Steinzeitlicher Krieg: Schon vor mehr als 5.000 Jahren könnte es in Europa nicht nur kurze Kämpfe zwischen kleineren Gruppen, sondern auch anhaltende Kriege gegeben haben, wie Analysen eines steinzeitlichen Massengrabs in Spanien nahelegen. In ihm liegen mindestens 338 Tote, von denen ein Großteil die Spuren schwerer Verletzungen aufweisen. Die enorme Zahl der Skelette und der hohe Anteil von halb- oder ganz verheilten Wunden sprechen dafür, dass sie Opfer eines gewaltsamen Konflikts wurden, der über Monate bis Jahre anhielt, wie Archäologen in „Scientific Reports“ berichten.
Mord und Totschlag gibt es schon seitdem es Menschen gibt – davon zeugen Relikte gewaltsam getöteter Neandertaler oder die Gletschermumie „Ötzi„. Aber auch Überfälle, Massen-Hinrichtungen oder Massaker an ganzen Dorfgemeinschaften gab es bereits in der Steinzeit, wie unter anderem 7.000 Jahre alte Massengräber in Deutschland oder ein Massengrab am Turkana-See in Kenia belegen.
Ab wann gab es echte Kriege?
Doch weniger klar ist, ab wann unsere Vorfahren begannen, echte Kriege zu führen – länger anhaltende und organisierte Konflikte in größerem Maßstab. „Gängiger Ansicht nach verfügten die frühen agrarischen Gesellschaften noch nicht über die nötigen ökonomischen und logistischen Fähigkeiten für einen anhaltenden großskaligen Konflikt“, erklären Teresa Fernández-Crespo von der Universität Valladolid und ihre Kollegen.
Als Indiz dafür galt unter anderem die Tatsache, dass bisher bekannte Massengräber aus der Steinzeit in der Regel nicht mehr als maximal 30 bis 40 Tote umfassen. Den größtenteils unverheilten Verletzungen dieser Toten zufolge sind diese zudem meist im Rahmen eines kurzen Massakers oder Kampfes gestorben. „Art und Ausmaß der Kriegsführung in der europäischen Jungsteinzeit blieben daher unklar“, so die Archäologen.
Massengrab mit 338 Toten – mindestens
Es gibt allerdings ein Massengrab, das vom üblichen Schema abweicht: 1985 wurde in der Rioja-Alavesa-Region in Nordspanien ein Felsunterstand entdeckt, an dessen Rückwand eine enorme Zahl menschlicher Knochen und Schädel lag. „Mindestens 338 Personen, davon rund 70 Prozent männlich, waren dort zufällig durcheinandergeworfen und teils in atypischen Positionen begraben“, berichten Fernández-Crespo und ihr Team. Radiokarbondatierungen ergaben, dass diese Toten aus der Zeit zwischen 3380 und 3000 vor Christus stammten.
Doch woran waren diese jungsteinzeitlichen Menschen gestorben? Schon erste Untersuchungen der Schädel und Knochen zeigten eine auffallende Häufung von schweren Verletzungen – eingedellten oder gebrochenen Schädeln und Kerben in anderen Knochen. Außerdem wurden die Skelette zusammen mit 52 Feuerstein-Pfeilspitzen, 64 Steinklingen und zwei Steinäxten gefunden – Waffen, die von einem gewaltsamen Konflikt zeugten. „Doch die Art der Gewalt und ihr Ausmaß blieben umstritten“, so das Team.
Auffallende Häufung von Schädelverletzungen
Handelte es sich um die Opfer eines Massakers? Eines Überfalls? Oder hatte es vielleicht doch einen größeren, länger anhaltenden Konflikt gegeben? Um mehr Klarheit zu schaffen, haben Fernández-Crespo und ihre Kollegen nun die Toten aus diesem Massengrab noch einmal näher untersucht. Besonderes Augenmerk richteten sie dabei auf die Position und Art der Schädelverletzungen und die Merkmale der davon betroffenen Personen.
Das Ergebnis: Die Archäologen konnten 107 Schädelverletzungen identifizieren – deutlich mehr als zuvor erkannt. „Die meisten dieser Läsionen (96) waren Dellen oder Brüche, die auf stumpfe Gewalteinwirkung zurückgehen, wie sie durch Schläge mit Steinkeulen, Äxten, Holz- und Knochenkeulen oder geschleuderte Steine entstehen“, berichten die Archäologen. Fast alle Schädelwunden lagen zudem auf der Vorder- oder Oberseite des Kopfes.
Geheilte Wunden und vorwiegend männliche Opfer
Ungewöhnlich jedoch: Anders als bei den meisten bisher bekannten Steinzeit-Massengräbern waren nicht alle Verletzungen zum Todeszeitpunkt frisch und unverheilt. Stattdessen zeigten 59 der 107 Schädelwunden Anzeichen einer Knochenheilung. Einige Tote wiesen sowohl geheilte als auch unverheilte Wunden auf. „Die relativ hohe Zahl von geheilten Verletzungen deutet auf frühere gewaltsame Konflikte hin, die nicht tödlich endeten und sich über eine Zeit von Monaten oder wahrscheinlich sogar Jahren verteilten“, erklären Fernández-Crespo und ihre Kollegen.
Auffällig war zudem das Geschlechterverhältnis der Toten in dem jungsteinzeitlichen Massengrab: Von den Gebeinen, für die ein Geschlecht bestimmt werden konnte, waren 70 Prozent männlich, nur 30 entfielen auf Frauen und Kinder. „97,6 Prozent der ungeheilten und 81,7 Prozent der verheilten Verletzungen wurden bei den männlichen Toten gefunden“, berichten die Archäologen. Das unterscheide dieses Massengrab von vielen anderen aus dieser Zeit und spreche gegen ein Massaker beispielsweise eines ganzen Dorfes.
Diese Verteilung könnte darauf hindeuten, dass damals zwar vorwiegend Männer aktiv an Kämpfen beteiligt waren, aber auch die Frauen und Kinder indirekt unter den anhaltenden Kämpfen litten, wie das Team erklärt. So könnte sich der Konflikt auch auf die Jagd, die Feldbestellung und damit die Nahrungsversorgung der Bevölkerung ausgewirkt haben. Hinweise darauf liefern Anzeichen für Mangelernährung bei den Skeletten einiger der Toten, wie Fernández-Crespo und ihr Team feststellten.
Anhaltender Krieg statt einmaliges Massaker
Nach Ansicht der Archäologen liefert das Massengrab von Rioja Alavesa damit einen ersten Beleg dafür, dass es schon vor mehr als 5.000 Jahren anhaltende Kriege mit wiederholten Kämpfen zwischen größeren Gruppen gab. Demnach könnten in dieser Region über Monate oder sogar Jahre hinweg verschiedene Bevölkerungsgruppen immer wieder gegeneinander gekämpft haben – in einem steinzeitlichen Äquivalent der neuzeitlichen Schlachten und lokalen Feldzügen während eines Krieges.
„Die potenzielle Dauer von mindestens Monaten bis Jahren, die Zahl der direkten Opfer, die männlich dominierte Demografie und die in der Rioja-Alavesa-Region identifizierten möglichen sozialen und ökonomischen Folgen deuten darauf hin, dass dieser gewaltsame Konflikt weitreichendere Folgen hatte als zuvor für diese Zeit bekannt“, konstatieren die Forschenden. Dies spreche für eine fortgeschrittenere und formalisierte Form der Kriegsführung, als bisher für diese Periode der europäischen Jungsteinzeit angenommen.
Damit könnte das Massengrab von Rioja Alavesa das früheste Zeugnis eines echten Krieges in Europa sein – eines gewaltsamen Konflikts, der sich über längere Zeit hinzog, größere Gruppen von Kämpfern involvierte und mehrere einzelne Angriffe und Kämpfe umfasste. (Scientific Reports, 2023; doi: 10.1038/s41598-023-43026-9)
Quelle: Scientific Reports