Kalt macht warm: Klimaforscher haben einen überraschenden Mitverursacher für Hitzewellen in Mitteleuropa entdeckt. Bei uns wird es demnach besonders heiß, wenn der Nordatlantik zuvor ungewöhnlich stark abkühlt. Diese scheinbar paradoxe „Klimawippe“ war auch in den Hitzesommern 2015 und 2018 aktiv. Der Mechanismus dahinter: Die kalten Meerestemperaturen erzeugen einen Luftdrucktrog, durch den vermehrt warme, wolkenfreie Luft nach Mitteleuropa gelenkt wird, wie das Team berichtet.
Ob 2003, 2015, 2018, 2019 oder 2023: Hitzewellen mit tropisch heißen Tagen nehmen in Europa zu. Auch in Deutschland und Mitteleuropa erreichen die Sommertemperaturen immer häufiger neue Rekordwerte. Wie Attributionsstudien belegen, ist einer der Haupttreiber dafür der Klimawandel, der die Luft insgesamt erwärmt und Wetterextreme verstärkt. Zudem schwächt er den Jetstream ab, der Bahn und Tempo der wetterbestimmenden Hochs und Tiefs über Europa bestimmt.
Doch es gibt noch einen weiteren Hitzetreiber, wie nun ein Team um Julian Krüger vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel herausgefunden hat. Für ihre Studie hatten sie untersucht, ob und wie mitteleuropäische Hitzewellen mit den Temperaturen des Nordatlantiks zusammenhängen. Dafür glichen sie die Lufttemperaturen über Mitteleuropa und die Oberflächentemperatur des Meeres im Zeitraum von 1979 bis 2019 ab.
Kälteanomalie begünstigt Hitze
Das überraschende Ergebnis: Es gibt tatsächlich einen Zusammenhang zwischen Nordatlantiktemperatur und Hitze in Mitteleuropa, doch dieser ist genau anders herum als man erwarten würde. Denn begünstigend für eine Hitzewelle bei uns ist offenbar nicht eine wärmere Meeresoberfläche, sondern eine kältere. Konkret identifizierte das Forschungsteam zwölf Kälteeinbrüche im Nordatlantik, auf die eine Hitzewelle in Europa folgte. Umgekehrt gab es 17 europäische Hitzewellen, für die ein vorangehender Rückgang der Meerestemperaturen nachweisbar war.
„Besonders gut sehen wir diesen Zusammenhang an den Sommern der Jahre 2015 und 2018, in denen der Nordatlantik ungewöhnlich kalt war und gleichzeitig Hitzewellen über Europa auftraten“, berichtet Krüger. Konkret sanken die Meerestemperaturen im Nordatlantik kurz vor diesen Hitzewellen um rund 2,5 Grad unter die Durchschnittswerte ab. In Mitteleuropa und Skandinavien stiegen daraufhin die Lufttemperaturen um bis vier Grad über die für diese Zeit typischen Werte.
Meteorologische Kettenreaktion
Aber wie ist diese auf den ersten Blick paradoxe „Klimawippe“ zu erklären? Nähere Analysen enthüllten, dass dies auf eine meteorologische Kettenreaktion zurückgeht: Den Anfang macht die anomal kalte Meeresoberfläche, die ein über dem Nordatlantik liegendes Tiefdruckgebiet beeinflusst. Dadurch entwickelt sich ein starker, anhaltender Luftdrucktrog, der warme Luft in obere Luftschichten und Richtung Europa treibt. Dies begünstigt die Bildung eines Hochdruckgebiets über Mitteleuropa.
Als Folge dieser Kette von atmosphärischen Ereignissen entwickelt sich über dem sommerlichen Mitteleuropa eine warme, wolkenfreie Zone, die längere Zeit stabil bleibt – das Rezept für eine Hitzewelle. „Die anomal kühlen Meerestemperaturen im Nordatlantik sind dabei eher als begünstigender Faktor zu sehen, nicht als Voraussetzung“, betonen Krüger und sein Team. Dennoch belegen ihre Analysen, dass viele Hitzewellen der letzten Jahre durch eine solche marine Kälteanomalie im Nordatlantik eingeleitet wurde. Kombiniert mit bestimmten atmosphärischen Bedingungen erhöht diese Anomalie demnach die Wahrscheinlichkeit von Hitzephasen in Mitteleuropa.
„Die Ergebnisse der Studie tragen dazu bei, den Zusammenhang zwischen der nordatlantischen Oberflächentemperatur und europäischen Hitzeereignissen besser zu verstehen“, sagt Krüger. Das sei auch für die künftige Vorhersage solcher Hitzewellen wichtig. (Tellus A: Dynamic Meteorology and Oceanography, 2023; doi: 10.16993/tellusa.3235)
Quelle: GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel