Platter Kern oder doch subglazialer Ozean?
Doch eine Beobachtung passt nicht ins Bild: Die NASA-Raumsonde Cassini detektierte bei ihren Vorbeiflügen eine ungewöhnlich ausgeprägte Libration des Mimas. Dabei handelt es sich um das leichte Taumeln von Trabanten, die ihre Zentralkörper in gebundener Rotation umkreisen – auch der Erdmond zeigt eine solche Libration. Bei Mimas ist dieses Taumeln jedoch stärker als es für einen Eismond mit kleinem Gesteinskern sein dürfte.
„Man schloss daraus, dass Mimas entweder einen sehr langgestreckten Kern besitzen muss oder aber einen globalen subglazialen Ozean“, erklären Lainey und seine Kollegen. Bereits 2017 hatten einige Planetenforscher daher zumindest nicht ausgeschlossen, dass es auch bei Mimas flüssiges Wasser unter der Kruste geben könnte. Ihr Szenario blieb aber strittig.
Mimas‘ Orbit verschiebt sich rückwärts
Um diese Frage zu klären, haben Lainey und sein Team nun einen weiteren von Mimas‘ Innenleben geprägten Faktor untersucht: die Präzession seiner Umlaufbahn. Dies beschreibt die allmähliche Verlagerung der fernsten Punkte der Mondumlaufbahn, der Periapsen, unter dem Einfluss der planetaren Gezeitenkräfte. Die Astronomen werteten dafür astrometrische Daten aus der gesamten Missionszeit der Raumsonde Cassini aus und ermittelten daraus den Grad und die Richtung der Präzession von Mimas‘ Orbit.
Das überraschende Ergebnis: „Über die Dauer der Cassini-Mission hinweg messen wir eine Verlagerung des Orbits um minus 9,4 Kilometer“, berichten die Astronomen. Demnach verschiebt sich die Umlaufellipse des Mimas rückwärts – entgegen seiner Umlaufrichtung. Das Spannende daran: Eine solche negative Präzession tritt normalerweise dann auf, wenn das Schwerefeld eines Mondes eher länglich ist. Und dies lässt sich entweder durch einen sehr platten Kern erklären – oder aber einen flüssigen, hin- und herschwappenden Ozean.
Doch welches trifft bei Mimas zu? Das prüften Lainey und sein Team in ergänzenden Modellsimulationen. Dabei zeigte sich: Ein fester, flacher Kern müsste so stark seitlich ausgezogen sein, dass seine Ränder die Oberfläche von Mimas durchstoßen müssten. „Das ist mit den Beobachtungen unvereinbar“, konstatieren die Astronomen. „Die Hypothese eines festen Mimas führt uns in eine Sackgasse.“
Ein junger, flüssiger Ozean unter Mimas‘ Kruste
Ganz anders sah es jedoch aus, als das Team einen flüssigen Ozean in das Modell einfügte. Wenn er in rund 25 bis 30 Kilometer Tiefe läge, könnte er sowohl die Librationen als auch die Präzession von Mimas erklären. Interessant jedoch: Anders als bei Enceladus oder dem Jupitermond Europa muss die flüssige Schicht im Inneren von Mimas eine relativ neue Errungenschaft sein. Dafür spricht die noch immer exzentrische Umlaufbahn des Saturnmonds, wie die Astronomen erklären.
Der Grund: Im Laufe der Zeit wird die Umlaufbahn eines Himmelskörpers mit flüssigem Innenleben immer kreisförmiger und zentrierter. Mimas jedoch umkreist den Saturn noch immer ziemlich exzentrisch. Sein Ozean hatte demnach nicht ausreichend Zeit für diesen regulierenden Effekt. „Der Ozean muss daher weniger als 25 Millionen Jahre alt sein und sich noch immer in der Entwicklung befinden“, schreiben Lainey und seine Kollegen. Ihren Simulationen zufolge könnte der subglaziale Ozean des Saturnmonds sogar bis zu zwei Millionen Jahre jung sein.
Dieses geringe Alter könnte auch erklären, warum es auf der Oberfläche von Mimas noch keine sichtbaren Zeichen dieses Ozeans gibt – und warum der Herschel-Krater nicht anders aussieht: Er entstand lange vor der Bildung des subglazialen Ozeans.
Was verursachte das Schmelzen?
Doch warum schmolz das Eis im Inneren des Saturnmonds erst vor so kurzer Zeit? Den Astronomen zufolge kommen dafür mehrere potenzielle Ursachen in Frage. So könnten damals Schwerkraftturbulenzen die Bahnen von Mimas und den anderen größeren Saturnmonden so verändert haben, dass sie in stärkere Resonanz miteinander gerieten und Mimas‘ Orbit vorübergehend exzentrischer wurde. Dies verursachte dann stärkere Gezeitenkräfte und heizte das Innere des Mondes auf.
Eine weitere Erklärung könnte aber auch der Zerfall eines weiteren, früher existierenden Saturnmondes liefern: „In jüngster Zeit wurde vermutet, dass der Verlust eines Saturnmonds die Obliquität des Saturn und seine noch jungen Ringe erklären könnte“, berichten Lainey und seine Kollegen. Diese Mondzerstörung könnte Schwerkraftturbulenzen ausgelöst haben, die auch die Exzentrizität von Mimas‘ Orbit vorübergehend erhöhten.
Noch mehr Eismonde mit Ozeanen?
Die mögliche Existenz eines Ozeans auf Mimas wirft ein ganz neues Licht darauf, wo und wie subglaziale Ozeane auf Eiswelten überhaupt existieren können. „Die Vorstellung, dass selbst relativ kleine, eisige Monde junge Ozeane beherbergen können, ist inspirierend“, schreiben Matija Cuk vom SETI-Institute und Alyssa Rhoden vom Southwest Research Institute in Colorado in einem begleitenden Kommentar in „Nature“. „Die Ergänzung von Mimas zum Katalog der Ozeanwelten verändert auch unser allgemeines Bild dessen, wie solche Monde aussehen können.“
Auch andere Eismonde im Sonnensystem könnten demnach verborgene Ozeane besitzen. „Das Sonnensystem hat noch immer Überraschungen auf Lager und Forschende sollten für neue Ideen und unerwartete Möglichkeiten offen sein“, so Cuk und Rhoden. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-023-06975-9)
Quelle: Nature
8. Februar 2024
- Nadja Podbregar