Biologie

Wie viele Haie sind warmblütig?

Phänomen der partiellen Warmblütigkeit könnte verbreiteter sein als gedacht

Sandtigerhai
Sandtigerhaie gehören zu den eher kleinen Haiarten. Dennoch könnten auch sie zumindest partiell-warmblütig sein. © Nigel Marsh/ Getty images

Warm oder kalt? Neben Spitzenprädatoren wie dem Weißen Hai könnten auch noch deutlich mehr Haiarten partiell warmblütig sein, wie eine Studie nahelegt. Den entscheidenden Hinweis darauf lieferte die Obduktion von angespülten Sandtigerhaien, deren Inneres spezielle, auf Warmblütigkeit angepasste Strukturen offenbarte. Dies könnte darauf hindeuten, dass alle Mitglieder der Hai-Ordnung Lamniformes zur Warmblütigkeit neigen – und damit neben dem Weißen Hai auch der Riesenhai und der urzeitliche Megalodon.

Im Tierreich gibt es endotherme, warmblütige Organismen wie uns Menschen, die ihre Körpertemperatur unabhängig von der Umgebungstemperatur regulieren können, und es gibt exotherme, kaltblütige Tiere, die dieselbe Temperatur wie ihre Umgebung haben, zum Beispiel Eidechsen. Aber es existiert auch noch eine dritte Gruppe: partiell warmblütige Tiere. Ihr gehört nur rund ein Prozent aller Fischarten an, darunter prominente Spezies wie der Weiße Hai und der Blauflossen-Thunfisch. Bei ihnen sind nur einzelne Körperteile „beheizt“, was sie zu agilen Jägern macht.

Toter Hai
Dieser in Irland angespülte Kleinzahn-Sandtigerhai war zu Lebzeiten wahrscheinlich teilweise warmblütig. © Dr Jenny Bortoluzzi and Kevin Purves

Doch kein Topjäger-Privileg?

Bislang ging man daher davon aus, dass eine solche Teil-Warmblütigkeit nur den Spitzen-Prädatoren des Ozeans vorbehalten ist. Doch nachdem sich erst vor Kurzem gezeigt hat, dass auch der bis zu zehn Meter lange, planktonfressende Riesenhai (Cetorhinus maximus) wahrscheinlich warmblütig ist, gerät diese alte Denkweise immer stärker ins Wanken. Entsprechend ist die Motivation gewachsen, auch andere Haiarten hinsichtlich ihrer Fähigkeit zur Temperaturregulierung zu untersuchen.

Als in diesem Jahr mehrere Kleinzahn-Sandtigerhaie (Odontaspis ferox) tot an den Küsten Irlands und Großbritanniens angespült wurden, sahen Forschende um Haley Dolton vom Trinity College in Dublin daher ihre Chance für entsprechende Untersuchungen gekommen. Sie obduzierten die angespülten Haie und suchten in ihren Körpern gezielt nach typischen Anpassungen für partielle Warmblütigkeit.

Auch Sandtigerhaie sind wahrscheinlich warmblütig

Und tatsächlich: Entlang ihres Rumpfes weisen die Kleinzahn-Sandtigerhaie spezielle Bänder aus roten Schwimmmuskeln auf, die tief im Körperinneren liegen, wie Dolton und ihre Kollegen berichten. Dort ist die Muskulatur vom kalten Umgebungswasser isoliert und kann durch intensive Muskelaktivität zu einer Art Heizung werden, die auch die umliegenden Körperregionen erwärmt. Kaltblütige Fische tragen ihre Schwimmmuskulatur hingegen direkt unter der Haut, wo eine solche Heizfunktion nicht möglich wäre.

Rote Muskulatur
Die rote Schwimmuskulatur liegt beim Kleinzahn-Sandtigerhai eingebettet im Körperinneren. © Dolton et al./ Biology Letters /CC-by 4.0

Auch das Herz der Sandtigerhaie ist besonders, wie die Forschenden herausgefunden haben. Anders als die „schwammig“ strukturierten Herzen anderer Fische ist es sehr kompakt und muskulös. Das Herz von Sandtigerhaien könnte daher dazu fähig sein, hohen Blutdruck und Blutfluss zu erzeugen. Damit könnte der Hai warmes Blut von den „Heizmuskeln“ schnell im Körper verteilen und somit die Körpertemperatur aktiv anheben, wie Dolton und ihr Team erklären. Ihnen zufolge deutet zumindest anatomisch betrachtet alles daraufhin, dass auch Sandtigerhaie dazu fähig sind, ihre Temperatur in einzelnen Körperteilen aktiv zu regulieren.

Verbreiteter als gedacht?

Die Fähigkeit dieser Haie zur Temperaturregulierung ist insbesondere deshalb interessant, weil Kleinzahn-Sandtigerhaie keine Spitzenprädatoren im Stile des Weißen Hais sind. Dass sie trotzdem partiell warmblütig sind, könnte somit darauf hindeuten, dass diese Anpassung längst nicht nur Topjägern vorbehalten ist, argumentieren die Forschenden.

Außerdem sind Kleinzahn-Sandtigerhaie eine sehr alte Haiart, die sich wahrscheinlich bereits vor mindestens 20 Millionen Jahren vom urzeitlichen Riesenhai Otodus megalodon, kurz Megalodon, abgespalten hat. Dieser Umstand könnte ebenfalls bedeuten, dass deutlich mehr Haiarten dieses heizende Erbe in sich tragen als bislang gedacht, wie Dolton und ihre Kollegen vermuten.

„Wenn Sandtigerhaie eine partielle Warmblütigkeit haben, dann ist es wahrscheinlich, dass es da draußen noch andere Haie gibt, die ebenfalls warmblütig sind“, so Seniorautor Nicholas Payne. Letztens Endes könnte es sogar sein, dass alle Haie der Ordnung Makrelenhaiartige (Lamniformes), zu denen Kleinzahn-Sandtigerhaie ebenso zählen wie Riesenhaie, Weiße Haie und der Megalodon, zur partiellen Warmblütigkeit fähig sind oder es waren.

Gefährliche Anpassung

Bei der Jagd oder beim Aufenthalt in kalten Gewässern ist die Fähigkeit zur Temperaturregulierung zwar von großem Vorteil, doch unter bestimmten Umständen kann sie auch zum Nachteil werden, wie Dolton und ihre Kollegen erklären. Denn zumindest in der Vergangenheit stand diese Form der Teil-Warmblütigkeit häufig mit einem erhöhten Aussterberisiko in Verbindung. Als Paradebeispiel dafür dient der Megalodon. Als sich einst die Meere erwärmten und große Beutetiere rar wurden, konnte der 15 bis 20 Meter lange Körper dieses Urzeit-Riesenhais womöglich nicht mehr so viel Energie erzeugen, wie seine Warmblütigkeit verbrauchte.

„Wir wissen, dass sich die Meere jetzt wieder alarmierend schnell erwärmen, und der Kleinzahn-Sandtigerhai, der in Irland angespült wurde, war der erste, der in diesen Gewässern gesehen wurde. Das bedeutet, dass sich sein Verbreitungsgebiet verlagert hat, möglicherweise aufgrund der Erwärmung der Gewässer, sodass einige Alarmglocken läuten“, sagt Dolton. (Biology Letters, 2023; doi: 10.1098/rsbl.2023.0331

Quelle: Trinity College Dublin

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