Doppeltes Gespür: Unser Tastsinn beruht auf mehr als nur einem Sensor – es gibt noch einen zweiten, wie Forschende entdeckt haben. Demnach gibt es in den Zellen unserer Haut einen weiteren Ionenkanal, der für die Wahrnehmung von Berührungen verantwortlich ist. Dieser Elkin1 getaufte Sensor könnte zudem am Schmerzempfinden beteiligt sein, wie das Team in „Science“ berichtet. Das macht Elkin1 zu einem möglichen Ansatzpunkt für die Schmerztherapie.
Ohne unseren Tastsinn würden wir die Welt anders erleben. Denn jede Umarmung und jede geschickte Bewegung macht erst der Tastsinn möglich. Über die molekularen Grundlagen dieses Sinnes ist jedoch kaum etwas bekannt. Klar scheint, dass neben unseren Haaren vor allem unsere Haut Berührungen erkennt. „Bislang wussten wir nur, dass der Ionenkanal Piezo2 dafür nötig ist. Aber dieses Protein allein kann nicht die gesamte Bandbreite, wie wir Berührungen spüren, erklären“, sagt Gary Lewin vom Max Delbrück Center in Berlin.
Lewin und seine Kollegen suchen daher schon seit längerem nach weiteren Sensoren in unserer Haut. Vor einigen Jahren entdeckten sie den Ionenkanal Elkin1 in der Membran von Zellen bei schwarzem Hautkrebs. Die stark streuenden Krebszellen des Melanoms nutzen dieses Protein, um mechanische Kräfte zu erkennen. „Nun wollten wir wissen, ob das gleiche Protein bei gesunden sensorischen Zellen ebenfalls eine Rolle bei der Wahrnehmung von Berührung spielt“, sagt Lewin.
Berührungs-Reaktion dank Elkin1
Dafür züchteten die Forschenden zunächst genetisch veränderte Mäuse, denen das Gen für Elkin1 fehlte. In Verhaltensexperimenten reizten sie die Nager mit einem Wattestäbchen an der Hinterpfote und beobachteten deren Reaktion. „Normalerweise reagieren Mäuse in 90 Prozent der Fälle auf das Wattestäbchen und ziehen ihre Pfote zurück“, erklärt Lewin.
Die genetisch veränderten Tieren reagierten jedoch anders auf den mechanischen Reiz: „Mäuse ohne Elkin1 zogen nur jedes zweite Mal die Pfote zurück“, berichtet Lewin. Auf nicht-mechanische Reize, beispielsweise auf Wärme, reagierten die Nager dagegen genauso sensibel wie normale Mäuse. „Das deutet darauf hin, dass die Tiere ohne Elkin1 nur Berührungen schlechter wahrnehmen“, so der Neurobiologe.
Ohne Ionenkanal kein Signal
Um herauszufinden, was genau in der Haut dieser Mäuse passiert, nutzten die Wissenschaftler die sogenannte Patch-Clamp-Methode. Dabei werden winzige Stücke der Zellmembran von Hautnervenzellen an einer Pipettenspitze befestigt und als Mini-Modell untersucht. Das Team stupste diese Membranstücke mit einer feinen Spitze an und zeichnete die elektrische Aktivität der sensorischen Neuronen auf.
Das Ergebnis: „Rund die Hälfte der Neuronen von Mäusen ohne Elkin1 reagierte nicht auf die mechanischen Reize und es kam nicht zur Signalweiterleitung“, berichtet Erstautorin Sampurna Chakrabarti vom Max Delbrück Center. Weitere Experimente an Maus-Neuronen zeigten, dass bereits auf dem ersten Stück des Weges vom Rezeptorende der Nervenzelle in der Haut hin zum Rückenmark und Gehirn keine Reize weitergeleitet wurden.
Das legt nahe, dass bei Mäusen ohne Elkin1 nicht die Signalleitung der Nervenzellen defekt ist, sondern nur die Signalerkennung des Sensors in den Hautnervenzellen: der Ionenkanal Elkin1. Nachfolgende Tests mit menschlichen sensorischen Neuronen mit und ohne Elkin1 sowie mit und ohne Piezo2 belegten ebenfalls, dass die Hautnerven sowohl Elkin1 als auch Piezo2 brauchen, um Berührungssignale korrekt wahrzunehmen und zu übertragen.
Zweiter Sensor für den Tastsinn
Die Forschenden schließen aus ihren Beobachtungen, dass der Ionenkanal Elkin1 für den Tastsinn von Mäusen und Menschen unverzichtbar ist. Sie vermuten, dass dieser Sensor in der Haut direkt daran beteiligt ist, einen mechanischen Reiz wie eine leichte Berührung in ein elektrisches Signal umzuwandeln und über die Nervenfasern ans zentrale Nervensystem und ans Gehirn weiterzuleiten. Dabei arbeiten die beiden Ionenkanäle Elkin1 und Piezo2 zusammen.
„Damit haben wir einen zweiten Ionenkanal entdeckt, der für einen normalen Tastsinn unverzichtbar ist“, so Lewin. Darüber hinaus fand das Team Hinweise darauf, dass Elkin1 auch an der Weiterleitung von schmerzhaften mechanischen Reizen beteiligt sein könnte. „Sollte sich das bestätigen, wäre das auch ein neuer möglicher Angriffspunkt für die Behandlung chronischer Schmerzen“, sagt Lewin. (Science, 2023; doi: 10.1126/science.adl0495)
Quelle: Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft