Dank Atomuhren können wir die Zeit in höherer Auflösung messen als je zuvor. Doch wie präzise und genau sind diese Uhren? Und wovon hängt dies ab?
Präzision und Genauigkeit
Dafür müssen wir zunächst klären, was gemeint ist, wenn von Präzision und Genauigkeit einer Uhr die Rede ist. Auf den ersten Blick scheinen dies Synonyme zu sein, doch das täuscht. Nur weil ein Messergebnis genau ist, muss es nicht präzise sein und umgekehrt. Denn die Begriffe Präzision und Genauigkeit haben bei Messsystemen klar definierte, unterschiedliche Bedeutungen – dies gilt auch bei der Zeitmessung mit Atomuhren.
Die Präzision einer Atomuhr gibt an, wie stabil und gleichmäßig sie „tickt“. Weil schon winzige Störungen wie Temperaturschwankungen, Erschütterungen oder elektromagnetische Störfelder das Verhalten der Atome beeinflussen, können die einzelnen Messungen voneinander abweichen. Die Präzision gibt an, wie groß diese Messunsicherheiten sind. Je ungleichmäßiger eine Atomuhr „tickt“, desto länger und häufiger muss man messen, um die Dauer einer Sekunde sicher zu bestimmen. „Man kann die Uhr zwar präziser machen, indem man länger misst“, erklärt Vladan Vuletic vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). „Aber manche Phänomene müssen innerhalb kurzer Zeit gemessen werden.“
Die Genauigkeit einer Uhr verrät hingegen, wie korrekt sie die Zeit angibt. Je genauer sie ist, desto weniger geht sie im Laufe der Zeit vor oder nach. Eine gängige Quarz-Armbanduhr kann beispielsweise innerhalb eines Monats um einige Sekunden falsch gehen. Aktuelle Cäsium-Fontänenuhren sind dagegen so genau, dass sie selbst in rund 300 Millionen Jahren nur maximal eine Sekunde falsch gehen würden. Ihre Unsicherheit liegt bei weniger als dem Zehntel einer Billiardstel Sekunde (10-16).
Optische Atomuhren ticken schneller
Ein Hemmnis aller Cäsium-Atomuhren ist jedoch ihre relativ niedrige „Tickrate“ – die Strahlungsfrequenz, die den Quantenübergang bei den Messatomen hervorruft. Beim Cäsium liegt diese Frequenz im Mikrowellenbereich, dadurch passen „nur“ rund neun Milliarden Schwingungen in eine Sekunde. Das schränkt die Genauigkeit der Messungen ein. Denn wenn die Frequenz höher wäre, dann würde dies die Auflösung der Messung deutlich verbessern – die Dauer einer Sekunde ließe dann noch genauer ermitteln.
Diese Möglichkeit bieten optische Atomuhren. Sie nutzen Atome wie Strontium und Ytterbium, deren Quantensprünge auf Strahlung im optischen Bereich reagieren. Der Vorteil: Sichtbares Licht schwingt mit einer sehr viel höheren Frequenz als Mikrowellen und erlaubt damit eine noch feinere, genauere Justierung des Punktes, an dem die Atome ihren Zustand wechseln. Dafür werden die Wolken ultrakalter Atome in einem Gitter aus Laserlicht in der Schwebe gehalten. Ein weiterer Laser erzeugt dann die Strahlung, die die Atome zum Zustandswechsel bringt. Bei Strontiumatomen erfolgt dieser bei einer Frequenz von 430 Billionen Schwingungen pro Sekunde – diese Schwingungszahl gilt damit als das Maß für eine Sekunde.
Zeitmessen mit Strontium und Ytterbium
2015 erzielten Forscher um Jun Ye vom US National Institute of Standards and Technology (NIST) mit einer solchen optischen Strontium-Atomuhr einen neuen Rekord in Präzision und Genauigkeit. Ihre Atomuhr würde in 15 Milliarden Jahren nicht einmal eine Sekunde vor- oder nachgehen. Die Präzision der Strontiumuhr war zudem so hoch, dass schon wenige Sekunden der Messungen reichten, um einen genauen Wert für die Sekundendauer zu ermitteln. Bei früheren Atomuhren waren dafür Stunden oder sogar Tage nötig. Auch an der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) in Braunschweig ist heute eine Strontium-Gitteratomuhr im Einsatz.
Noch einen Schritt weiter ging 2016 ein Team um Andrew Ludlow vom NIST. Sie kombinierten gleich zwei Wolken von Ytterbium-Atomen zu einer optischen Atomuhr. Der Clou daran: Weil beide Atomgruppen mit demselben Messlaser bestrahlt werden, können winzige Abweichungen im „Ticken“ dieser Uhr direkt bei der Messung erkannt und korrigiert werden. Dadurch läuft die Ytterbium-Atomuhr so gleichmäßig, dass schon eine tausendstel Sekunde Messzeit reicht, um eine verlässliche Zeitangabe zu erhalten.
„Das bedeutet, dass die Abweichungen der Tickdauer bei weniger als 1,5 Trillionstel Sekunden liegen“, sagt Ludlow. „Damit übertrifft diese Uhr die Genauigkeit unserer früheren Strontiumuhr zwar nur ein wenig, dafür erreicht sie diese Genauigkeit aber zehnmal schneller.“
Wolken aus verschränkten Atomen
Doch es geht sogar noch genauer. 2020 stellte ein Team um Edwin Pedrozo-Penafiel vom Massachusetts Institute of Technology (MIT) eine Ytterbium-Atomuhr vor, die ein weiteres Hemmnis bei der atomaren Zeitmessung umgeht: Weil die Messatome den Gesetzen der Quantenphysik unterliegen, kommt es zu einer Überlagerung der Zustände und zu Quantenfluktuationen. Dies erschwert die Messung. Doch durch eine Verschränkung der Ytterbium-Atome lässt sich dieser Störeffekt verringern.
Dafür werden die Atome vor der eigentlichen Messung einem zusätzlichen Laserstrahl ausgesetzt, dessen Licht zwischen zwei Spiegeln hin- und hergeworfen wird. „Dieses Licht dient quasi als Kommunikationsverbindung zwischen den Atomen: Das erste Atom verändert den Lichtstrahl leicht, das wiederum modifiziert das zweite Atom und der davon ausgehende Strahl beeinflusst wiederum das dritte Atom und so weiter“, erklärt Teammitglied Chi Shu vom MIT. Über mehrere Zyklen hinweg führt dies dazu, dass die Atome miteinander verschränkt werden – sie reagieren nun gleichgeschaltet.
„Durch die Verschränkung optimierte optische Atomuhren können innerhalb einer Sekunde eine höhere Präzision erreichen als die aktuellen optischen Uhren“, erklärt Pedrozo-Penafiel. Zudem sind sie auch genauer: Eine normale Ytterbium-Atomuhr geht in knapp 14 Milliarden Jahren nur rund eine halbe Sekunde falsch. Die Ytterbium-Uhr mit verschränkten Atomen läge dagegen weniger als 100 Millisekunden daneben.
Doch wozu benötigt man überhaupt eine so genaue Zeitmessung?