Archäologie

Schweden: Dolmengrab gibt Rätsel auf

Eines der ältesten Steingräber Skandinaviens enthält seltsame Sammlung von Knochen

Steinkammer des Tiarp-Dolmen
Diese aufgerichteten Steinplatten bilden die Grabkammer des Dolmen von Tiarp. Das Steinzeitgrab ist gut 5.500 Jahre alt. © T. Axelsson/ Journal of Neolithic Archaeology, CC-by 4.0

Steinzeit-Grab mit vielen Fragen: Im Süden Schwedens haben Archäologen eines der ältesten Steingräber Skandinaviens identifiziert – der Tiarp-Dolmen wurde schon vor gut 5.500 Jahren errichtet. Rätselhaft ist jedoch, warum in seinem Innern zwölf Menschen ganz unterschiedlichen Altes bestattet waren – vom Säugling bis zum Greis. Ebenfalls ungeklärt ist, warum zwar die feinen Hand- und Fußknochen der Toten erhalten blieben, nicht aber ihre stabileren großen Knochen. Wurden sie entnommen?

Ob Steinkreise wie Stonehenge, skandinavische Dolmen oder Ganggräber wie das berühmte Grab von Newgrange: In der Zeit vor 6.500 bis 4.500 Jahren entstanden in Nord- und Westeuropa tausende von monumentalen Stein-Heiligtümern und Grabanlagen. Einige waren nach astronomischen Markern ausgerichtet, andere dienten als Gräber. In Norddeutschland und Skandinavien bestatteten die Menschen ihre Toten zunächst in den aus großen Steinplatten errichteten Dolmen, später, mit Aufkommen der Trichterbecherkultur, entstanden die komplexeren Ganggräber.

Ausgrabung
Archäologen bei der Ausgrabung des Dolmengrabs von Tiarp. © Cecilia Sjöberg

Ein Dolmengrab im Acker

Unklar war jedoch bisher, wann genau der Übergang von Dolmen zu Ganggräbern stattfand und ob beide Gräberformen einige Zeit parallel vorkamen. Dies gilt vor allem für Südschweden, wo besonders viele Steinzeitgräber erhalten sind. „Trotz der gängigen Annahme, dass die skandinavischen Dolmen die Vorläufer der Ganggräber waren, fielen alle C14-Datierungen der dortigen Dolmen in die gleiche Zeitspanne wie die Ganggräber“, erklären Karl-Göran Sjögren von der Universität Göteborg und seine Kollegen.

Eine mögliche Antwort liefert nun ein Dolmengrab in der schwedischen Region Falbygden. Dort, nahe des Ortes Tiarp, entdeckte ein Bauer schon im Jahr 1929 einen rund 17 Meter großen und noch 1,25 Meter hohen Grabhügel. Dieser enthielt eine rund drei Meter lange und knapp einen Meter breite Kammer aus großen, aufrechtstehenden Kalksteinplatten. Erste Ausgrabungen im Jahr 2014 ergaben, dass im Inneren dieser Kammer menschliche Überreste erhalten waren, diese wurden jedoch zunächst nicht näher untersucht und wieder zugeschüttet.

Eines der ältesten Steingräber Skandinaviens

Jetzt haben Sjögren und sein Team das Dolmengrab von Tiarp genauer analysiert und datiert. Ihre Ausgrabungen enthüllten, dass die Steinkammer des Grabes zwar in der für Dolmen üblichen Bauweise erreichtet war. Allerdings wies sie eine Besonderheit auf: „Es gibt eine kleine Nische an jedem Ende – das ist einzigartig und bisher nur aus der Region Falbygden bekannt“, sagt Sjögren. Er vermutet, dass es sich um eine lokale Variante der Dolmengräber handelt-

Das Entscheidende jedoch: Datierungen der Bodenschichten unter und über dem mit Kalksteinplatten ausgelegten Boden des Grabes enthüllten das Alter des Dolmens: „Es ist ein sehr frühes Grab, das auf den Anfang der Jungsteinzeit zurückgeht, etwa aus der Zeit um 3.500 vor Christus“, berichtet Sjögren. „Damit ist dieses Grab 150 bis 200 Jahre älter als die ältesten Ganggräber dieser Region – und eines der ältesten Steingräber in ganz Skandinavien.“

Das Dolmengrab von Tiarp markiert damit die Zeit, zu der die ersten Bauern in Skandinavien eine neue Bestattungstradition begannen: Ab dieser Zeit begruben sie ihre Toten in Gräbern aus großen, aufgerichteten Steinplatten. Einige Jahrhundert später wurden dann auch die ersten Ganggräber errichtet.

Relikte von zwölf Toten – doch woran starben sie?

Der Tiarp-Dolmen ist aber noch aus einem anderen Grund eine Besonderheit: Im Inneren der Steinkammer fanden die Archäologen mehr als 77 menschliche Knochen und Zähne – Relikte von mindestens zwölf Menschen, die dort einst bestattet worden waren. Schon diese hohe Zahl der Bestatteten ist für diese Zeit und Region ungewöhnlich, wie das Team erklärt. Noch seltsamer ist, dass unter den Toten vor allem Junge und Alte vertreten sind – vom Säugling über Kinder und Jugendliche bis zum Greis.

„Wir sehen keinerlei Verletzungen an diesen Toten, daher denken wir nicht, dass sie eines gewaltsamen Todes starben“, berichtet Koautor Torbjörn Ahlström von der Lund Universität in Schweden. „Aber wir sind noch dabei, ihre DNA zu analysieren – möglicherweise wird uns dies verraten, ob diese Menschen an einer Krankheit litten.“ Erste vorläufige Analysen haben bereits ergeben, dass das genetische Material in den jahrtausendealten Knochen relativ gut erhalten ist.

„Das bedeutet, dass wir wahrscheinlich auch die Familien-Verhältnisse der in diesem Grab bestatteten Menschen mithilfe der DNA klären können“, sagt Sjögren. Auch das sei bereits in Arbeit.

Wo sind die Schädel und großen Knochen geblieben?

Doch es gibt noch ein Rätsel rund um den Tiarp-Dolmen: Die im Steingrab entdeckten Knochen stammen nur von ganz bestimmten Teilen es Skeletts: „Die kleinen Knochen der Hände und Füße waren gut erhalten und zahlreich vertreten, ebenso Zähne und Fragmente der Rippen“, berichten die Archäologen. „Aber die großen, dichten Knochen des Schädels oder der Gliedmaßen fehlten fast vollständig. Das ist das genaue Gegenteil des sonst in Megalith-Gräbern üblichen Musters.“

Aber warum? Die Archäologen vermuten, dass hier menschliche Eingriffe im Spiel waren. „Die großen Knochen und Schädel könnten aus dem Grab entfernt worden sein. Wir wissen aber nicht, ob dies mit Bestattungsriten zusammenhing oder ob etwas anders dahintersteckte“, sagt Sjögren. Angesichts des unberührten Zustands des Tiarp-Dolmens bei seiner Entdeckung müssen die Knochen aber noch in der Jungsteinzeit, kurz nach der Bestattung oder sogar dabei entnommen worden sein. „Wir hoffen, dass weitere Untersuchungen mehr Licht auf dieses Rätsel werfen können“, so die Archäologen. (Journal of Neolithic Archaeology, 2024; doi: 10.12766/jna.2023.8)

Quelle: University of Gothenburg, Schwedischer Forschungsrat

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