Archäologie

Älteste Festung der Welt entdeckt

Sibirische Jäger und Sammler erbauten schon vor 8.000 Jahren befestigte Siedungen

Steinzeit-Festung Amnaya
Auf dem in der Bildmitte sichtbaren Gelände-Vorsprung lag einst die älteste befestigte Siedlungsanlage der Welt: Die Steinzeit-Festung Amnaya I wurde schon vor 8.000 Jahren errichtet. © Nikita Golovanov

Spektakulärer Fund: Archäologen haben in Sibirien die älteste befestigte Siedlung der Welt entdeckt – sie wurde schon vor rund 8.000 Jahren errichtet. Die Steinzeit-Festung war von mehreren Gräben und Holzpalisaden geschützt und umfasste mehrere größere Gebäude. Das Verblüffende daran: Erbauer dieser Anlage waren keine sesshaften Bauern, sondern steinzeitliche Jäger und Sammler. Dies wirft ein neues Licht auf die Ursprünge komplexer Gesellschaften – und auf die sibirische Taiga als innovativem Zentrum der steinzeitlichen Welt.

Ob die Kultstätte von Göbkeli Tepe, monumentale Jagdbauten in der arabischen Wüste oder mysteriöse Ringbauwerke aus Knochen: Solche Großbauten aus der Steinzeit demonstrieren, dass unsere Vorfahren offenbar schon vor Beginn der Sesshaftigkeit und der Landwirtschaft zu Großem fähig waren. Denn diese Bauwerke wurden von Jägern und Sammlern errichtet – und damit von Kulturen, die lange als zu primitiv und unorganisiert für so komplexe und große Bauprojekte galten.

Wie weit die logistischen und architektonischen Fähigkeiten der steinzeitlichen Jäger und Sammler allerdings reichten, ist umstritten. „Traditionell assoziieren archäologische Narrative die Bildung sozial und politisch komplexer Gesellschaften erst mit dem Aufkommen der Landwirtschaft“, erklären Henny Piezonka von der Freien Universität Berlin und ihre Kollegen.

Amnaya I und II
Struktur der befestigten Steinzeit-Siedlung Amnaya I und ihres unbefestigten „Vorpostens“ Amnaya II. © Piezonka et al./ Antiquity, CC-by 4.0

Siedlung mit Gräben und Holzpalisaden

Jetzt werfen Funde in einer abgelegenen Region Sibiriens jedoch neues Licht auf die Fähigkeiten der steinzeitlichen Jäger und Sammler. Das Team um Piezonka hat dort, in der Taiga zwischen dem Ural und dem Fluss Jenissei, gleich mehrere Siedlungen aus der Zeit steinzeitlicher Jäger und Sammler entdeckt. „Unter diesen Pionierstätten sind auch einige der frühesten befestigten Siedlungen des nördlichen Eurasiens“, berichten die Archäologen. „Allein acht verschiedenen Steinzeit-Siedlungen dieser Art sind bisher bekannt.“

Eine dieser befestigten Siedlungen ist Amnaya I, eine Ortschaft, die auf einem Sandsteinvorsprung über einer sumpfigen Flussebene liegt. Ausgrabungen enthüllten Reste einer Holzpalisade, mindestens drei Wallgräben und die Fundamente von zehn Gebäuden. „Diese Grubenhäuser sind rechteckig und zwischen 13 und 41 Quadratmeter groß“, berichten Piezonka und ihr Team. „Das größte dieser Gebäude lag an der Spitze des Vorsprungs.“ Die Bauweise dieser Häuser spreche dafür, dass es sich hier um länger genutzte Behausungen handelte. Davon zeugen auch Relikte von mindestens 45 Tongefäßen, die in Amnaya I gefunden wurden.

Steinzeit-Festung ist schon 8.000 Jahre alt

Doch wie alt ist diese Steinzeit-Festung? Um das zu klären, haben die Archäologen eine erneute Radiokarbondatierung von Proben aus Amanya I durchgeführt. Das Ergebnis: „Die Datierungen bestätigen das steinzeitliche Alter der Stätte“, sagt Piezonka. Demnach ist Amnaya I schon rund 8.000 Jahre alt. „Dies weist sie als das älteste bekannte Fort der Welt aus“, so die Forscherin. Den Datierungen zufolge gehören die Holzpalisade und einer der Wallgräben zu den ältesten Komponenten der Steinzeit-Siedlung. Später kamen dann die größeren Gebäude im Innenraum, weitere Gräben und eine zweite Palisade dazu.

Interessant auch: Rund 50 Meter von der Landspitze mit der Festung Amnaya I entfernt lag eine zweite, nicht befestigte Siedlung. Diese Amnaya II getaufte Anlage umfasst ebenfalls rund zehn Häuser und stammt etwa aus der gleichen Zeit wie die vorgelagerte Festung. „Die Datierungen sprechen dafür, dass dieser Komplex in eine befestigte ‚Zitadelle‘ und einen vorgelagerten ‚Burghof‘ gegliedert war“, berichten die Archäologen. Dies zeuge von einer hierarchischen Struktur, die in ähnlicher Form auch in den anderen Steinzeit-Siedlungen dieser Taiga-Region zu beobachten sei.

Lage der Siedlungen
Lage der steinzeitlichen Siedlungen in der sibirischen Taiga und ihr kultureller Kontext. © Piezonka et al./ Antiquity, CC-by 4.0

Steinzeitlicher Innovationsschub in der Taiga

Zusammen demonstrieren diese Funde, dass die Jäger und Sammler in der sibirischen Taiga schon vor 8.000 Jahren komplexe Verteidigungsanlagen um ihre Siedlungen errichteten – lange bevor solche Bauten in Europa oder anderswo existierten. „Der Amnaya-Siedlungskomplex kennzeichnet den Anfang eines einzigartigen, langanhaltenden Phänomens von Jäger-und-Sammler-Verteidigungsstrukturen im Norden Eurasiens“, so das Team. „Diese Erkenntnis verändert unser Verständnis der frühen menschlichen Gesellschaften.“

Den Funden nach muss es in diesem Teil Sibiriens vor rund 8.000 Jahren einen plötzlichen Schub der kulturellen und sozialen Entwicklung gegeben haben. Durch diesen entstanden dort viel früher als anderswo komplexere, befestigte Siedlungsbauten, aber auch weitere Innovationen: „Dieses steinzeitliche Innovations-Paket umfasste technologische Neuerungen beispielsweise bei den Töpferwaren, außerdem rituelle Praktiken, die Ressourcennutzung und die sozio-politische Organisation“, berichten die Archäologen.

Auslöser noch ungeklärt

Die Ursachen für diesen Entwicklungsschub sind noch unklar. Ein möglicher Auslöser könnte ein Klimawechsel vor rund 8.200 Jahren gewesen sein, durch den sich die Verfügbarkeit von Ressourcen in dieser Gegend veränderte. Dann könnte entweder eine erhöhte Konkurrenz um Fischgründe, Wild und andere Nahrungsquellen oder aber der Zuzug von Menschen aus anderen Gebieten die Gesellschaften verändert haben. Möglicherweise förderte dann eine vermehrte Konkurrenz und Territorialität den Bau der Festungsanlagen.

„Die befestigten Siedlungen mit Blick auf die Flüsse dienten möglicherweise als strategische Standorte zur Kontrolle und Ausbeutung der ergiebigen Fischgründe“, erklärt Piezonka. „Der Wettbewerbscharakter, der sich aus der Lagerung von Ressourcen und der Zunahme der Bevölkerung ergibt, ist in diesen prähistorischen Bauten offensichtlich und widerlegt frühere Annahmen, dass es in Jäger- und Sammlergesellschaften keine größeren Konflikte gab.“ (Antiquity, 2023; doi: 10.15184/aqy.2023.164)

Quelle: Freie Universität Berlin

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