meter Tiefe fast flächendeckend ausgebleicht waren. Das Merkwürdige jedoch: Die darüber liegenden Flachwasserkorallen waren unversehrt. Des Rätsels Lösung und die Ursache dafür haben die Wissenschaftler bei näheren Analysen entdeckt.

Tropische Korallenriffe gehören zu den artenreichsten Lebensräumen unseres Planeten. Doch sie sind akut bedroht: Allein im Great Barrier Reef sind in den letzten Jahren mehrfach bis zu 90 Prozent der Korallen abgestorben. Als Ursache der Korallenbleiche gilt vor allem die klimabedingte Erwärmung der Meere, durch sie erreichten die Ozeantemperaturen in den letzten Jahren immer wieder Rekordwerte und marine Hitzewellen häufen sich. Als besonders von der Korallenbleiche gefährdet galten bisher die tropischen Flachwasserkorallen, weil sie an der warmen Wasseroberfläche liegen.

Korallenbleiche
Tote Korallen in 90 Meter Tiefe vor der Küste des Egmont Atolls im zentralen Indischen Ozean. © Burke et al. /PNAS

Abgestorbene Korallen in 90 Meter Wassertiefe

Als deutlich widerstandsfähiger galten bisher Korallen in mittleren Wassertiefen von 30 bis 150 Metern Tiefe. „Man nahm an, dass diese mesophotischen Korallengemeinschaften besser gegen anthropogene Veränderungen gepuffert sind, weil sie in tieferem, kühlerem Wasser liegen“, erklären Clara Diaz von der University of Plymouth und ihre Kollegen. Diese tieferen Zonen der Riffe galten sogar als Refugien für Korallenlarven und damit als Regenerations-Reservoire für die Flachwasserkorallen.

Doch auch diese tiefer liegenden Korallen sind offenbar nicht gegen die Korallenbleiche gefeit, wie Diaz und ihr Team im Chagos-Archipel im zentralen Indischen Ozean entdeckt haben. Bei Untersuchungen mit einem Tauchroboter stießen sie dort im Jahr 2019 erstmals auf eine ausgedehnte und gravierende Korallenbleiche in Wassertiefen zwischen 60 und 90 Metern – so tief wie noch nie zuvor beobachtet. Zwischen 75 und fast 100 Prozent der Korallen waren in dieser Tiefe abgestorben.

„Das demonstriert, dass mesophotische Korallen ebenso anfällig für die Korallenbleiche und thermischen Stress sind wie die Flachwasserriffe“, konstatieren Diaz und ihr Team.

Warum blieben die höherliegenden Korallen verschont?

Das Merkwürdige jedoch: Die in höheren Zonen derselben Riffe lebenden Flachwasserkorallen waren völlig unversehrt. Sie wiesen keinerlei Anzeichen von Korallenbleiche auf. Aber warum? Um eine Antwort zu finden, analysierten Diaz und ihre Kollegen weitere Daten aus diesem Meeresgebiet, darunter Klimadaten, Angaben zur Wasserschichtung und den Temperaturen in verschiedenen Wasserschichten.

Es zeigte sich: Die Wassertemperatur im Bereich zwischen 60 und 90 Meter stieg 2019 im zentralen Indischen Ozean innerhalb kürzester Zeit von 22 auf 29 Grad an. Dadurch lagen die sonst an kühlere Bedingungen gewöhnten mesophotischen Korallenriffe plötzlich monatelang in ungewohnt warmem Wasser – was ihren Stoffwechsel und vor allem ihre Korallensymbionten überforderte, wie die Forschenden erklären. Dagegen war an der Wasseroberfläche und im Bereich der höher liegenden Flachwasserkorallen kein ungewöhnlicher Temperaturanstieg detektierbar.

Abgesenkte Sprungschicht

Wie ist das möglich? Nähere Analysen ergaben, dass die scheinbar paradoxe Temperaturentwicklung mit der sogenannten Sprungschicht oder Thermokline zusammenhängt. Sie markiert einen Bereich, in dem warmes Oberflächenwasser und kühleres Tiefenwasser aneinandergrenzen. An dieser Schichtgrenze springt die Wassertemperatur dadurch abrupt um mehrere Grad. Unter normalen Umständen liegen die mesophotischen Korallen unter dieser Sprungschicht und geraten höchstens kurzzeitig unter Warmwassereinfluss.

Nicht so im Jahr 2019: Die Sprungschicht im Indischen Ozean verlagerte sich über Monate hinweg ungewöhnlich weit in die Tiefe. Dadurch lagen die mesophotischen Korallenriffe in für sie ungewohnt warmem Wasser – und blichen aus. Als Auslöser dieses Thermoklinen-Sprungs haben Diaz und ihr Team den sogenannten Indischen Ozean Dipol (IOD) identifiziert, eine natürliche Klimaschwankung, die eng mit dem El- Niño-/La-Niña-System im Pazifik verknüpft ist.

Ist der IOD in einer stark positiven Phase, wie im Jahr 2019 der Fall, dann verstärken sich die Westwinde über dem Indischen Ozean und stauen warmes Oberflächenwasser im westlichen und zentralen Teil des Meeres. Dies drückt die Sprungschicht nach unten. „Die abgesenkte Thermokline verlagerte sich immer weiter nach Westen in Richtung auf die Korallenhabitate in den Seychellen und um Mauritius“, berichten Diaz und ihre Kollegen. „Dort sind daher ähnliche Auswirkungen auf die Korallenriffe zu erwarten.“

Anfälliger als gedacht

Nach Ansicht der Forschenden demonstrieren diese Ergebnisse, dass die Korallen der mittleren Tiefen keineswegs immun gegen die klimabedingten Veränderungen der Ozeane sind. „Unsere Studie stützt zudem die zunehmenden Belege dafür, dass die mesophotischen Riffe keineswegs universelle Refugien für Flachwasserkorallen sind“, so Diaz und ihre Kollegen. Stattdessen seien diese Korallen ähnlich anfällig gegenüber zu hohen Wassertemperaturen wie Riffe in flacherem Wasser.

Das bedeutet: Auch der Klimawandel könnte diesen wertvollen Korallen-Ökosystemen stärker zusetzen als bislang angenommen. Denn durch den Klimawandel werden Klimaphänomene wie der El Niño und der IOD häufiger und intensiver. „In Zukunft wird die Korallenbleiche in der Tiefe des Ozeans dadurch hier und anderswo wahrscheinlich regelmäßiger auftreten“, so Diaz. (Nature Communications, 2023; doi: 10.1038/s41467-023-42279-2)

Quelle: University of Plymouth

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