Neurobiologie

Warum erinnern wir uns an manche Dinge besser als an andere?

„Arbeitsteilung“ im Hippocampus beeinflusst die Präzision des Gedächtnisses

Kopf einer Frau und viele kleine Bilder von Orten und Erlebnissen, die Erinnerungen darstellen sollen
Für die Details in unseren Erinnerungen ist das Areal CA3 im Hippocampus verantwortlich, wie die Studie zeigt. © metamorworks / Getty Images

Gedächtnis für Details: Warum manche Erinnerungen verblassen und die Details verloren gehen, hängt offenbar nicht nur von der verflossenen Zeit ab, wie nun eine Studie mit Mäusen enthüllt. Demnach sind im Hippocampus – dem Gedächtniszentrum des Gehirns – unterschiedliche Areale für die Details und für den Kern einer Erinnerung zuständig. Von ihrer Aktivität hängt daher ab, wie präzise und detailreich eine Erinnerung ist – und ob wir uns überhaupt an ein Ereignis erinnern. Diese Erkenntnis liefert auch neue Ansätze für die Behandlung von Gedächtnisstörungen.

Ohne Erinnerungen an alltägliche Ereignisse könnten wir unseren Alltag nicht bewältigen, zum Beispiel könnten wir keine bewussten Entscheidungen treffen. Manche Aspekte der Ereignisse prägen wir uns dabei dauerhaft ein, beispielsweise wenn sie starke Emotionen hervorgerufen haben. Andere verschwinden ganz schnell wieder aus unserem Gedächtnis. Für das Erinnern verantwortlich sind in unserem Gehirn viele Areale, vor allem aber der sogenannte Schläfenlappen, auch Temporallappen genannt. Wenn diese Hirnregion geschädigt ist, treten entsprechend schwerwiegende Gedächtnisstörungen auf – häufig bei älteren Menschen und bei Patienten mit Gedächtnisverlust.

Frische und verblasste Erinnerungen

Bekannt ist, dass der Schläfenlappen aus mehreren Teilregionen besteht und sich aus dem Hippocampus und seinen Unterregionen sowie den ihn umgebenden Bereichen des Cortex zusammensetzt. Aus früheren Studien ist zudem bekannt, dass wir uns an weiter zurückliegende Ereignisse weniger detailgetreu erinnern als an jüngere Erlebnisse. Manchen von uns gelingt es jedoch besser als anderen, sich präzise an Vergangenes zu erinnern. Aber welche Hirnstrukturen bestimmen eigentlich, wie präzise wir uns an etwas erinnern?

Um das herauszufinden, hat ein Forschungsteam um Erika Atucha vom Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) in Magdeburg nun untersucht, welche Rolle bestimmte Mikronetzwerke innerhalb des Schläfenlappens beim Erinnerungsprozess spielen. Dafür deaktivierten die Wissenschaftler im Gehirn von Mäusen vorübergehend bestimmte Teile des mittleren Schläfenlappens mithilfe einer optogenetischen Methode. Dabei ermöglichen es eingeschleuste Gene, die Neuronen mittels Licht kurzzeitig zu hemmen.

Alter einer Erinnerung zeigt sich am Gehirn

Während dieser Blockaden wurden die Mäuse Situationen ausgesetzt, bei denen sie sich an ein negatives Ereignis in derselben oder einer sehr ähnlichen Umgebung erinnern sollten. Das Ereignis war ein leichter Elektroschock, der einen Tag, sechs Monate oder ein Jahr zurücklag. Erinnerten sich die Tiere daran, verrieten sie dies durch eine typische Angstreaktion, bei der sie erstarrten. Mittels mRNA-Analysen untersuchten Atucha und ihre Kollegen dabei, welche Gehirnzellen in den Mikronetzwerken des Schläfenlappens aktiv waren.

Die Analysen ergaben: Ob eine Erinnerung frisch oder schon alt und verblasst ist, lässt sich am Gehirn ablesen. Erinnerten sich die Mäuse an die negative Erfahrung vom Vortag, waren in ihrem Hippocampus die Areale CA1 und CA3 aktiv. Der umliegende Cortex im Schläfenlappen war dagegen weitgehend unbeteiligt. Ein anderes Bild ergab sich jedoch, wenn die Mäuse sich an weiter zurückliegende Ereignisse erinnerten: Dann waren das Areal CA1 des Hippocampus und Teile des umgebenden Cortex aktiv. Dies bestätigte sich auch bei gezielter optogenetischer Deaktivierung der verschiedenen Areale.

Eigene Hirnareale für Details und für Hauptereignis einer Erinnerung

Der Blick ins Gehirn der Mäuse verriet aber auch, warum manche Erinnerungen präziser und vollständiger sind als andere – und warum dies nicht nur von der verstrichenen Zeitspanne abhängt. Demnach ist entscheidend, welches Hippocampus-Areal beim Erinnern aktiv wird. War bei den Mäusen das Areal CA3 deaktiviert, gingen den Tieren die Details der frischen Gedächtnisinhalte verloren. Sie erinnerten sich dann an den Elektroschock vom Vortag, aber nicht mehr genau an die Umgebung.

Bei weiter zurückliegenden Erinnerungen beeinflusste das Ausschalten von CA3 die Qualität der Erinnerung dagegen kaum noch. Atucha und ihre Kollegen führen dies darauf zurück, dass diese Erinnerungen ohnehin bereits unpräzise geworden waren. Das Areal CA3 ist demnach für die Gedächtnis-Details verantwortlich, kann diese aber nur zeitlich begrenzt wachhalten. Über welchen Zeitraum genau der CA3 am Erinnern beteiligt ist, müssen weitere Studien zeigt.

Eine andere Funktion hat dagegen das Hippocampus-Areal CA1: Wurde diese Region bei den Mäusen deaktiviert, hatte dies den kompletten Verlust der Erinnerung zur Folge – egal wie lange das Ereignis her ist, wie die Forschenden feststellten. Sie schließen daraus, dass dieses Areal für den Kern der Erinnerungen entscheidend ist. Liegt ein Gedächtniseindruck allerdings schon länger zurück, braucht CA1 offenbar die Unterstützung der umliegenden Cortexareale, um die Erinnerungen wach zu rufen, so die Wissenschaftler.

Erklärung auch für menschliche Gedächtnis-Unterschiede?

Atucha und ihre Kollegen schließen daraus, dass nicht allein das Alter der Erinnerung ausschlaggebend für seine Präzision ist. Ob und wie detailgetreu wir uns an etwas erinnern, könnte demnach auch auf die beim Erinnern involvierten Mikronetzwerke des mittleren Schläfenlappens zurückzuführen sein. Zwar könnten sich die Zeiträume beim präzisen Erinnern zwischen den Spezies womöglich unterscheiden. Dennoch legt die Studie an Mäusen nahe, dass auch bei uns Menschen spezifische Hippocampus-Areale die Gedächtnisqualität beeinflussen.

Dies könnte möglicherweise auch erklären, warum sich einige Menschen besser und präziser an Erfahrungen und Eindrücke erinnern können als andere. Auch für krankhafte Gedächtnislücken bieten die Resultate einen Ansatz: „Die Erkenntnisse könnten damit einen neuen Ansatz für die Behandlung von Patienten mit zeitweiser Amnesie, Alzheimer oder anderen Gedächtnisdefiziten bieten“, sagt Seniorautorin Magdalena Sauvage vom LIN. (Cell Reports, 2023; doi: 10.1016/j.celrep.2023.113317)

Quelle: Leibniz-Institut für Neurobiologie (LIN) Magdeburg

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