Medizin

Mögliche Ursache für plötzlichen Kindstod entdeckt

Unerwartet verstorbene Säuglinge erlitten zuvor einen unbemerkten Krampfanfall

Säugling liegt auf dem Bauch
Ähnlich wie Epileptiker könnten Kleinkinder nach einem Krampfanfall im Schlaf Atemprobleme haben und dann ersticken. Insgesamt ist das Risiko für den plötzlichen Kindstod höher, wenn die Säuglinge beim Schlafen auf dem Bauch liegen. © muaotphoto / Getty Images

Ähnlichkeit zu Epilepsie? Kurze Anfälle mit Muskelkrämpfen könnten der Auslöser des sogenannten plötzlichen Kindstods sein, wie eine Studie nahelegt. Demnach könnten unbemerkte Krampfanfälle während des Schlafs die Ursache für unerwartete Todesfälle bei Kleinkindern und Säuglingen sein. Möglicherweise sterben sie auf dieselbe Weise wie auch Epilepsie-Patienten: durch Atemprobleme infolge von Krämpfen.

Der plötzliche Kindstod trifft Säuglinge scheinbar wie aus dem Nichts: Die Kinder sterben im Schlaf, ohne dass zuvor ein erkennbarer Grund vorlag. In Deutschland sind rund 100 Kinder pro Jahr betroffen. In den USA verlieren Schätzungen zufolge jährlich über 3.000 Familien unerwartet ein Baby oder Kleinkind, ohne dass eine Todesursache festgestellt werden kann. In den meisten Fällen handelt es sich um Säuglinge im ersten Lebensjahr, die an dem plötzlichen Kindstod (SIDS) sterben. In manchen Fällen sind aber auch Kleinkinder und Kinder ab einem Jahr betroffen. Dann sprechen Mediziner vom sogenannten plötzlichen unerklärlichen Tod bei Kindern (SUDC).

Seit Jahrzehnten suchen Wissenschaftler nach einer Erklärung für solche plötzlichen Todesfälle bei Kindern. Bislang ohne klares Ergebnis. Allerdings weiß man inzwischen, dass das Risiko für den plötzlichen Kindstod höher ist, wenn die Säuglinge beim Schlafen auf dem Bauch liegen, weil ihr Gehirn dann schlechter mit Sauerstoff und Blut versorgt wird.

Private Videoaufnahmen zeigen Kinder kurz vor ihrem Tod

Ein Ärzteteam um Laura Gould von der New York University (NYU) ist einer weiteren Spur nachgegangen: Jüngste Studien haben ergeben, dass rund ein Drittel der Kinder, die plötzlich und unerwartet starben, zuvor an Fieberkrämpfen gelitten hatten. Dieser Anteil ist zehnmal höher als für Kinder dieses Alters typisch, wie die Forschenden erklären. Um einen möglichen Zusammenhang zu klären, haben sie nun sieben solcher Todesfälle bei Kleinkindern (SUDC) genauer untersucht, die an den Kliniken der NYU registriert wurden.

Die Kinder starben im Alter zwischen einem und drei Jahren. Die Autopsie ihrer Körper hatte keine klare Todesursache ergeben. Lediglich bei einem Kind wurden blockierte Atemwege festgestellt. Um dennoch einen möglichen Auslöser zu finden, analysierten die Mediziner private Videoaufnahmen der Kinder, die entweder von Kameras in Babyphonen oder Sicherheitssystemen aufgenommen wurden und von den Familien zur Untersuchung bereitgestellt wurden.

Die Videos zeigten die schlafenden Kinder jeweils in der Nacht oder am Nachmittag vor ihrem Tod. Die Mediziner suchten darauf nach Geräuschen und Bewegungen, die Anzeichen für einen Krampfanfall sein könnten. Zudem werteten sie die medizinischen Dokumente der Kinder aus.

Mögliche Todesursache: Fieberkrampf im Schlaf

Das Ergebnis: Nur eines der sieben Kinder hatte laut seiner dokumentierten medizinischen Vorgeschichte vor seinem Tod unter Fieberkrämpfen gelitten. Jedoch beobachteten die Ärzte auf fünf der sieben Videos Geräusche und Bewegungen, die auf einen Krampfanfall der Kinder hinweisen. Die anderen beiden Videoaufnahmen starteten erst, nachdem ein Geräusch oder eine Bewegung sie ausgelöst hatte und waren daher lückenhaft. In einem dieser beiden Videos beobachteten die Mediziner aber ebenfalls Symptome eines möglichen Krampfanfalls, die andere Aufnahme zeigte unklare Bewegungen.

Die Anfälle der Kleinkinder dauerten jeweils nur wenige Sekunden bis knapp eine Minute und traten innerhalb von maximal 30 Minuten vor dem Kindstod auf, wie die Ärzte berichten. „Obwohl unsere Studie klein ist, liefert sie den ersten direkten Beweis dafür, dass Anfälle für einige plötzliche Todesfälle bei Kindern verantwortlich sein könnten“, sagt Gould, deren Tochter selbst im Alter von 15 Monaten unerwartet verstarb.

Krampanfälle könnten häufiger sein als gedacht

„Die Ergebnisse legen nahe, dass Fieberkrämpfe viel häufiger auftreten, als die Krankengeschichte der jungen Patienten vermuten lässt“, sagt Seniorautor Orrin Devinsky von der NYU. „Krampfanfälle könnten der ‚schlagende Beweis‘ sein, nach dem die medizinische Wissenschaft gesucht hat, um zu verstehen, warum diese Kinder sterben.“ Solche kurzzeitigen Krampfanfälle im Schlaf bleiben oft unbeobachtet. Auch in den untersuchten Fällen deutete allein der Videobeweis auf die Krampfanfälle hin, die weiteren Analysen allein hätten keine Todesursache ergeben.

Um festzustellen, wie häufig Krampfanfälle bei im Schlaf verstorbenen Kleinkindern tatsächlich sind und ob diese möglicherweise auch bei Säuglingen, älteren Kindern und Erwachsenen auftreten, sei jedoch weitere Forschung erforderlich, betont Devinsky. Künftige Studien müssen auch klären, ob die Fieberkrämpfe tatsächlich für den plötzlichen Kindstod verantwortlich sind und ob diese auch den plötzlichen Kindstod von Säuglingen (SIDS) sowie möglicherweise von Epilepsie-Patienten verursachen, so der Neurologe und Epilepsieforscher

Warum sind manche Fieberkrämpfe tödlich?

Unklar bleibt, wie die Krampfanfälle genau zum Tod der Kleinkinder führen. Devinsky vermutet, dass der Vorgang ähnlich ablaufen könnte wie bei Epilepsie-Patienten. Aus früheren Studien ist demnach bekannt, dass Epileptiker direkt nach einem Anfall häufig Atem-Schwierigkeiten haben und daran auch teilweise versterben. Zum Tod kommt es laut Devinsky zudem häufiger dann, wenn die Patienten mit dem Gesicht nach unten auf dem Bauch schlafen und sie niemand dabei beobachtet. Dasselbe treffe auf die untersuchten Todesfälle bei Kleinkindern zu.

Devinskys Theorie passt zum Befund einer Studie aus dem Jahr 2023. Demnach behindert eine genetische Anomalie bei einigen Kindern den natürlichen Notfallmechanismus ihrer Atmung. Dieser verhindert normalerweise, dass Kinder oder auch Erwachsene im Schlaf ersticken. (Neurology, 2024; doi: 10.1212/wnl.0000000000208038)

Quelle: New York University

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