Jenseits des Neptun: Die von eisigen Brocken und Staub erfüllte Außenzone unseres Sonnensystems – der Kuipergürtel – könnte fast doppelt so groß sein wie bisher angenommen. Das legen Daten der NASA-Raumsonde New Horizons nahe. Ihre Staubdetektoren haben deutlich mehr Staub in dieser fernen Außenzone registriert als es gängige Modelle vorsehen. Das könnte darauf hindeuten, dass der Kuipergürtel statt 50 sogar bis zu 80 astronomische Einheiten weit ins All hinausreicht, wie Forschende berichten.
Der Kuipergürtel ist die Heimat unzähliger eisiger Brocken und Zwergplaneten, darunter Pluto, Eris, Sedna oder Quaoar. Auch viele Kometen und andere Himmelsköper mit exzentrischen und in weite Sonnenferne reichenden Umlaufbahnen finden sich in dieser Zone jenseits des Neptun. Astronomen haben bisher erst einen Bruchteil dieser transneptunischen Objekte identifiziert. Auch die Frage, ob sich dort draußen sogar ein neptungroßer Planet 9 verbirgt, ist noch offen.
Mehr Klarheit über den transneptunischen Bereich unseres Sonnensystems soll die NASA-Raumsonde New Horizons schaffen. Nach ihrem Vorbeiflug am Zwergplaneten Pluto im Sommer 2015 und der Passage am Kuipergürtel-Objekt Arrokoth (Ultima Thule) durchbrach sie im April 2021 den Entfernungs-Meilenstein von 50 astronomischen Einheiten. Damit fliegt New Horizons nun durch einen Bereich, den außer den Voyagersonden kein menschengemachtes Vehikel bisher näher erforscht hat.
Erste Staubmessung jenseits des Neptun
Umso spannender sind nun Daten, die der Staubdetektor von New Horizons aus dieser fernen Außenzone geliefert hat. „New Horizons ist die erste Raumsonde, die direkte Messdaten zum interplanetaren Staub jenseits des Neptun und Pluto liefert“, erkläret Erstautor Alex Doner von der University of Colorado von Boulder. Dieser Staub entsteht gängigen Modellen nach durch Kollisionen zwischen transneptunischen Objekten, aber auch durch Mikroeinschläge auf der Oberfläche dieser eisigen Brocken.
Die Dichte des interplanetaren Staubs kann daher verraten, wie weit der Kuipergürtel nach außen reicht. Der Staubdetektor der Raumsonde ist dafür mit 14 elektrisch aufgeladenen Detektorfolien ausgestattet, die den Einschlag selbst kleinerster Körnchen registrieren. Zwölf dieser Staubdetektoren zeigen in Flugrichtung, die restlichen zwei Folien sind abgeschirmt und dienen als Kontrollen. Die jetzt von Doner und seinem Team ausgewerteten Daten stammen aus einer Sonnenentfernung von 45 bis 55 astronomischen Einheiten (AE).
Mehr Partikel als es sein dürften
Die Auswertungen enthüllten Überraschendes: Die neuen Daten zeigen, dass die von der Sonde in 55 AE Entfernung dokumentierten Staubströme dichter bleiben als es aktuelle Modelle vorhersagen“, berichten die Forschenden. Gängigen Erwartungen zufolge müsste die Staubdichte in dieser Entfernung deutlich abnehmen, weil der Außenrand des Kuipergürtels bei etwa 50 astronomischen Einheiten verortet wird – New Horizons müsste demnach den Kuipergürtel längst verlassen haben.
Doch das scheint nicht der Fall zu sein. „New Horizons begegnet dort draußen offenbar einer neuen Population eisiger Partikel, die in gängigen Modellen nicht enthalten sind“, konstatieren Doner und sein Team. Es könnte demnach sein, dass der Kuipergürtel größer ist als bisher angenommen – den Modellrechnungen des Teams nach könnte er statt 50 sogar 80 astronomische Einheiten weit hinausreichen. Denkbar wäre aber auch, dass es einen zweiten Gürtel aus Staub und Eisbrocken jenseits des eigentlichen Kuipergürtels gibt.
Kuipergürtel größer als erwartet?
„Die Vorstellung, dass wir einen erweiterten Kuipergürtel entdeckt haben, ist aufregend“, sagt Doner. „Dort draußen gibt es möglicherweise eine weitere, noch unerkannte Population von Objekten, die miteinander kollidieren und Staub produzieren.“ Zu dieser Population könnten auch einige weit entfernte Zwergplaneten gehören, die Astronomen in den letzten Jahren jenseits des eigentlichen Kuipergürtels entdeckt haben.
Noch können die Forschenden aber nicht eindeutig sagen, woher der von der New-Horizons-Sonde detektierte Staub stammt – und ob er wirklich Teil eines erweiterten Kuipergürtels ist. Denn theoretisch denkbar sei es auch, dass der Sonnenwind oder andere Einflüsse Staub aus weiter innen liegenden Zonen nach außen geweht habe, so das Team. Sie halten dies allerdings angesichts der gemessenen Staubdichte für eher unwahrscheinlich.
Es bleibt spannend
„Ich kann es kaum erwarten zu sehen, wie weit diese erhöhte Staubdichte des Kuipergürtels noch hinausreicht“, sagt New-Horizons-Forschungsleiter Alan Stern vom Southwest Research Institute in Boulder. „Diese neuen Ergebnisse könnten das erste Mal sein, dass eine Raumsonde eine ganz neue Population von Himmelskörpern in unserem Sonnensystem entdeckt hat.“
Und es bestehen gute Chancen für noch weitere Entdeckungen: Die Treibstoff- und Energievorräte von New Horizons reichen noch bis in die 2040er Jahre hinein. Die Sonde könnte dann mehr als 100 astronomische Einheiten von der Sonne entfernt sein. (The Astrophysical Journal Letters, 2024; doi: 10.3847/2041-8213/ad18b0)
Quelle: NASA