Meeresforschung

Eine „Autobahn“ für Korallen

Wie Meeresströmungen Korallenriffe im Indischen Ozean miteinander verbinden

Korallenriff in den Seychellen
Korallenriff in den Seychellen. © Christophe Mason-Parker

„Entfernte“ Verwandtschaft: Korallenriffe liegen oft hunderte bis tausende Kilometer voneinander entfernt – trotzdem können sie in engem Austausch miteinander stehen, wie Biologen in den Seychellen entdeckt haben. Dort sind die Korallen selbst entlegener Riffe genetisch weitgehend identisch, wie DNA-Analysen ergaben. Doch wie haben die Korallen diese Entfernungen überwunden? Zwar sind ihre Larven prinzipiell mobil, aber für ihre Verbreitung muss noch ein anderer Faktor im Spiel sein.

Der Klimawandel macht den Korallen zu schaffen. Marine Hitzewellen und die insgesamt wärmeren Ozeane führen immer wieder zu Korallenbleichen und – bei anhaltendem Stress – zum Absterben der Nesseltiere. Allein im australischen Great Barrier Reef sind in den vergangenen Jahren mehrfach bis zu 90 Prozent der Korallen abgestorben. Das hat Folgen für die dort lebenden Fische und andere Meeresbewohner.

Damit sich die Korallenriffe regenerieren und an die neuen Bedingungen anpassen können, brauchen sie Nachschub an neuen Korallentieren durch die noch nicht festgewachsenen, schwimmfähigen Korallenlarven. „Eine regelmäßige Larvenversorgung wird angesichts des Klimawandels für die Erholung der Riffe unerlässlich sein“, sagt Noam Vogt-Vincent von der University of Oxford.

Luftaufnahme des Aldabra-Atolls, dem größten Korallenriff-System der Seychellen
Das Aldabra-Atoll, das größte Korallenriff-System der Seychellen. © Christophe Mason-Parker

Korallenriffe der Seychellen als Testfall

Doch wie weit sich Korallenlarven im Meer verbreiten können, war bisher unklar. Das hat nun ein Team um Vogt-Vincent und Erstautorin April Burt von der University of Oxford in den Seychellen im Indischen Ozean untersucht. Die Korallenriffe dieses Archipels umfassen ein Areal von 1,4 Millionen Quadratkilometern. Zusammen mit Naturschutzorganisationen sammelten die Meeresbiologen 241 Korallenproben von 19 verschiedenen Riffen. Dabei konzentrierten sie sich auf die Korallenart Porites lutea, die vergleichsweise gut gegen Klimastress gewappnet ist.

Als das Team die DNA dieser Korallenproben untersuchte, zeigte sich Überraschendes: Obwohl die verschiedenen Riffe bis zu 1.300 Kilometer voneinander entfernt liegen, wiesen die Korallen an allen Riffen dieselben Genvariationen auf. Die Forschenden schließen daraus, dass die Korallen dieser Riffe enger miteinander verwandt sind als bislang angenommen und erst vor Kurzem – innerhalb nur weniger Generationen – Gene untereinander ausgetauscht haben müssen.

Was hilft den Korallenlarven auf ihrer Reise?

Aber wie schaffen es die Korallen ihr genetisches Material über so weite Entfernungen zu verbreiten? Zwar können die Korallenlarven schwimmen, kommen dabei aus eigener Kraft aber nur begrenzt vorwärts. Dennoch müssen die Larven in den Seychellen diese weite Distanz überwinden können, sich an den entfernten Riffen ansiedeln und so neue Gene in die dortige Population einbringen.

Um herauszufinden, ob und wie die Korallenlarven diese Entfernungen überbrücken, analysierten die Meeresbiologen anschließend verschiedene Computermodelle zu den Meeresströmungen in den Seychellen und verglichen diese mit den Gendaten. Dadurch konnten sie die möglichen Reiserouten der Korallenlarven rekonstruieren.

Karte des südwestlichen Indischen Ozeans mit markierten Meeresströmungen und Korallenwanderungen
Karte des südwestlichen Indischen Ozeans mit roten Linien, die das Aldabra-Atoll in den Seychellen mit simulierten Zielen für Korallenlarven verbinden, hauptsächlich in Ostafrika. Durchgezogene weiße Pfeile zeigen große Stromsysteme an, gepunktete weiße Pfeile zeigen kleinere oder vorübergehende Strömungen an.  © Dr Noam Vogt-Vincent

Meeresströmungen verbinden Inseln und Riffe

Das Ergebnis: Meeresströmungen können Korallenlarven tatsächlich über weite Strecken und Umwege zwischen allen Riffen und Inseln in den Seychellen transportieren. Larven vom abgelegenen Aldabra-Atoll werden beispielsweise mit dem sogenannten Ostafrikanischen Küstenstrom Richtung Westen an die afrikanische Küste getrieben. Weitere Strömungen bringen sie von dort entlang der Küste nach Norden. Einige Korallenlarven treffen dann wiederum auf den Südäquatorialer Gegenstrom, der sie wieder ostwärts, zurück zu den Seychellen führt. Über diese Strömungen ist so das ganze Archipel miteinander verbunden.

Ein ganzes Netzwerk von Meeresströmungen fungiert demnach in den Seychellen als „Korallen-Superhighway“ und verteilt die Korallenlarven zwischen den Inseln. Erst dadurch können die Korallen ihr großes Territorium besiedeln und sich dabei austauschen. Die Meeresbiologen sprechen von „einer ‚Bus‘-Route im Uhrzeigersinn für Korallenlarven in der Region“. Die Simulationen legen jedoch auch nahe, dass die Korallenlarven diese langen Etappen nicht am Stück überwinden, sondern entlang des Weges verschiedene Zwischenstopps als Sprungbretter dienen. Demnach verbinden zentral gelegene Riffe in den Seychellen die verschiedenen Inseln miteinander.

App zeigt wichtige Riffe für effektive Schutzmaßnahmen an

Mit diesem Wissen könnten nun gezieltere Maßnahmen zum Schutz der Korallen getroffen werden, damit diese sich wieder erholen und resilienter werden, berichten die Burt und ihre Kollegen. „Diese Maßnahmen können effektiver sein, wenn wir die Verbindungen zwischen Korallenriffen besser verstehen“, sagt Burt. „Beispielsweise können wir Schutzbemühungen rund um jene Korallenriffe priorisieren, die als wichtige Larvenquellen fungieren.“

Welche Riffe dies sind, zeigt eine von den Forschenden entwickelte App, die die Modellierungsdaten und die Reiseroute der Korallenlarven anschaulich darstellt. Um die Korallen vor dem Aussterben zu schützen, seien jedoch weitere Maßnahmen nötig. „Jetzt wissen wir, welche Riffe für die Erholung der Korallen entscheidend sein werden. Aber wir dürfen auch in unserem Engagement, die Treibhausgasemissionen zu reduzieren und den Klimawandel einzudämmen, nicht nachlassen“, sagt Seniorautorin Lindsay Turnbull von der University of Oxford. (Scientific Reports, 2024; doi: 10.1038/s41598-024-55459-x)

Quelle: University of Oxford

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