Cyborg-Quallen: Forscher haben Quallen mit einer biohybriden Ausrüstung ausgestattet, die die Tiere zu nützlichen Datensammlern macht – tierischen Helfern der Ozeanforschung. Sie beschleunigten die Schwimmbewegungen der Nesseltiere durch muskelanregende Elektroden, eine Kappe senkt ihren Wasserwiderstand und bietet Platz für Sensoren und Forschungselektronik. Mit dieser reversiblen Ausstattung im Gepäck könnten Quallen vielleicht bald die Ozeane erforschen.
Quallen sind faszinierende Lebewesen. Die simplen Nesseltiere besitzen zwar weder Blut noch Hirn noch Herz, doch sie haben erstaunliche Fähigkeiten: Einige können ihre Beute mit tödlichem Gift lähmen, ihre Haut kann Sauerstoff aus dem Wasser aufnehmen und andere leuchten sogar im Dunkeln. In den letzten Tausenden von Jahren haben die geleeartigen Medusen sogar nahezu alle maritimen Lebensräume für sich erobert.
Und nicht nur das: Quallen gleiten dank ihrer Fortbewegungsmethode besonders unbeschwert durch die Weltmeere – ihr spezieller Rückstoß-Antrieb gehört zu den effizientesten im gesamten Tierreich. Das macht Quallen zu perfekten Pionieren der marinen Weiten: Während 80 Prozent des Ozeans für Menschen und sogar Roboter noch unerreichbar sind, können Tiefseequallen, wie zum Beispiel die leuchtend rote Kronenqualle, bis zu 7.000 Meter in die Tiefen des Ozeans eintauchen.
Cyborg-Equipment für die Nesseltiere
Doch lassen sich die Superkräfte der Quallen auch nutzen, damit sie für uns Menschen die Tiefen Ozeane erforschen? Diese Frage haben sich Simon Anuszczyk und John Dabiri vom California Institute of Technology gestellt. Sie entwickelten Equipment für die tiefseetauchenden Nesseltiere, das ihre Fortbewegung im Wasser noch effizienter und zudem kontrollierbar macht.
Dafür produzierten die Forscher mittels 3D-Druck zunächst eine Art Hütchen für die Quallen – eine stromlinienförmige Kappe, die über den Körper der Qualle gestülpt wird. Diese Kappe verringert den Wasserwiderstand und optimiert ihren Auftrieb. Zwei integrierte Elektroden lösen Kontraktionen der Schwimmmuskeln aus und sollen die Fortbewegung der Tier beschleunigen. Die Kopfbedeckung bietet außerdem Platz für Sensoren und weitere elektronische Geräte zu Forschungszwecken.
Wie das Team betont, kommen die Quallen durch diese Cyborg-Ausrüstung nicht zu Schaden und leben nach Abnehmen der Kappe ganz normal weiter. „Wir haben mit Bioethikern kooperiert, um diese biohybride Technik so zu entwickeln, dass sie ethisch vertretbar ist“, erklärt Anuszczyk.
Mehr als vierfache Geschwindigkeit
Wie schnell die hochseetauglichen Cyborg-Quallen tatsächlich schwimmen, untersuchten die Forscher, indem sie drei der elektronisch ausgestatteten Quallen durch ein sechs Meter hohes Aquarium mit künstlicher Gegenströmung schwimmen ließen. „Unser vertikaler Tank lässt die Tiere gegen eine fließende vertikale Strömung schwimmen, wie ein Laufband für Schwimmer“, erklärt Dabiri. Mit einem Motion-Tracking-Programm verfolgten sie die Bewegungen der Quallen-Roboter und werteten die Daten anschließend aus.
Das Ergebnis: Die von den Elektroden gesteuerten Muskelkontraktionen ließen die Quallen bis zu dreimal schneller schwimmen als zuvor. Die stromlinienförmigen Kappen auf den Köpfen der Quallen erlaubten einen Geschwindigkeitszuwachs um weitere 60 Prozent. „Wir konnten zeigen, dass sich die Fortbewegungsgeschwindigkeit der Quallen bei einer Nutzlast von mehr als 270 Gramm in einem Volumen von 105 Prozent des Quallenvolumens um das bis zu 4,5-Fache steigern lässt“, berichten die Forscher.
Die Zukunft der Tiefseeforschung?
Diese Ergebnisse eröffnen nach Ansicht der Forscher neue Möglichkeiten der Tiefseeforschung: Biohybride Quallen könnten als robotische Datensammler eingesetzt werden und so Informationen über Temperatur, Salzgehalt und Sauerstoffgehalt in den Tiefen der Ozeane bereitstellen. „Es ist allgemein bekannt, dass der Ozean für die Bestimmung unseres gegenwärtigen und zukünftigen Klimas an Land entscheidend ist, und dennoch wissen wir immer noch erstaunlich wenig über den Ozean, insbesondere abseits der Oberfläche“, sagt Dabiri.
Indem man die natürliche Schwimmfähigkeit der Quallen nutze, seien auch die technischen Herausforderungen der Unterwasserforschung viel leichter zu bewältigen. „Durch die Nutzung lebender Tiere, die chemische Energie aus Futter gewinnen, kann ein Großteil der normalerweise für den Unterwasserantrieb benötigten Batterieleistung gespart werden“, erklären die Forscher.
Deshalb könnte sich die künftige Arbeit darauf konzentrieren, die Fähigkeiten der bionischen Quallen weiter zu verbessern. Derzeit können sie nur in gerader Linie schneller schwimmen, wie auf den vertikalen Bahnen im Versuchstank. Weitere Forschungen könnten sie aber auch lenkbar machen, sodass sie sich sowohl horizontal als auch vertikal steuern liessen. (Bioinspiration & Biomimetics, 2024; doi: 10.1088/1748-3190/ad277f)
Quelle: California Institute of Technology