Wenn wir wissen wollen, wie spät es ist, blicken wir auf die Armbanduhr oder auf unser Handydisplay. Auch Radio, Fernsehen oder das Internet verraten uns auf die Sekunde genau die aktuelle Zeit. Aber wer bestimmt eigentlich, wann es wie spät ist? Und wie wird dies gemessen?
Taktgeber Erde
Bis in die 1950er Jahre war unser Planet selbst der Taktgeber aller Zeitmessung – die Erdrotation diente als Referenz. Eine Sekunde war dabei definiert als der 86.400. Teil einer mittleren Tageslänge. Um die genaue Zeit zu ermitteln, bestimmten Astronomen, nach welchem Zeitintervall sich die Erde genau einmal um sich selbst gedreht hatte. Noch heute überwachen Forschende die Erdrotation sowohl mit astronomischen Methoden als auch mit neuartigen Ringlasern.
Das Problem jedoch: Das Tempo der Erdrotation ist nicht konstant. Sie verändert sich durch die Gezeitenkräfte des Mondes, die Bewegungen von Ozeanen und Atmosphäre, Strömungen im Erdkern und sogar Erdbeben. Als Taktgeber für die moderne Welt ist die Erdrotation deshalb nicht genau genug. Denn viele technische Prozesse, darunter das GPS-Navigationssystem, erfordern eine bis auf Sekundenbruchteile präzise und synchrone Zeitmessung.
„Quantensprünge“ als Zeitmesser
Doch wo findet sich eine genauere Referenz? Die entscheidende Idee dazu hatte der US-Physiker Isidor Rabi, der in den 1930er Jahren an Messmethoden für die Anregungszustände von Atomen forschte. Er schlug vor, eine atomphysikalische Konstante als Referenz zu nehmen – den Übergang eines Atoms von einem energetischen Zustand in einen anderen. Dieser „Quantensprung“ geschieht, wenn ein Atom Energie aufnimmt, beispielsweise in Form von Strahlung. Durch diese Anregung springen ein oder mehrere Elektronen des Atoms auf ein höheres Energieniveau.
Das Entscheidende daran: Die für diesen atomaren Zustandswechsel nötige Energie ist für jeden Atomtyp und jedes Energieniveau spezifisch. „Die Tatsache, dass die Energiedifferenz zwischen diesen Orbits einen so präzisen und stabilen Wert hat, ist die Schlüsselzutat für die Atomuhren“, erklärt Eric Burt vom Jet Propulsion Laboratory der NASA. „Sie ist der Grund dafür, dass Atomuhren mechanische Uhren weit übertreffen.“
Auf die Frequenz kommt es an
Doch für die atomare Zeitmessung ist noch eine weitere Zutat nötig: Um die Atome zum Zustandswechsel zu bringen, ist Strahlung einer bestimmten Frequenz nötig. Nur wenn sie passt, absorbieren die Atome exakt die Energiemenge, die sie für den gewünschten Quantenübergang brauchen. Der Clou: Wenn man die Frequenz bestimmt, bei der die Atome den Quantensprung vollführen, dann kann dies als Zeitgeber nutzen. Denn die Frequenz ergibt sich aus der Zahl der Schwingungen pro Sekunde.
Umgekehrt kann man daher die Sekunde als die Zeit definieren, in der diese Zahl an Schwingungen ablaufen – und genau dies war Rabis Vorschlag. Als besonders gut für eine solche Zeitmessung geeignet stufte der Physiker zwei Zustandswechsel des stabilen Isotops Cäsium-133 ein. Rabi bekam dafür 1944 den Physik-Nobelpreis. 23 Jahre später, am 13. Oktober 1967, folgte die internationale Generalkonferenz für Maße und Gewichte seiner Empfehlung. Die Referenz für die Grundeinheit der Zeit bilden seither nicht mehr astronomische Parameter, sondern Atome.
Cäsiumatome im Mikrowellenfeld
Doch wie funktioniert die atomare Zeitmessung praktisch? An diesem Punkt kommen die Atomuhren ins Spiel. Sie sind heute die Referenz für alle Uhren auf dem Globus und bilden die Grundlage der koordinierten Weltzeit (UTC). In den dafür gängigen Cäsiumuhren werden zunächst Atome des Isotops Cäsium-133 verdampft und dann heruntergekühlt. Mithilfe spezieller Magnete filtert man dann diejenigen heraus, die sich in einem von zwei sogenannten Hyperfeinzuständen ihres energetischen Grundzustands befinden. Diese Atome werden in einem Strahl in eine Vakuumkammer, den Hohlraumresonator, geleitet.
Für die eigentliche Messung wird der Strahl aus Cäsiumatomen mit Mikrowellen bestrahlt. Wenn die Frequenz dieser Strahlung den richtigen Resonanzpunkt trifft, wechselt die maximale Anzahl der Cäsiumatome ihren Energiezustand. Wann das der Fall ist, wird erneut mithilfe einer magnetischen „Sortierung“ und speziellen Detektoren gemessen. Beim Cäsium-133 liegt diese Resonanzfrequenz bei 9.192.631.770 Schwingungen pro Sekunde. Die Sekunde ist daher definiert als die Zeit, nach der die Mikrowellen 9.192.631.770 Schwingungen absolviert haben.
Vom Atomstrahl zur Fontäne
Die Cäsium-Atomuhren bilden bis heute die Basis für die Messung der Atomzeit. Allerdings nutzen viele offizielle Messstellen inzwischen eine Weiterentwicklung dieser Technik, die sogenannte Cäsium-Fontänenuhr. Auch die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig – die für Deutschland zuständige Messstelle im internationalen Atomuhren-Netzwerk – nutzt neben zwei klassischen Cäsiumuhren zwei Cäsium-Fontänenuhren als primäre Zeitgeber.
Für diese Atomuhren werden Cäsiumatome mittels Laser bis auf tiefe Temperaturen heruntergekühlt und dann von unten in den Hohlraumresonator eingespeist. Dadurch bilden die Atome eine Fontäne, die von unten aufsteigt und dann in einer ballistischen Kurve wieder nach unten abfällt. Der Vorteil: In einer solchen Fontäne bewegen sich die Atome langsamer und sind dadurch rund 50-mal länger dem Mikrowellenfeld ausgesetzt als bei der klassischen Atomstrahl-Cäsiumuhr. Dadurch kann der zeitgebende Übergang zwischen den beiden Quantenzuständen genauer bestimmt werden als bei der klassischen Cäsium-Atomuhr. Eine Fontänenuhr geht bis auf die Billiardstel Sekunde genau.
Doch es geht noch besser…