Nach 200 Jahren geklärt: Anders als anderer Kalk weigern sich Dolomitkristalle, unter normalen Bedingungen zu wachsen. Doch wie entstanden dann die mächtigen Dolomitvorkommen? Dieses „Dolomit-Problem“ haben Forscher nun gelöst. Demnach reicht es bei Dolomit nicht, nur die nötigen Elemente in übersättigter Lösung bereitzustellen. Denn der Dolomitkristall wächst nur dann, wenn er zwischendurch immer wieder lösenden Bedingungen ausgesetzt wird – das beseitigt blockierende Fehlplatzierungen im Kristallgitter, wie ein Team in „Science“ berichtet.
Ob Edelsteine, Tropfstein oder die Riesenkristalle in der mexikanischen Naica-Höhle: Normalerweise wachsen Kristalle, wenn gelöste Salze ausfallen und eine geordnete Struktur bilden – das Kristallgitter. Voraussetzung dafür ist eine Übersättigung der Lösung und die Präsenz von Verunreinigungen, die als Kristallisationskeim fungieren können. Im Laufe der Jahrtausende und Jahrmillionen sind durch diesen Prozess gewaltige Gebirge und hunderte Meter dicke Gesteinsformationen entstanden – vor allem aus den nahezu allgegenwärtigen Varianten des Kalkgesteins.
Blockiertes Wachstum: Nach fünf Atomlagen ist Schluss
Doch eine Kalkvariante tanzt aus der Reihe: Obwohl Dolomit (CaMg(CO3)2 rund ein Drittel der weltweiten Kalkvorkommen ausmacht und ganze Gebirge wie die Dolomiten aufgetürmt hat, ist unklar, wie diese Kalkvariante entsteht. Versucht man, Dolomitkristalle bei Raumtemperatur im Labor zu züchten, weigern sich diese zu wachsen – nach spätestens fünf Atomlagen ist Schluss. „Ein berühmtes Langzeit-Experiment scheiterte 32 Jahre lang daran, Dolomit bei 25 Grad und aus tausendfach übersättigter Lösung auszufällen“, berichten Joonsoo Kim von der University of Michigan und seine Kollegen.
Aber warum? Über diese Frage rätselt die Wissenschaft seit gut 200 Jahren. „Der offenkundige Widerspruch zwischen den massiven Dolomitvorkommen in der Natur und der Unmöglichkeit, Dolomitkristalle unter normalen Bedingungen zu züchten, ist als das ‚Dolomit-Problem‘ bekannt“, so die Forscher. Zwar existieren zahlreiche Hypothesen dazu, warum Dolomit bei Raumtemperatur nicht auskristallisieren will, eindeutig belegen ließ sich jedoch keine – bis jetzt.
Das Problem der Ordnung
Auf der Such nach einer Lösung des Dolomit-Problems haben Kim und sein Team nun eine spezielle Eigenheit dieser Kalkvariante näher angeschaut: Im Kristallgitter des Dolomits wechseln sich Magnesium und Calcium-Ionen in regelmäßiger Folge ab. „Das bedeutet, dass sich diese Ionen in perfekter Reihenfolge aus der Lösung an die Wachstumsfläche des Kristalls anlagern müssen“, erklären die Wissenschaftler.
Doch genau das passiert nicht: In übersättigter Lösung landen Calcium- und Magnesium-Ionen immer wieder an den falschen Plätzen. Welche Folgen dies hat, zeigt eine atomgenaue Simulation des Prozesses, den Kim und sein Team mithilfe einer neu entwickelten Software durchführten. „Normalerweise würde jeder atomare Schritt 50.000 CPU-Stunden auf einem Supercomputer erfordern“, erklären sie. Dank einer neuen Methode ließ sich die komplexe, die Energieniveaus und Atominteraktionen umfassende DFT-Simulation nun innerhalb weniger Sekunden nachvollziehen.
In der Lösung liegt die Lösung
Das Ergebnis: Züchteten die Forscher den virtuellen Kristall unter konstant übersättigter Lösung, passierte das gleiche wie im Labor. Falsch abgelagerte Ionen blockierten das Wachstum so stark, dass es zehn Millionen Jahre brauchen würde, um einen geordneten Dolomitkristall zu schaffen. Doch das änderte sich drastisch, als sie die Bedingungen änderten und den Kristallkeim abwechselnd einer übersättigten und untersättigten Lösung aussetzten. Dadurch wechselten sich Phasen der Ablagerung und Lösung ab.
Unter den fluktuierenden Bedingungen lagerten sich die Calcium- und Magnesium-Ionen zwar zunächst ungeordnet an der Kristalloberfläche ab. Die folgende Lösungsphase bereinigte diese Unordnung jedoch: „Jeder Defekt in einem Kristall – ob durch ungeordnete Platzierung, Dislokation, Unreinheiten oder anderweitig erzeugt – ist prinzipiell in einem Zustand des Ungleichgewichts“, erklären Kim und seine Kollegen. „Deshalb lösen sich solche fehlerhaften Bereiche leichter.“
Erste Zucht im Labor
Konkret bedeutet dies für den Dolomit: Jede Lösungsphase entfernt gezielt die Ionen, die sich an falschen Gitterplätzen eingelagert haben. Dies beseitigt die chemisch-physikalische Blockade und ermöglicht es dem Kristall, in der nächsten Kristallisationsphase schneller weiterzuwachsen. Auf Basis dieser Erkenntnisse gelang es den Forschenden erstmals, einen geordneten Dolomitkristall im Labor heranzuzüchten. Dafür nutzten sie ein Elektronenmikroskop, um einen winzigen Saatkristall unter wechselnden Lösungsbedingungen zu beobachten.
Und tatsächlich: Nach rund 3.800 Zyklen dieses Zeitraffer-Wechselbads war der winzige Dolomitkristall um 60 bis 170 Nanometer gewachsen. „Dies entspricht 200 bis 560 Atomlagen“, erklärten Kim und sein Team. Im Schnitt benötigte jede dieser Atomschichten rund zehn Lösungszyklen, um für das weitere Wachstum ausreichend bereinigt zu sein.
Wie die Dolomitgebirge wuchsen
Damit könnten Kim und sein Team das jahrhundertealte Dolomit-Problem endlich geknackt haben. Denn ihre Resultate erklären, wie die gewaltigen Dolomit-Formationen in der Natur entstanden sein könnten: Die Gewässer, in denen diese Kalkvariante im Laufe geologischer Zeiträume auskristallisierte, wechselten wahrscheinlich immer wieder von übersättigten zu lösenden Bedingungen – beispielsweise durch Wechsel zwischen heißen Phasen mit starker Verdunstung und Phasen mit verdünnenden Regenfällen. Auch periodische Veränderungen durch die Gezeiten kommen in Frage.
„Dieser Mechanismus erklärt, warum neuerer Dolomit vorwiegend in natürlichen Umgebungen mit Fluktuationen des pH-Werts oder des Salzgehalts vorkommt“, sagen die Forscher.
Relevant ist die neue Erkenntnis aber nicht nur für die Geologie: „Wenn wir verstehen, wie Dolomit in der Natur wächst, dann können wir auch neue Strategien entwickeln, um das Kristallwachstum in modernen Technologie-Materialien zu fördern“, sagt Seniorautor Wenhao Sun von der University of Michigan. Denn auch geordnete, defektfreie Halbleiterkristalle könnten möglicherweise durch solche Wechsel von lösenden und ausfällenden Bedingungen schneller und einfacher gezüchtet werden. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adi3690)
Quelle: University of Michigan