Eine Gentherapie hat erstmals Kindern mit angeborener Taubheit das Gehör zurückgegeben – sie konnten innerhalb weniger Wochen wieder hören. Dafür ersetzten Forschende die bei diesen Kindern defekte Version des OTOF-Gens im Innenohr durch eine intakte Genversion. Eingeschleust wurde diese mithilfe von Adenoviren als Genfähren, die ins Innenohr injiziert wurden. Der Erfolg dieser Gentherapie ebne den Weg für die Therapie auch anderer Formen der genetisch bedingten Schwerhörigkeit, so das Team in „The Lancet“.
Rund 26 Millionen Menschen weltweit leiden an einer angeborenen, genetisch bedingten Form der Schwerhörigkeit. Oft werden die betroffenen Kinder schon taub geboren, weil bestimmte, für das Gehör wichtige Gene durch eine Mutation defekt sind. Eine dieser Mutationen, DFNB9, trifft das OTOF-Gen im Innenohr, als Folge wird das für die Vermittlung der Hörreize vom Ohr zum Gehirn nötige Protein Otoferin nicht korrekt produziert. Bisher gab es für diese Form der erblichen Taubheit kein Heilmittel.
Ersatz-Gen in zwei Teilen eingeschleust
Jetzt gibt eine neue Gentherapie betroffenen Kindern und ihren Eltern Anlass zur Hoffnung. Forschende um Jun Lv von der Fudan Universität in China hat eine Methode gefunden, um das defekte OTOF-Gen durch eine intakte Kopie zu ersetzen. Die Schwierigkeit dabei: Das OTOF-Gen ist so umfangreich, dass es nicht in ein Adeno-assoziiertes Virus passt. Diese für viele Gentherapien gängigen Genfähren können nur DNA einer bestimmen Maximallänge aufnehmen – und das OTOF-Gen überschreitet diese.
Das Team musste daher das intakte Austauschgen auf zwei Adeno-assoziierte Viren aufteilen – in der Hoffnung, dass dieses dann in den Zielzellen korrekt zusammengesetzt wird. Für ihre Studie bereiteten sie diese Genfähren entsprechend vor, dann wurden sechs von der DFNB9-Taubheit betroffenen Kinder als Empfänger ausgewählt. Die sechs Testpatienten erhielten jeweils eine Spritze ins Innenohr, die in einem Fall 900 Milliarden in Viren verpackte Genkopien, im anderen 1,5 Billionen Genkopien enthielt.
Über 26 Wochen hinweg beobachteten die Forschenden den Gesundheitszustand und die Hörentwicklung der Kinder – unter anderem durch regelmäßige Hör- und Sprachtests.
Drastische Besserung des Gehörs
Das Ergebnis: Schon wenige Wochen nach der Gentherapie begann sich das Gehör der Kinder deutlich zu verbessern. „Die Ergebnisse sind wirklich bemerkenswert“, sagt Koautor Zheng-Yi Chen von der Harvard Medical School. „Wir konnten sehen, wie die Hörfähigkeit der Kinder sich von Woche zu Woche dramatisch verbesserte.“ Die kleinen Patienten begannen auf Geräusche und Gespräche zu reagieren und auch ihr Sprechen verbesserte sich.
Nach Ablauf von 26 Wochen hatte sich das Gehör von fünf der sechs mit der Gentherapie behandelten Kinder so weit gebessert, dass sie sogar Geräusche von rund 45 Dezibel hören konnten. Zum Vergleich: Eine normale Unterhaltung hat etwa 50 bis 60 Dezibel, ein Flüstern hat rund 30 Dezibel. Während der Behandlung traten nur leichte, vorübergehende Nebenwirkungen auf, wie die Forschenden berichten.
Chance auch für andere genetisch bedingte Hörverluste
„Wir sind die ersten, die eine OTOF-Gentherapie in einer klinischen Studie testen“, sagt Co-Erstautor Yilai Shu von der Fudan Universität. „Unsere Resultate belegen, dass diese Therapie eine sichere und wirksame neue Behandlung für Kinder mit dieser autosomal rezessiven Taubheit darstellt.“ Die Studie zeigt auch, dass das Aufteilen eines zu großen Gens auf zwei Genfähren und die Injektion der gentragenden Viren direkt in das Innenohr funktioniert. Dies eröffne neue Möglichkeiten auch für andere genetisch bedingte Formen der Schwerhörigkeit, so die Wissenschaftler.
„Seit der Erfindung der ersten Cochlea-Implantate vor mehr als 60 Jahren hat es keine wirksame Behandlung für Taubheit mehr gegeben“, sagt Chen. „Dies ist daher ein großer Meilenstein, der eine neue Ära im Kampf gegen alle Formen des Hörverlusts einleitet.“ (The Lancet, 2024; doi: 10.1016/S0140-6736(23)02874-X)
Quelle: Massachusetts Eye and Ear Infirmary