Geowissen

Neuer Atlas zur arktischen Permafrost-Region

Zustand und Zukunft von Siedlungen, Lebensumwelt und Wirtschaft im Hohen Norden

Ilulisat
Vor allem in den Siedlungen entlang der arktischen Küsten, wie hier im grönländischen Ilulissat, ist wichtige Infrastruktur durch den auftauenden Permafrost gefährdet.© Leneisja Jungsberg/ target="_blank">Nunataryuk; CC-by-nc-sa 2.0

Zustand und Zukunft auf einen Blick: Ein internationales Projekt hat erstmals einen umfassenden Atlas der arktischen Permafrostregion und ihrer sozio-ökonomischen Aspekte erstellt und veröffentlicht. Die Karten zeigen nicht nur den heutigen und künftigen Zustand des Dauerfrostbodens, sondern auch, wie viele Menschen heute im Gebiet des „Nunataryuk“ leben und wie sich ihre Wirtschaft, Umwelt und ihr Leben verändern werden. So könnten bis 2050 die Hälfte aller Siedlungen und die Hälfte aller Stätten der Öl-, Gas- und sonstigen Rohstoffförderung von tauendem Permafrost betroffen sein.

Seit hunderttausenden Jahren sind die Böden der Arktis dauerhaft gefroren. Dieser Permafrost macht rund 15 Prozent der irdischen Landmassen aus und speichert gigantische Mengen an nicht zersetzten Relikten urzeitlicher Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen. Doch der Klimawandel erwärmt diese Dauerfrostböden und lässt sie auftauen. Schon jetzt kommt es dadurch zu Rutschungen, Löcher im Untergrund tun sich auf und Seen laufen aus. Auch menschliche Infrastruktur ist betroffen: Straßen, Schienen und Siedlungen werden beschädigt und versinken im Schlamm.

Permafrostkarte
Diese Karte aus dem Nunataryuk-Atlas zeigt die Ausdehnung des arktischen Permafrosts. © GRID-Arendal/ target=“_blank“>Nunataryuk; CC-by-nc-sa 2.0

Lebensraum von fünf Millionen Menschen

Welche Folgen dies für Menschen, Wirtschaft, Klima und Umwelt der nordischen Permafrostgebiete hat, zeigt nun ein neuer, 156 Seiten starker Atlas. Der im Rahmen des internationalen Projekts Nunataryuk entstandene „Arctic Permafrost Atlas“ zeigt erstmals nicht nur Ausdehnung und Zustand des Permafrosts, sondern auch die sozio-ökonomischen Aspekte dieses gefrorenen Landstrichs im hohen Norden: Wie viele Menschen leben dort? Welche Wirtschaftszweige gibt es? Wie und in welchem Ausmaß werden sie von der Erwärmung und dem Auftauen des Untergrunds betroffen sein?

„Das Auftauen des Permafrosts verändert die Ökosysteme, beschädigt die Infrastruktur und beeinflusst das Leben und die Arbeit der Menschen in der Arktis“, sagt Hugues Lantuit vom Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI) in Potsdam. Das Tram kombinierte für ihre Analysen Forschungsdaten vor Ort mit Computersimulationen und sozio-ökonomischen Analysen. Den neuen Daten zufolge leben heute rund fünf Millionen Menschen im arktischen Permafrostgebiet.

Folgen für Siedlungen und Wirtschaft

Die neuen Kartierungen und Prognosen des Atlas zeigen unter anderem, dass die Menschen in fast die Hälfte der rund 1.162 Permafrost-Siedlungen bis 2050 buchstäblich den Boden unter den Füßen verlieren werden – mehr als drei Millionen Menschen. Ihre Häuser und Arbeitsstätten werden im Schlamm des auftauenden Grunds versinken oder durch nachgebenden Boden beschädigt und schließlich zerstört werden. Viele der Betroffenen werden ihre Siedlungen verlassen müssen.

Ähnlich bedenklich sieht es für die Wirtschaft in der Arktis aus: Bis 2050 könnten den Prognosen zufolge mehr als die Hälfte der Flächen auftauen, auf denen heute noch Öl- und Gasförderung, Bergbau und ähnliche Aktivitäten stattfinden. Der Atlas zeigt, wo und wie stark dies der Fall sein könnte. Für viele Gebiet der Arktis sind diese Industrien der wichtigste Wirtschaftsfaktor und einzige Arbeitgeber. Müssen diese Anlagen aufgegeben werden, weil sie oder die Straßen und Schienen der Transportwege durch den auftauenden Permafrost zerstört sind, hätte dies weitere Folgen für die Bevölkerung.

Erreger aus dem alten Eis

Doch nicht nur der instabil werdende Untergrund und die Schäden an Gebäuden und Straßen, Pipelines und anderer Infrastruktur sind ein Problem. „Im Permafrost sind auch Schadstoffe und Krankheitserreger eingefroren, die bei steigenden Temperaturen freigesetzt werden können“, erklärt Paul Overduin vom AWI. Ein Beispiel ist das Milzbrand-Bakterium, das vor allem Huftiere befällt, aber auch Menschen infizieren kann. Seine äußerst robusten Sporen können im gefrorenen Boden jahrzehntelang überleben – und werden nach dem Auftauen wieder aktiv.

Dies könnte erklären, warum sich in Sibirien in letzter Zeit so viele Rentiere mit Milzbrand infiziert haben. Im Rahmen des Projekts haben Forschende ein neues und speziell auf die Verhältnisse in der Arktis abgestimmtes Modell zur Übertragung der Krankheit entwickelt. Es soll helfen zu verstehen, ob und wie man künftige Ausbrüche eindämmen kann.

Nach Ansicht der Forschenden sind die Erkenntnisse aus dem Nunataryuk-Projekt so wichtig und weitreichend, dass sie einem möglichst breiten Publikum zugänglich gemacht werden sollen. Genau dazu ist der neue Atlas gedacht, den das norwegische Zentrum für Umweltkommunikation GRID-Arendal zusammen mit allen Projektpartnern herausgegeben hat. Auf 156 Seiten präsentiert er Karten und Illustrationen, Fotos und kurze Texte rund um den gefrorenen Boden und seine Veränderungen. (Arctic Permafrost Atlas zum Download)

Quelle: Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung

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