Ein grönländischer Gletscher im Wandel der Zeit
Doch genau diese Ruhephasen können dramatische Folgen haben, besonders für ins Meer fließende Gletscher: Ihr schnelles Vorrücken hat die Gletscherzungen bis weit in das Wasser der angrenzenden Fjorde oder Küstenstreifen hinausgeschoben. Wenn die Gletscher dann in den inaktiven Teil ihres Zyklus eintreten, sind diese Eisfronten den Wellen und Gezeiten ungeschützt ausgesetzt. Als Folge schmilzt ihr Eis und die Gletscherfront weicht wieder zurück – oft sogar noch schneller und weiter als die gleitenden Eismassen ursprünglich nach vorne gerückt sind.
Genau das ist auch dem in einen Fjord mündenden Gletscher Sortebræ in Ostgrönland widerfahren. Einst bildete der Hauptstamm von Sortebræ gemeinsam mit den Zuflüssen eine unverwechselbare Form, die einem eisigen Pi-Symbol ähnelte. Doch ab 1992 begann sich dieser Küstengletscher mit bis über 20 Metern pro Tag vorwärtszubewegen – insgesamt verschoben sich die Eismassen ganze zehn Kilometer in Richtung Ozean. Als der Vorstoß des Gletschers drei Jahre später endete, schmolz seine Eisfront massiv zusammen – der Gletscher wurde weit zurückgedrängt.
„In den letzten 20 Jahren hat Sortebræ etwa 40 Quadratkilometer Eis verloren“, erklärt Hester Jiskoot von der Lethbridge University in Kanada. Auf dem Satellitenbild erkennt man, wie das Wasser in den vergangenen Jahren einen „Biss“ aus dem eisigen Pi geknabbert hat.
Vorrückende Gletscher wandeln sich
Zwar ist es für vorrückende Gletscher wie den Sortebrae völlig normal, sich während ihrer Ruhephase zurückzuziehen, wie Harold Lovell von der Portsmouth University in England erklärt. “Aber schubweise fließende Gletscher treten nur innerhalb bestimmter Klimaparameter auf, und wir denken, dass das Ausmaß des Rückzugs wahrscheinlich durch den Klimawandel verstärkt wird“, so der Forscher.
Das zeigt auch eine 2023 durchgeführte Analyse von Lovell und seinen Kollegen. Sie beobachteten dafür das Verhalten von insgesamt 274 grönländischen Surge-Gletschern. “In Westgrönland sehen wir, dass einige kleinere landterminierende Gletscher, von denen wir wissen, dass sie in der Vergangenheit Schubphasen hatten, nicht mehr in der Lage sind, erneut vorzurücken“, sagte Lovell, „wahrscheinlich, weil sie sich in einem wärmeren Klima zu sehr ausgedünnt haben.“
Quelle: Earth Observatory
14. März 2024
- Tine Heni