Physik

Extremes Isotop des Stickstoffs entdeckt

Stickstoff-9 enthält sieben Protonen, aber nur zwei Neutronen

Neues Isotop Stickstoff-9
Physiker haben ein neues, exotisches Isotop des Stickstoffs mit nur zwei Neutronen (blau) erzeugt. Fünf seiner sieben Protonen (rot) sind nur sehr lose an den Kern gebunden. © Washington University St. Louis

Exotisches Atom: Physiker haben ein neues, leichtes Isotop des Stickstoffs entdeckt, das neben seinen sieben Protonen nur zwei Neutronen enthält – ein extremes Missverhältnis der Kernbausteine. Dieses Isotop Stickstoff-9 ist damit die leichteste bekannte Variante des Stickstoffs. Gleichzeitig ist es der erste Atomkern, der durch Abgabe von gleich fünf Protonen zerfällt, wie die Forscher berichten. Verursacht wird dies durch die ungewöhnliche Struktur dieses Atomkerns, die einer russischen Matrioschka-Puppe ähnelt.

Die meisten Elemente im Periodensystem kommen in Form verschiedener Isotope vor: Ihre Atomkerne haben zwar jeweils die gleiche Zahl an Protonen, die Zahl ihrer Neutronen variiert jedoch. Gängigen Modellen nach sind dabei vor allem die Isotope stabil, die ungefähr gleich viele Protonen und Neutronen haben. Je unausgewogener das Verhältnis der Nukleonen ist, desto eher neigt ein Isotop zum Zerfall – es ist radioaktiv.

Stickstoff-Isotope
Bisher bekannte Isotope des Stickstoffs. Jetzt ist ein weiteres hinzugekommen. © International Atomic Energy Agency

Stickstoff-Isotope und ungebundene Protonen

Auch beim Stickstoff ist dies so: Bei 99,634 Prozent dieses Elements enthalten die Atome jeweils sieben Protonen und sieben Neutronen und bilden das stabile Isotop 14N. Das ebenfalls stabile Isotop 15N enthält ein Neutron mehr und macht die restlichen 0,366 Prozent des Elements aus. Doch im Labor lassen sich zusätzlich zu diesen natürlich vorkommenden Stickstoffvarianten auch noch künstliche, meist sehr kurzlebige Isotope mit mehr oder aber weniger Neutronen herstellen.

Das Spannende daran: Je extremer das Ungleichgewicht zwischen Protonen und Neutronen wird, desto exotischer ist auch die Struktur dieser Isotope. Ihre Atomkerne können länglich verformt sein oder sogar ihre kompakte Struktur verlieren: Einige der Kernbausteine sind dann nur noch lose mit dem Rest des Atomkerns verbunden. Kernphysiker sprechen im Extremfall von ungebundenen Kernbausteinen. Die Grenze, ab der diese Gebilde überhaupt noch als ein Atomkern definierbar sind, ist fließend.

Sieben Protonen und nur zwei Neutronen

Ein solches Extrem-Isotop haben nun Physiker um Robert Charity von der Washington University in St. Louis bei Stickstoff entdeckt. Für ihr Experiment am National Superconducting Cyclotron Laboratory in Michigan schossen sie einen Strahl beschleunigter Sauerstoff-Atomkernen auf ein Ziel aus Beryllium. Diese Kollisionen schlugen Neutronen aus einigen der Atomkerne heraus, so dass neue, leichtere Isotope entstanden. Aus diesen filterte das Team die Sauerstoff-13-Isotope heraus und schossen diese erneut auf ein Beryllium-Ziel. Mithilfe von Teilchendetektoren erfassten sie die dabei entstehenden Teilchen und Zerfälle.

Das überraschende Ergebnis: Einige dieser Kollisionen erzeugten Atomkerne, die offenbar innerhalb kurzer Zeit in einen Heliumkern aus zwei Protonen und zwei Neutronen sowie fünf einzelne Protonen zerfielen. „Das Massenspektrum dieser Zerfallsprodukte hat eine Struktur, die nicht durch statistische Fluktuationen oder Protonen von anderen Atomen erklärt werden kann“, berichten Charity und seine Kollegen. Um ein solches Zerfallsmuster zu erzeugen, musste das Ausgangsatom demnach sieben Protonen und nur zwei Neutronen umfassen.

Leichteste und neutronenärmste Stickstoff-Variante

„Damit haben wir starke Beweise dafür, dass bei dieser Fragmentierung von Sauerstoff-13 das exotische Nuklid Stickstoff-9 entstanden ist“, konstatieren die Physiker. Dieses neuentdeckte, kurzlebige Isotop ist das leichteste und neutronenärmste des Stickstoffs, gleichzeitig ist es eines der extremsten je erzeugten. Denn im Kern des 9N gibt es nur zwei Neutronen, die als Puffer für die abstoßende Wirkung zwischen den sieben positiv geladenen Protonen wirken können. „Das ein so exotisches System, dass es niemand auf dem Radar hatte“, sagt Charity.

Die Folge davon: Zum einen ist dieses extrem leichte Isotop extrem instabil und zerfällt innerhalb von einer Trilliardstel Sekunde wieder. Zum anderen sind fünf der sieben Protonen in diesem Stickstoffkern fast ungebunden: Sie werden nur durch eine schwache Energiebarriere am Wegfliegen gehindert. Ergänzende Modellierungen ergaben, dass sich dies auch in der Struktur dieses Atomkerns widerspiegelt. Diese fünf Protonen bewegen sich weit außen um einen kompakten inneren Kern aus zwei Protonen und zwei Neutronen, der dem Heliumkern ähnelt.

Wie eine russische Puppe“

„Der Zerfall des Stickstoff-9-Isotops ist daher wie ein Satz russischer Matrioschka-Puppen“, erklärt Charity. Dabei wird zunächst eines der äußeren Protonen frei, so dass das neutronanarme, instabile Kohlenstoff-8-Kern übrig bleibt. Fast sofort darauf folgt aber schon der nächste Schritt, bei dem zwei weitere Protonen wegfliegen – es bleibt Beryllium-6 zurück. Im letzten Schritt entweichen auch die restlichen beiden ungebundenen Protonen und es bleibt nur noch ein Heliumkern zurück.

Wie das Team erklärt, ist dies der erste Atomkern, bei dem eine solche beinahe gleichzeitige Freisetzung von gleich fünf Protonen bekannt ist. „Die Existenz eines so exotischen Systems ist aber ein guter Test für die Quantenmechanik solcher ungebundenen Vielkörpersysteme“, erklärt der Physiker. Gleichzeitig liefern solche exotischen Isotope wertvolle Erkenntnisse über das Verhalten von Atomkernen und ihre Nukleonen unter extremen Bedingungen. Das könnte helfen herauszufinden, warum bestimmte Isotope existieren, andere dagegen nicht. (Physical Review Letters, 2023; doi: 10.1103/PhysRevLett.131.172501)

Quelle: Washington University in St. Louis, American Physical Society

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