Neurowissenschaften

Warum wir eher von Freunden als von Feinden lernen

Unser Gehirn ist aufs Lernen von Gleichgesinnten programmiert

Grafik von zwei Köpfen, deren Gehirne ähnlich ticken und voneinander lernen
Unser Gehirn ist von Geburt an darauf programmiert, neue Informationen eher von Gleichgesinnten anzunehmen, die wir mögen und denen wir vertrauen, als von Andersdenkenden. © DrAfter123 / iStock

Vorprogrammiert: Unser Gehirn lernt mehr von Menschen, die wir mögen und die uns gleichgesinnt sind, als von Personen, die uns unsympathisch und fremd sind, wie Neurowissenschaftler herausgefunden haben. Das erklärt nicht nur, wie es zu Filterblasen kommt, sondern auch, warum wir sogar neutrale Informationen von Andersdenkenden ablehnen. Wie unser Gehirn funktioniert, könnte damit sogar schuld an der Polarisierung der Gesellschaft sein.

Unser Gedächtnis ermöglicht uns, aus neuen Erfahrungen zu lernen und unser bereits vorhandenes Wissen zu aktualisieren. Dabei lernen wir nicht nur aus unseren eigenen Erfahrungen, sondern auch aus der Verknüpfung von Beobachtungen und den Erfahrungen anderer Menschen. Auf diese Weise können wir Schlussfolgerungen über die Welt und Rückschlüsse auf Dinge ziehen, mit denen wir selbst keine Berührungspunkte haben. Psychologen nennen diesen Prozess Gedächtnisintegration.

„Wenn wir beispielsweise in einem Park einen Mann mit einem Hund sehen und später denselben Hund mit einer Frau in der Stadt, schließen wir daraus automatisch, dass die beiden Personen ein Paar sind – auch wenn wir sie nie zusammen gesehen haben“, erklärt Inês Bramão von der schwedischen Universität Lund das Phänomen. „Solche Schlussfolgerungen können hilfreich sein und unseren Lernprozess beschleunigen. Aber natürlich besteht die Gefahr, dass unser Gehirn falsche Schlüsse zieht oder sich selektiv erinnert.“ Doch hat das Lernen von anderen auch Grenzen?

Wann merken wir uns neue Informationen?

Ein Team um Bramão und Erstautor Marius Boeltzig von der Universität Lund ist dem nachgegangen und hat genauer untersucht, welche Faktoren unsere Fähigkeit beeinflussen, Schlussfolgerungen aus dem Wissen anderer zu ziehen. Dafür stellten die Psychologen insgesamt 189 Testpersonen die Aufgabe, sich an verschiedene Alltagsgegenstände zu erinnern, zum Beispiel eine Schüssel, einen Ball, einen Löffel oder eine Schere. Diese tauchten zuvor in unterschiedlichen oder überlappenden Kontexten auf.

Der Clou dabei: Die Gegenstände wurden den Probanden von verschiedenen Personen präsentiert: entweder einem Gleichgesinnten aus der eigenen Gruppe oder jemandem aus einer andersgesinnten Gruppe. Die Gruppenzuordnung nahmen die Probanden dabei selbst vor. Anschließend sollten sie angeben, welche Gegenstände sie in welcher Umgebung gesehen hatten und von wem die Information jeweils stammte.

Sympathie von entscheidender Bedeutung

Wie sich herausstellte, erinnerten sich die Testpersonen leichter an den Kontext jener Gegenstände, die ihnen von Menschen aus der eigenen Gruppe präsentiert wurden, die ihnen nach eigenen Angaben sympathisch waren. Legte hingegen jemand aus einer anderen Gruppe die Gegenstände vor, den die Probanden nicht mochten, verknüpften sie das Gesehene seltener miteinander. Allerdings merkten sich die Probanden dann eher, von wem die Information stammte.

Boeltzig und seine Kollegen schließen daraus, dass wir die Erfahrungen fremder Menschen eher annehmen und deren Wissen besser verarbeiten, wenn wir diese Personen mögen und ihnen daher eher vertrauen. Umgekehrt stehen wir uns unsympathischen Menschen kritischer gegenüber und nehmen deren Wissen seltener an – sei es wegen ihrer politischen Einstellung, ihrer Essgewohnheiten, Hobbies oder ihres Musikgeschmacks. Das setzt zwar voraus, dass wir etwas über die Person erfahren, von der wir lernen sollen, allerdings reichen für das Erkennen von möglichen Freunden schon kleinste Hinweise in der Kleidung, dem Aussehen, dem Duft oder dem Auftreten aus.

Verzerrung der Informationsaufnahme

„Besonders auffällig ist, dass wir Informationen unterschiedlich verarbeiten, je nachdem, wer etwas sagt, selbst wenn die Informationen völlig neutral sind“, betont Co-Autor Mikael Johansson von der Universität Lund. „Im wirklichen Leben, wo Informationen oft weniger neutral sind und daher stärkere Reaktionen auslösen, könnten diese Effekte noch stärker ausgeprägt sein“, vermutet der Psychologe.

Zahlreiche frühere Untersuchungen hatten belegt, dass Menschen Informationen unterschiedlich lernen und aufnehmen, je nach Art der Quelle. Die neue Studie liefert nun eine übergreifende Erklärung dafür. „Unsere Forschung zeigt, dass diese Phänomene auf die grundlegende Funktionsweise unseres Gedächtnisses zurückgeführt werden können“, sagt Johansson: „Wir neigen dazu, neue Verbindungen eher zu knüpfen und unser Wissen anhand der Informationen zu aktualisieren, die von Gruppen bereitgestellt werden, die wir bevorzugen.“

Angeborene Gehirnfunktion erklärt Polarisierung

Unser Gehirn sei von Geburt an vorprogrammiert, von wem es neue Informationen annimmt und von wem nicht. Dieser Filter habe jedoch einen problematischen Effekt zur Folge, warnen die Forschenden: „Von uns bevorzugte Gruppen liefern typischerweise Informationen, die mit unseren bereits bestehenden Überzeugungen und Ideen übereinstimmen. Das könnte polarisierte Standpunkte möglicherweise verstärken“, ergänzt der Psychologe.

Dabei gehe es um mehr als nur um Filterblasen in den sozialen Medien. Dass wir eher von Menschen lernen, die wir mögen, erklärt nach Ansicht der Wissenschaftler auch, warum wir uns kritischer gegenüber Andersdenkenden verhalten als gegenüber Peers, wie sich Vorurteile verbreiten und warum sich unsere Gesellschaft so stark polarisiert. (Communications Psychology, 2024; doi: 10.1038/s44271-023-00043-8)

Quelle: Universität Lund

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