Neurowissenschaften

Wie das Gehirn unseren Puls erspürt

Experiment enthüllt erstmals spezielle Herzschlag-Wächterzellen im Gehirn

Pulswächter im Gehirn
Bestimmte Neuronen des Gehirns können den Herzschlag direkt erspüren, wie ein Experiment enthüllt. © Luna Jammal/ Microsoft Bing Image Creator + Affinitydesigner

Im Takt des Herzens: Unser Gehirn kann direkt erspüren, wie schnell unser Puls schlägt – und reagiert darauf seinerseits mit rhythmischen Hirnströmen, wie Forschende nun erstmals entdeckt haben. Demnach reagieren spezielle „Wächterzellen“ im Riechkolben, Hippocampus und anderen Hirnarealen auf den mechanischen Reiz des Blutdruck-Takts. Dies ist der erste Nachweis einer solchen Rhythmus-Selbstwahrnehmung im lebenden Gehirn, wie das Team in „Science“ berichtet. Wozu sie genau dient, ist jedoch unbekannt.

Unser Nervensystem kann nicht nur Reize von außen aufnehmen – es reagiert auch auf interne Informationen – auf Botenstoffe und Nervenreize aus unseren Organen, Geweben und Gelenken. Diese Interozeption – Selbstwahrnehmung – ist wichtig, um unseren Stoffwechsel und unsere Verhalten an unseren Körperzustand anzupassen.

Herzschlag
Das im Herzen und in der Aorta „Pulswächter“ sitzen, ist schon länger bekannt. Dass es solche Sensoren jedoch auch direkt im Gehirn gibt, wusste man nicht.© Dr. Microbe/ iStock

Es gibt zudem Hinweise darauf, dass unsere Selbstwahrnehmung auch bestimmte rhythmische Prozesse wie die Atmung und den Puls erfasst. So existieren in der Aorta und im Herzen Zellen, die den Takt des Blutstroms erspüren. Außerdem haben Neurowissenschaftler kürzlich nachgewiesen, dass sich Hirnaktivität im Schlaf an den Rhythmus unserer Atmung anpasst.

„Mysteriöse oszillierende Signale“

Jetzt enthüllt ein Zufallsfund, dass unser Gehirn ebenfalls auf den Takt des Herzschlags reagiert. „Das ganze Projekt begann mit einigen sehr seltsamen Beobachtungen in einem ganz anderen Projekt“, erklärt Seniorautorin Veronica Egger von der Universität Regensburg. In diesem Experiment verfolgte das Team die Hirnaktivität im halb herauspräparierten Riechkolben einer Ratte. Dieser wurde über eine externe Pumpe mit sauerstoffreicher Nährlösung versorgt.

Dabei zeigte sich Merkwürdiges: „Wir sahen andauernd mysteriöse oszillierende elektrische Signale“, berichtet Egger. Diese regelmäßigen Wellen waren jedoch mit keiner bekannten neurologischen Reaktion erklärbar. „Mit jeder neuen Beobachtung wurden die Dinge noch rätselhafter“, sagt Egger. „Schließlich stellte sich heraus, dass das Hirngewebe direkt auf den Rhythmus der Pumpe reagiert, die wir an ihm angebracht hatten, um es zu versorgen.“

Neuronen reagieren auf rhythmischen Druckwechsel

Nähere Analysen enthüllten, dass es im Gewebe des Riechkolbens spezielle Zellen gibt, die direkt auf den Takt des Pumpens reagieren: Diese sogenannten Mitralzellen feuern immer dann, wenn sie die vom Pumpentakt verursachten Druckschwankungen registrieren. Möglich wird diese Reaktion durch mechanosensitive Ionenkanäle auf den Mitralzellen, wie die Forschenden entdeckten. Diese werden aktiv, sobald sich der Druck im Zellumfeld ändert. Damit enthüllte dieses erste Experiment, dass bestimmte Gehirnzellen auch die Fähigkeit zur Mechanorezeption besitzen.

Doch findet diese Reaktion auch im lebenden Organismus statt? Fühlt uns unser Gehirn direkt den Puls? Um das herauszufinden, haben Egger, Erstautorin Luna Jammal und ihre Kollegen die Hirnreaktion lebender Mäuse genauer analysiert. „Bei Mensch und Maus verursacht der Herzschlag Druckschwankungen von rund fünf Millimeter Quecksilber im Schädelinneren“, erklären sie. Mittels feiner Elektroden im Riechkolben untersuchten sie, ob die dortigen Hirnzellen auf diesen Pulsschlag reagieren.

Netzwerk aus Herzschlag-Wächterzellen

Und tatsächlich: Auch im intakten Gehirn finden sich subtile, rhythmische Hirnstrommuster, die dem Takt des Herzschlags folgen. „Rund 15 Prozent der Neuronen im Riechkolben reagierten auf den Rhythmus, größtenteils innerhalb von rund 20 Millisekunden“, berichten Jammal und ihre Kollegen. „Allerdings ist dieser Effekt erheblich schwächer als die bekannte Kopplung der neuronalen Aktivität an den Atemrhythmus – was erklären könnte, warum dies zuvor nicht bemerkt wurde.“

In weiteren Untersuchungen zeigte sich zudem, dass die „Taktfühler“-Neuronen nicht nur im Riechkolben sitzen: Auch Hirnzellen im Hippocampus und im präfrontalen Cortex reagieren auf die Druckschwankungen des Pulses, wie das Team feststellte. „Es könnte demnach sein, dass ein hirnweites Netzwerk von interozeptiven ‚Herzschlag-Wächterzellen‘ in unserem Gehirn existiert.“

Funktion unbekannt

Damit bestätigen diese Ergebnisse, dass unser Gehirn nicht nur auf indirekte Signale unseres Zustands reagiert, sondern den Herzschlag sogar direkt überwacht. Doch wozu? „Das weiß niemand“, sagt Jammal. Sie und ihr Team vermuten aber, dass diese direkte Leitung dem Gehirn dabei helfen könnte, schneller auf Erregung zu reagieren. Erhöht sich beispielsweise der Herzschlag reflexartig durch Schreck oder Schmerz, kann dies im Gehirn direkt die entsprechende Reaktion auslösen.

Wie weit diese Reaktion jedoch geht, ist unklar. „Es ist verlockend, darüber zu spekulieren, dass sich diese Herzschlag-Wächterneuronen auf die Kognition, die Stimmung und den autonomen Zustand auswirken“, schreiben die Forschenden. Ob das so ist, muss nun jedoch noch weiter untersucht werden. (Science, 2024; doi: 10.1126/science.adk8511)

Quelle: Universität Regensburg

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