Mysteriöser Zwitter: Astronomen haben in der Milchstraße ein Objekt entdeckt, das in keine „Schublade“ passt. Denn dieses unsichtbare Etwas ist zu schwer für einen Neutronenstern, aber zu leicht für ein Schwarzes Loch. Es liegt genau in der Massenlücke zwischen beiden, wie das Team in „Science“ berichtet. Worum es sich bei dem Objekt handelt und wie es zustande kam, ist bisher unklar. In jedem Fall wäre es aber ein extrem seltener Exot.
Wenn ein massereicher Stern am Ende seines Lebenszyklus in einer Supernova explodiert, kollabiert sein Kern je nach Ausgangsmasse entweder zu einem Neutronenstern oder zu einem Schwarzen Loch. Ein Neutronenstern ist jedoch nur bis zu einer Obergrenze von 2,16 Sonnenmassen stabil, bei einem schnell rotierenden Neutronenstern sind es rund 20 Prozent mehr. Jenseits dieser Grenze kollabiert der Sternenrest zum stellaren Schwarzen Loch – so die Theorie.
Das Merkwürdige jedoch: Die bisher leichtesten Schwarzen Löcher sind rund fünf Sonnenmassen schwer. Zwischen ihnen und den schwersten Neutronensternen klafft daher eine Lücke – warum, ist unklar. Zwar haben Astronomen mit Gravitationswellen-Detektoren einige wenige Male die Signale von Objekten eingefangen, die in dieser Massenlücke liegen könnten. Doch um was es sich handelte, blieb ungeklärt.
Ein Radiopulsar mit unsichtbarem Begleiter
Jetzt haben Astronomen erstmals ein solches „Lückenobjekt“ mittels Radioteleskopen aufgespürt. Eigentlich wollte das Team um Ewan Barr vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn die Radiopulsare im dichten, rund 40.000 Jahre Lichtjahre entfernten Kugelsternhaufen NGC 1851. Dabei fiel ihnen eine Anomalie auf: Der Radiopulsar PSR J0514-4002E – ein schnellrotierender, intensive Radiostrahlenbündel abgebender Neutronenstern – schien einen unsichtbaren Begleiter zu besitzen.
Dieser Begleiter verriet sich durch winzige Unregelmäßigkeiten in der Rotation des Radiopulsars. Sein Schwerkrafteinfluss erzeugt Abweichungen in dem normalerweise regelmäßig im Takt der Umdrehungen aufblitzenden Radiopulse. „Damit haben wir eine fast perfekte Stoppuhr, mit der wir die Orbits dieser Objekte mit Mikrosekunden-Präzision messen können“, erklärt Barr. Das Ausmaß der Abweichungen erlaubt es zudem, auf die Masse des unsichtbaren Pulsar-Begleiters zu schließen.
Zu schwer für gängige Objekte
Dabei zeigte sich Überraschendes: Der Radiopulsar PSR J0514-4002E und sein unbekannter Begleiter wiegen zusammen rund 3,887 Sonnenmassen. „Damit ist dieses Paar eine Sonnenmasse schwerer als das schwerste bekannte Doppel-Neutronensternsystem der Milchstraße“, berichten die Astronomen. Hinzu kommt: Der sichtbare Pulsar ist offenbar der Juniorpartner in diesem Doppelsystem. Seine Masse haben die Forschenden anhand seines Rotationstempos auf maximal 1,53 Sonnenmassen eingegrenzt.
Das bedeutet: Der unsichtbare Begleiter dieses Radiopulsars wiegt wahrscheinlich rund 2,35 Sonnenmassen, mit einer Spanne zwischen 2,09 und 2,71 Sonnenmassen. „Damit liegt dieser Begleiter in der Massenlücke für kompakte Objekte“, erklären Barr und seine Kollegen. „Er ist schwerer als der schwerste präzise gemessene Neutronenstern, aber leichter als die leichtesten beobachteten Schwarzen Löcher in Form von Röntgendoppelsternen.“
Neutronenstern oder Schwarzes Loch?
Doch worum handelt es sich? „Wir können nicht feststellen, ob dieser Begleiter ein massereicher Neutronenstern oder aber ein leichtgewichtiges Schwarzes Loch ist“, konstatieren die Astronomen. Zwar kann ein schnell rotierender Neutronenstern theoretisch bis zu 2,35 Sonnenmassen schwer werden, weil ihn die Fliehkraft der Rotation stabilisiert. Die Merkmale des Pulsars sprechen jedoch gegen einen solchen „Schnelldreher“ als Begleiter, wie Barr und sein Team erklären.
Theoretisch könnte der unsichtbare Pulsar-Begleiter auch ein Schwarzes Loch oder vielleicht eine noch unbekannte, exotische Form von Sternenrest sein. Doch das können die Astronomen allein auf Basis ihrer Beobachtungsdaten nicht eindeutig klären. „Auch mithilfe von Modellen zur Doppelsternentwicklung können wir die Natur des Begleiters nicht bestimmen“, so Barr und seine Kollegen.
Platztausch mit vorhergehender Verschmelzung?
Die Astronomen vermuten aber, dass das rätselhafte Objekt nicht durch die normale Kernkollaps-Supernova eines Sterns entstand. Stattdessen könnte es in dem dichten Gedränge des Kugelsternhaufens zu einem sekundären Austausch des Pulsar-Begleiters gekommen sein. Bei diesen Platzwechsel wurde der ursprüngliche Partnerstern des Pulsars durch einen benachbarten schwereren Stern oder Sternenrest ersetzt.
„Dieser neue Partner könnte seinerseits durch eine Verschmelzung entstanden sein, bevor er Teil des Pulsarsystems PSR J0514-4002E wurde“, erklären Barr und sein Team. Am wahrscheinlichsten sei dabei die Kollision zweier Neutronensterne. Ähnlich wie bei der mittels Gravitationswellen detektierten Neutronensternkollision GW170817 entstand daraus ein Objekt in der Massenlücke – vielleicht das leichteste Schwarze Loch.
„Wir bleiben dran“
Doch noch bleibt offen, worum es sich bei dem unsichtbaren Pulsarbegleiter handelt. „Aber jede Variante wäre für uns spannend“, erklärt Koautor Ben Stappers von der University of Manchester. „Ein System aus Pulsar und Schwarzem Loch wäre ein wertvolles Zielobjekt für Tests der Gravitation. Ein schwerer Neutronenstern wurde hingegen neue Einblicke in die Kernphysik bei sehr hohen Dichten liefern.“
Die Astronomen wollen den Radiopulsar und seinen rätselhaften Begleiter nun weiter untersuchen, um dessen Identität zu klären. „Wenn wir die wahre Natur des Objekts enthüllen, wird dies ein Wendepunkt für unser Verständnis von Neutronensternen, Schwarzen Löchern – und was sich sonst noch in der Massenlücke verbirgt – sein“, sagt Ko-Erstautorin Arunima Dutta vom MPI für Radioastronomie. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adg3005)
Quelle: Science, University of Manchester