Merkwürdige Anomalie: Schon seit den 1960er Jahren rätseln Astronomen über die ungleiche Verteilung von Galaxien in unserem lokalen Universum – es gibt wenige helle Spiralgalaxien, dafür umso mehr sternreiche Ellipsen. Aber warum? Eine mögliche Erklärung könnten Astronomen nun gefunden haben. Denn als sie die Entwicklung der supergalaktischen Ebene in einer Simulation rekonstruierten, trat die gleiche Sortentrennung der Galaxien auf – und das verriet ihnen den wahrscheinlichen Grund, wie sie in „Nature Astronomy“ berichten.
Unser Milchstraße liegt nicht isoliert im All, sondern ist Teil einer großen Ansammlung von tausenden von Galaxien und mehreren großen Galaxienhaufen – der lokalen supergalaktischen Ebene. Dieses rund eine Milliarde Lichtjahre große, abgeflachte Gebilde umfasst lokale Größen wie den Virgo-Cluster, den Großen Attraktor oder den Perseus-Pisces-Superhaufen. Auch unser heimischer Supercluster Laniakea gehört dazu.
Rätselhafte „Sortentrennung “ der Galaxien
Diese supergalaktische Ebene ist schon seit Mitte der 1950er Jahre bekannt, fast ebenso lange rätseln Astronomen jedoch über eine Anomalie dieser Galaxienansammlung: In ihr gibt es weit mehr helle elliptische Galaxien als sternreiche Spiralgalaxien – was gängigen Modellen der Galaxienentwicklung eigentlich widerspricht. „Diese Diskrepanz ist ein echter Test für unser Verständnis der Galaxien- und Strukturbildung im Kosmos“, erklären Till Sawala von der Universität Helsinki und seine Kollegen.
Doch was steckt dahinter? Um das zu klären, haben Sawala und sein Team die Entwicklung der supergalaktischen Ebene und ihrer Galaxien über 13,8 Milliarden Jahre hinweg in einer Simulation nachvollzogen. Die auf einem leistungsstarken Supercomputer laufende SIBELIUS-Simulation ist speziell darauf ausgelegt, die kosmische Strukturbildung im Umfeld von rund 650 Millionen Lichtjahren um die Milchstraße zu rekonstruieren.
Die Anomalie ist real
Dabei zeigte sich: In der Simulation entwickelte sich genau die gleiche Anomalie wie im realen Universum – auch im Supercomputer tummelten sich auffallend viele helle elliptische Galaxien in der supergalaktischen Ebene, während Spiralgalaxien ähnlicher Helligkeit und Masse dort eher rar waren. „Der Anteil der Galaxien am supergalaktischen Äquator hängt von ihrem Typ ab“, berichten Sawala und sein Team. „Die massereichen Ellipsen kommen dort geballter vor als massereiche Spiralen.“
Doch was verrät uns das? Zum einen belegt dieses Ergebnis, dass die von Astronomen beobachtete ungleiche Verteilung der Galaxien real ist und auf astrophysikalischen Gesetzmäßigkeiten beruhen muss. „Unsere Forschung zeigt, dass die bekannten Mechanismen der Galaxienentwicklung auch in dieser einzigartigen kosmischen Umgebung funktionieren“, so Sawala. Zum anderen ermöglichte es die virtuelle Reproduktion, quasi in der Zeit zurückzuspulen und im Detail anzuschauen, wie diese lokale Häufung der massereichen Ellipsen zustande kommt.
Das Gedrängel ist der Grund
Das Ergebnis: Die ungewöhnliche Sortentrennung der Galaxien ist die Folge ihrer kosmischen Umgebung. „In den dichten Galaxienhaufen, die auf der supergalaktischen Eben liegen, durchleben die Galaxien häufig Wechselwirkungen und Verschmelzungen mit ihren Nachbarn“, erklärt Sawala. Dies kann die innere Struktur der Spiralgalaxien zerstören und führt oft dazu, dass die resultierenden Galaxien massereiche, aber weniger klar strukturierte Ellipsen sind.
„Jenseits der galaktischen Ebene können sich Galaxien dagegen in relativer Isolation entwickeln – und das hilft ihnen dabei, ihre Spiralstruktur zu behalten“, so Sawala. Je höher die Galaxiendichte, desto geringer ist daher die Wahrscheinlichkeit, dass eine Spiralgalaxie unbeschadet zu maximaler Größe heranwächst.
„Die Verteilung der Galaxien im lokalen Supercluster ist demnach zwar bemerkenswert, aber keine echte Anomalie“, sagt Koautor Carlos Frenk von der Durham University in Großbritannien. „Unser Resultat belegt, dass unser kosmologisches Standardmodell auch diese erstaunliche Struktur des lokalen Universums hervorbringen kann.“ (Nature Astronomy, 2023; doi: 10.1038/s41550-023-02130-6)
Quelle: University of Helsinki, Durham University