Was waren die spannendsten Entdeckungen und Durchbrüche in der Physik des Jahres 2023? Das Magazin „Physics World“ hat die Top Ten des Jahres gekürt. Unter ihnen sind Quantenverstärker, ein Doppelspaltexperiment in der Zeit und ein Falltest für Antimaterie. Außerdem Überaschall-Risse, Atomaufnahmen und frühe Galaxien. Im Grenzbereich zwischen Physik, Technik und Medizin stehen zudem ein neuronaler „Schrittmacher“ für Gelähmte und ins Gewebe integrierte Elektroden.
Jedes Jahr küren die Herausgeber des Magazins „Physics World“ die zehn wichtigsten Highlights des Jahres aus der Welt der Physik. Kriterien für die Auswahl: Die Arbeit muss bedeutend sein, das Wissen signifikant erweitern, eine starke Verbindung zwischen Theorie und Experiment zeigen und von allgemeinem Interesse für alle Physiker sein.
Zeitlicher Doppelspalt und Quanten-Verstärker
Eines der Top Ten 2023 ist eine Abwandlung des altbekannten Doppelspaltexperiments, das die Wellennatur von Teilchen demonstriert. Im April 2023 stellten Physiker eine Variante vor, die zeitlich statt räumlich funktioniert. Die Schlitze liegen dabei nicht nebeneinander, sondern öffnen und schließen sich in kurzem zeitlichen Abstand. Diese zeitliche Doppelspalt-Variante erzeugt kein räumliches Interferenzmuster, sondern fächert das Licht in seine verschiedenen Wellenlängen auf – es entsteht eine Farbpalette aus Frequenz-Oszillationen.
Ebenfalls um Licht geht es in einem weiteren Highlight der Physik: Innsbrucker Forscher haben einen Quanten-Verstärker entwickelt, der Ionen-Quantenbits mit Photonen verschränkt und diese dann zu Telekommunikationssignalen konvertiert. Dadurch können die Quanteninformationen von Quantencomputern über gängige Glasfaserleitungen transportiert werden, ohne dass ihre Verschränkung verloren geht. Nach ersten Tests über 500 Meter Leitung erhöhten die Physiker die Reichweite ihres Systems bis auf 50 Kilometer.
Antimaterie im Falltest und Überschall-Risse
Im September 2023 lieferte ein Experiment am Forschungszentrum CERN eine wichtige Erkenntnis zur Antimaterie: Erstmals war es gelungen, Antiwasserstoff einem Falltest zu unterziehen und damit seine Reaktion auf die Gravitation zu messen. Das Ergebnis: Die Schwerkraft wirkt auch auf Antimaterie anziehend, was Annahmen einer umgekehrten, abstoßenden Wirkung widerlegt. Das ALPHA-Experiment lieferte aber auch Hinweise darauf, dass Antimaterie möglicherweise schwächer auf Gravitation reagiert als normale Materie.
Nicht ums Fallen, sondern um die Überschall-schnelle Rissausbreitung in einem Material ging es bei einem Highlight im Oktober 2023: Ein Experiment mit geschockten Diamanten belegte erstmals, dass sich winzige Defekte in dessen Kristallgitter schneller ausbreiten können als transversale Schallwellen. Dies enthüllt, dass das Tempolimit für die Ausbreitung solcher Defekte in Kristallen höher liegt als bisher angenommen, und ist bedeutsam nicht nur für Materialforschung und Technik, sondern auch für Geologie und Seismologie.
Elektronenorbitale und die Protonenstruktur
Um Atome und ihre Struktur geht es dagegen bei zwei weiteren Physik-Highlights des Jahres 2023. Im Mai 2023 gelang es einem Team erstmals, einzelne Atome und ihre Elektronenorbitale sichtbar zu machen. Mithilfe eines speziell präparierten Rasterkraftmikroskops konnten sie die Elektronenorbitale von Eisen- und Cobaltatomen abbilden und vergleichen. Einem zweiten Physikerteam gelang ähnliches mit einer Kombination der Rastertunnel-Mikroskopie und Synchrotron-Röntgenstrahlung.
Die Struktur der atomaren Kernbausteine zeigt dagegen das neue MINERvA-Experiment am Fermilab in den USA. Dabei erzeugt der Teilchenbeschleuniger einen Strahl aus Neutrinos, die auf ein massives Ziel aus Wasserstoff und Kohlenstoffatomen prallen. Ein winziger Teil dieser Neutrinos kollidiert dabei mit den Protonen in den Wasserstoffatomen und erzeugt ein Streuungsmuster, aus dem Physiker Informationen über den Aufbau des Protons gewinnen können.
Galaktische Blasen und Raumzeit im Labor
Zwei weitere Physik-Highlights des Jahres liefern neue Einblicke in die Entwicklung unseres Universums. Astronomen der EIGER Collaboration haben mithilfe des James-Webb-Weltraumteleskops das Licht von Quasaren aus der frühen Anfangszeit des Kosmos analysiert. Die Resultate zeigten Blasen ionisierter Gase im Umfeld früher Galaxien, die Aufschluss über den Ablauf der Reionisierung des Alls liefern – der Phase, in der die intensive Strahlung der ersten Sterne und Galaxien den neutralen Wasserstoff im Kosmos ionisierte.
Um die Expansion des Kosmos geht es dagegen in einem weiteren Highlight der Astrophysik. Für dieses haben Physiker um Celia Viermann von der Universität Heidelberg das Verhalten der sich ausdehnenden Raumzeit in einem Laborexperiment nachvollzogen. Dafür erzeugten sie ein Bose-Einstein-Kondensat aus Kalium-Atomen – das Raumzeit-Analog – und beobachteten, wie sich dieses durch quantenphysikalische Anregungszustände veränderte.
„Kosmologische Fragestellungen laufen normalerweise auf unvorstellbar großen Skalen ab“, sagt Viermann. „Diese ganz konkret im Labor untersuchen zu können, eröffnet ganz neue Möglichkeiten der Forschung, indem wir neue theoretische Modelle experimentell testen können.“
Injizierbare Elektroden und „Schrittmacher“ für Querschnittsgelähmte
Den Abschluss der Physik-Highlights bilden zwei Experimente, die sich im Grenzbereich von Physik, Technik und Medizin bewegen. Das erste ist ein Spezialgel, aus dem nach Injektion in lebendes Körpergewebe von selbst Elektroden entstehen: Der Kontakt mit Körperflüssigkeit löst die Polymerisierung des Materials aus und macht es leitfähig. Dadurch könnten zukünftig Elektroden einfach injiziert statt chirurgisch implantiert werden.
Was mit elektronischen Implantaten erreicht werden kann, demonstrierte dagegen ein Team der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL). Sie forschen schon seit einigen Jahren an einem „Rückenmarks-Schrittmacher“, der Querschnittsgelähmte wieder auf die Beine bringen und ihnen das Laufen ermöglichen soll. Nach ersten Erfolgen bei drei Testpatienten im Jahr 2022 ist es dem Team in diesem Jahr gelungen, einen gelähmten Patienten mithilfe weiterer Optimierungen ihrer Methode wieder zu einem fast normalen Gang zu verhelfen.
Quelle: Physics World