Physik des Alltags: Wenn an Silvester die Sektkorken knallen, dann steckt weit mehr dahinter, als wir vielleicht glauben. Denn das typische „Plopp“ geht auf faszinierende und ziemlich rasante physikalische Prozesse zurück, wie nun eine Studie enthüllt. Demnach kommt es im Flaschenhals zu schnellen Gasströmen, die die Schallmauer durchbrechen und sogar eine winzige Mach-Scheibe erzeugen, wie man sie von Düsenjets kennt. Gleichzeitig wird ein Teil des CO2 schockgefrostet und erzeugt den Sekt-„Rauch“ aus Trockeneiskristallen.
Ob die perfekte Pizza, die Schichten des Latte Macchiato oder das Muster eintrocknender Whiskytropfen: Hinter vielen alltäglichen Phänomenen und Objekten steckt handfeste Physik. Das gilt auch für den an Silvester und bei anderen festlichen Anlässen beliebten Sekt oder Champagner. Typisch für sie sind die zarten Bläschen, die durch das Ausgasen von gelöstem Kohlendioxid entstehen. Was beim Zerplatzen dieser Bläschen an der Sektoberfläche passiert und warum man dies sogar hören kann, haben Physiker vor einigen Jahren aufgeklärt.
Was erzeugt das Knallen der Sektkorken?
Jetzt gibt es neue Erkenntnisse zu einem anderen untrennbar mit Sekt und Champagner verknüpften Phänomen: dem Knallen des Sektkorkens. Auf den ersten Blick scheint der Grund für dieses Ploppen simpel: In der Sektflasche herrscht hoher Druck. Lockert man den Korken, treibt dieses komprimierte Gas den Verschlussstöpsel nach außen. Dabei entlädt sich der Druck mit einem kräftigen Plopp und der Korken fliegt davon.
Doch wie genau entsteht dieser Knall? Und welche Physik steckt dahinter? Das haben Lukas Wagner von der Technischen Universität Wien und seine Kollegen nun genauer untersucht. Dafür haben sie das Verhalten von Korken und Kohlendioxidgas beim Öffnen der Sektflasche in aufwendigen Computersimulationen nachgebildet. Besonderes Augenmerk legten sie darauf, was im Flaschenhals und unmittelbar über der Flasche geschieht.
Schneller als der Schall
Das zeigte sich: Beim Lockern des Sektkorkens beginnt sich das komprimierte Gas zwischen Korken und Sektoberfläche bereits auszudehnen und beginnt, seitlich am Korken vorbei zu entweichen. Noch bremst die Reibung des Korkens am Flaschenhals dies jedoch ab. Wenn sich dann der Korken gelöst hat, passieren zwei Dinge: Zum einen dehnt sich der Korken abrupt aus und erzeugt dadurch eine Druckwelle. „Der Sektkorken fliegt dabei mit einer vergleichsweise geringen Geschwindigkeit davon, er erreicht vielleicht 20 Meter pro Sekunde“, sagt Wagner.
Zum anderen hat das komprimierte Gas im Flaschenhals nun freie Bahn und dehnt sich fast explosionsartig aus. Dadurch schießt ein rasend schneller Gasstrahl aus der Flasche: „Das Gas überholt den Korken, strömt an ihm vorbei und erreicht Geschwindigkeiten von bis zu 400 Metern pro Sekunde“, erklärt Wagner. Damit ist dieser Gasstrahl schneller als die Schallgeschwindigkeit – er durchbricht die Schallmauer.
Überschallknall und Mach-Scheibe im Flaschenhals
Das mit Überschall aus der Sektflasche austretende Gas können wir hören: Die von dem Gasstrom erzeugte Stoßwelle verursacht ein lautes Ploppen – und ist hauptsächlich für das klassische Korkenknallen verantwortlich. „Dass es beim Ploppen einer Sektflasche tatsächlich zu Überschallphänomenen kommt, war zunächst alles andere als klar“, sagt Wagners Kollege Bernhard Scheichl. „Aber unsere Simulationen zeigen, dass sich das auf ganz natürliche Weise aus den Gleichungen der Strömungsmechanik ergibt.“
Interessant auch: Im Flaschenhals entsteht an der Stelle im Gasstrahl, an der sich der Druck abrupt verändert, eine Mach-Scheibe. Diese scheibenförmige Zone entsteht durch stehende Wellenmuster, die durch die Wechselwirkung der Stoßwelle mit der umgebenden Luft gebildet werden. „Ganz ähnliche Phänomene kennt man auch von Überschallflugzeugen oder Raketen, bei denen der Abgasstrahl mit hoher Geschwindigkeit aus den Triebwerken austritt“, erklärt Wagners Kollege Stefan Braun. Die Mach-Scheibe der Sektflache ist allerdings viel kleiner und für uns kaum zu erkennen.
Schockgefrieren und Trockeneis-Rauch
Doch es gibt noch mehr physikalische Phänomene beim Entkorken des Sekts: Wenn sich der Druck des komprimierten Gases im Überschallknall entlädt, verändert sich dabei auch die Temperatur schlagartig: „Wenn Gas expandiert, dann wird es kühler, das kennt man von Sprühdosen“, erklärt Wagner. Bei der Sektflasche ist dieser Effekt allerdings weit extremer: Punktuell kann das Gas sogar auf bis zu -130 °C abkühlen.
Im Extremfall entstehen durch dieses Schockgefrieren des Gases sogar winzige Trockeneis-Kristalle. „Dieser Effekt hängt davon ab, welche Temperatur der Sekt ursprünglich hatte“, sagt Wagner. „Unterschiedliche Temperaturen führen zu unterschiedlich großen Trockeneis-Kristallen, die dann Licht auf unterschiedliche Weise streuen. Dadurch entsteht unterschiedlich gefärbter Rauch. Im Prinzip kann man also an dieser Farbe die Sekttemperatur ablesen.“
Das vermeintlich so simple Öffnen einer Sektflasche hat es demnach in sich: Beim Entkorken laufen komplexe physikalische Prozesse ab, die verschiedenste faszinierende Phänomen nach sich ziehen. Wenn das kein Grund ist, an Silvester die Korken knallen zu lassen. (Flow, 2023 accepted, doi: 10.1017/flo.2023.34)
Quelle: Technische Universität Wien