In der Zeit vor rund 6.500 bis 4.500 Jahren entstanden in Europa einzigartige Monumental-Bauwerke – mehr als 35.000 solcher Megalith-Anlagen sind bisher bekannt. Sie bilden teils riesige Anlagen aus meterhohen, tonnenschweren Steinen, die zu Kreisen, kilometerlangen Steinalleen oder komplexen Grabanlagen kombiniert wurden.
An vielen Orten Westeuropas bilden diese Megalith-Bauten ganze Landschaften, wie beispielsweise rund um Stonehenge, im bretonischen Carnac, am südspanischen Fluss Guadiana oder auch auf den Orkney Inseln. Doch was brachte die Menschen der Jungsteinzeit dazu, tonnenschwere Steine zu solchen Formationen zusammenzutragen und aufzustellen? Bisher ist dies erst in Teilen geklärt – ebenso wie die Frage, was einst den Anstoß für diese monumentale Architektur gab.
Das Problem der Datierung
Einer der Gründe: Schon die Datierung der Megalith-Bauten ist alles andere als einfach. Weil die Radiokarbondatierung nur für organische Überreste funktioniert, lassen sich die einzelnen Großsteine damit nicht datieren. Archäologen können daher nur die Bodenschichten an der Basis des Megalithen für die Altersbestimmung hinzuziehen. „Das Problem ist jedoch, dass man beim Errichten eines Megalithen in den Boden hineingräbt“, erklärt Bettina Schulz Paulsson von der Universität Göteborg. „Wir wissen zudem, dass Megalithe oft über alten Siedlungsschichten stehen.“
Beim Aufstellen der tonnenschweren Steine wurden diese alten Schichten aufgewühlt und können die Datierung verfälschen. Bei den Grabanlagen der Megalithkultur ist die Altersbestimmung möglich, wenn noch menschliche Gebeine und Grabeigaben in ihrem Inneren erhalten sind – was nur selten der Fall ist. Hinzu kommt, dass viele Megalith-Grabbauten über Jahrhunderte und manchmal sogar Jahrtausend hinweg immer wieder genutzt wurden. Das Alter der Gebeine spiegelt damit nicht unbedingt das Alter des Bauwerks wider.
In manchen Megalith-Anlagen finden Archäologen jedoch noch Reste von Feuern in Form von Asche und Kohle, die eine Datierung ermöglichen. Manchmal sind sogar Reste von Tierknochen und anderen von den Erbauern verzehrten Nahrungsmitteln erhalten, wie beispielsweise in Stonehenge. Allerdings ist auch dabei nicht immer sicher, aus welchem Abschnitt der oft langen Nutzungszeit dieser Bauten die Relikte stammen.
Menhire und Steinkreise
Als Folge dieser Schwierigkeiten ist bisher nur ein Teil der europäischen Megalith-Bauwerke präzise datiert. Trotzdem können Archäologen auch die restlichen zumindest grob zeitlich einordnen. Dabei hilft eine fast überall in West- und Nordeuropa beobachtbare Abfolge der megalithischen Bauformen.
Am Beginn der Megalith-Ära stehen Menhire – senkrecht aufgestellte, oft säulenförmige Großsteine, die an markanten Stellen der Landschaft platziert wurden. Einige dieser Menhire standen allein, häufiger sind sie jedoch Teil einer größeren, geordneten Formation. Sie stehen in Kreisen, geraden Linien oder anderen geometrischen Formen. Einige dieser Monumente scheinen dabei bereits nach astronomischen Bezügen ausgerichtet zu sein, wie beispielsweise den Sonnenaufgang zur Wintersonnwende. Andere zeigen auf besonders Landschaftsformen in der Umgebung.
Eine der größten und ältesten Ansammlungen prähistorischer Menhire liegt im Nordwesten Frankreichs: Carnac. In diesem bretonischen Ort errichteten Menschen schon vor mehr als 6.500 Jahren gewaltige Anlagen aus tausenden Menhiren – rund 2.000 Jahre vor dem Bau von Stonehenge. Die Landschaft aus Steinkreisen, parallelen Steinreihen und einzelnen Großsteinen erstreckt sich noch heute über mehr als drei Kilometer Länge, früher könnten es sogar acht Kilometer gewesen sein. Doch auch im Umfeld von Carnac finden sich zahlreiche Megalith-Monumente.
Der größte Menhir der Welt
Unter ihnen ist auch der größte Menhir der Welt, der Grand Menhir im rund zwölf Kilometer von Carnac entfernten Locmariaquer. Dieser Steinkoloss aus Gneis war ursprünglich gut 20 Meter hoch und wog fast 330 Tonnen – so viel wie ein ganzer Jumbojet. Dennoch schafften es die Menschen in der Zeit rund 4500 vor Christus, ihn mehrere Kilometer weit von Ursprungs-Steinbruch herzutransportieren und senkrecht aufzustellen – wie, ist noch ein Rätsel.
Bearbeitungsspuren zeigen, dass die Oberfläche des Grand Menhir nach seinem Aufstellen noch geglättet und begradigt wurde, wahrscheinlich nutzen die Menschen dafür Meißelsteine aus dem härteren Quarz. Der Menhir war zudem nicht isoliert: Er bildete ursprünglich den Anfang einer Reihe aus 19 immer kleiner werdenden Großsteinen, die in gerader Linie auf einen weiteren, einzeln stehenden Menhir zulief.
Der Umbruch
Doch diese Steinreihe mitsamt des Grand Menhir hatte keinen Bestand. Einige Jahrhunderte nach ihrer Aufstellung wurde sie zerstört, auch der Grand Menhir stürzte um und zerbrach in vier Teile. Archäologen vermuten dahinter keine natürliche Ursache, sondern menschliches Zutun: Wahrscheinlich wurde der Steinkoloss, ähnlich wie damals viele andere Menhire, absichtlich umgestürzt. Denn viele der ältesten Bauwerke in dieser Region wurden um diese Zeit ganz oder in Teilen umgelegt, wie Datierungen ergeben haben.
Dies galt auch für eine riesige, erst 2023 entdeckte Megalith-Anlage in Veyre-Monton in der französischen Auvergne. Bei Ausgrabungen im Vorfeld eines Autobahnbaus stießen Archäologen dort auf einen Steinkreis, eine hufeisenförmige Menhir-Gruppe sowie eine mindestens 150 Meter lange Reihe aus bis zu sechs Meter hohen Menhire. Am Ende dieser Reihe lag ein steinerner Grabhügel aus mindestens 30 Tonnen aufgeschichteter Steinbrocken.
Doch auch diese Anlage wurde noch in der Jungsteinzeit zerstört: „Die Menhire wurden umgestürzt, um sie aus der Landschaft zu tilgen. Einige wurde in große Gruben gestürzt, andere zerbrochen oder mit Erde bedeckt“, berichtet das Team um Ivy Thomson vom Nationalen Institut für archäologische Forschung (Inrap). „Diese Monolithen waren offenbar das Ziel ikonoklastischer Handlungen, einer Art Verdammung, die möglicherweise mit einem Wandel der Gesellschaft oder der Glaubensvorstellungen verknüpft war.“ Auch das steinerne Hügelgrab von Veyre-Monton wurde im Zuge dieses Umbruchs in Teilen abgetragen.
Was steckt dahinter?
Doch wann genau diese alten Megalith-Bauten zerstört wurden und ob dies aus religiösen, kulturellen oder doch aus rein praktischen Gründen geschah, ist noch unklar. Denn zumindest in einigen Fällen wurden die Menhire wiederverwendet, beispielsweise für Großsteingräber und neue Megalith-Konstruktionen. Auch drei Großsteine aus der Menhir-Reihe von Locmariaquer wurden in ein Grab eingebaut: Sie bilden den Deckstein und zwei der Tragsteine der wenige Kilometer entfernten Grabanlage Table des Marchand.
Unklar ist auch, warum dieses Schicksal nur einige Megalith-Anlagen und manchmal auch nur Teile größerer Bauwerke traf. Denn die Ära der Steinkreise und anderer Großanlagen aus Menhiren endete ja keineswegs vor 6.000 Jahren. Stattdessen errichteten Menschen in ganz West- und Nordeuropa noch mehr als zwei Jahrtausende lang solche Großbauten – nicht zuletzt rund um Stonehenge.