Frühe Seefahrer: Schon vor über 7.000 Jahren segelten Menschen mit fortschrittlichen Booten über das Mittelmeer, wie Archäologen herausgefunden haben. Davon zeugen in Italien ausgegrabene Relikte von fünf prähistorischen Kanus. Ihre Bauweise legt nahe, dass die Menschen schon zur Jungsteinzeit anspruchsvolle nautische Technologien entwickelt haben. Doch wie sahen die Boote aus und wohin fuhren die Menschen damit?
Ob Minoer, Ägypter, Phönizier oder Karthager: Viele frühe Hochkulturen haben ihren Ursprung an den Ufern des Mittelmeers. Schon während der Jungsteinzeit reisten die Menschen dort über das Wasser und betrieben Handel entlang der Küsten, auch die steinzeitliche Megalithkultur könnte sich mit Seefahrern entlang der europäischen Küsten verbreitet haben. Gestützt wird dies von archäologischen Funden, darunter steinzeitlichen Wracks und Zeugnissen früher Importgüter.
Prähistorische Kanus aus Italien im Visier
Doch wann genau wurden die Menschen der Jungsteinzeit zu versierten Bootsbauern und Seefahrern? Und wie gut waren sie? Das hat nun ein Team um Juan Gibaja vom Spanischen Nationalen Forschungsrat in Barcelona untersucht. Dafür analysierten die Archäologen Relikte von fünf Kanus, die in einer inzwischen von Wasser bedeckten Stätte im Braccianosee in der Nähe von Rom gefunden wurden.
Die Boote stammen aus dem neolithischen Dorf La Marmotta, das einst am Seerand lag und über einen Fluss mit der Mittelmeerküste verbunden war. Die damaligen Bewohner bauten sie, indem sie ganze Baumstämme aushöhlten, wie frühere Studien ergeben hatten. Gibaja und seine Kollegen untersuchten nun, wie strategisch die Erbauer bei ihrem Bootsbau vorgingen, wie die Kanus aussahen und wie alt sie sind. Für Letzteres nutzten sie die Radiocarbondatierung.
Älteste Boote im Mittelmeerraum
Das Ergebnis: Die fünf Kanus wurden etwa zwischen 5700 und 5100 vor Christus hergestellt. Damit sind sie die ältesten bisher bekannten Boote aus der Jungsteinzeit in Europa. „Die direkte Datierung der neolithischen Kanus aus La Marmotta zeigt, dass sie die ältesten im Mittelmeerraum sind“, berichten die Forschenden. „Das bietet uns unschätzbare Einblicke in die neolithische Navigation.“
Die Steinzeit-Kanus waren zwischen fünf und zehn Meter lang, bis zu einem Meter breit und unterschiedlich tief, wie die Analysen ergaben. „Die unterschiedlichen Größen und Formen der Marmotta-Einbäume lassen darauf schließen, dass sie möglicherweise sowohl für Flüsse als auch für die Seefahrt genutzt wurden“, berichten die Archäologen.
Ausgetüftelte Holzkonstrukte
Zudem stellten die Forschenden überraschend fest, dass die fünf Kanus aus unterschiedlichen Baumarten gefertigt wurden. Vier verschiedene Holzarten kamen in La Marmotta zum Einsatz: Eiche, Erle, Pappel und Buche. Damit unterscheiden sich die Boote von ähnlichen Funden aus anderen archäologischen Stätten aus der Jungsteinzeit, die innerhalb eines Ortes meist aus demselben Holz geschnitzt waren, wie Gibaja und seine Kollegen berichten.
Die Erbauer wendeten bei den Kanus auch fortgeschrittene Bautechniken wie Querverstärkungen an. Eines der Boote enthielt sogar drei T-förmige Konstrukte aus Holz, die in die Bootswand eingefügt und mit bis zu vier Löchern versehen waren. Die Archäologen vermuten, dass die Seefahrer damals Segeltaue oder andere nautische Elemente an diesen Vorrichtungen befestigten. Denkbar sei auch, dass dadurch zwei Kanus zu einem Katamaran zusammengefügt wurden.
Kanus belegen technologische Raffinesse
Die untersuchten Kanus seien für prähistorische Boote außergewöhnlich, so die Forschenden. Ihr Bau habe gut organisierte Facharbeiter und ein detailliertes Verständnis der Tragwerksplanung und der Holzeigenschaften erfordert, erklären die Forschenden. Die alten Kanus wiesen zudem Ähnlichkeiten mit neueren nautischen Technologien auf. Eines von ihnen trug beispielsweise einen hölzernen Festmachpoller für ein Seil, der ähnlich geformt war wie die Poller auf heutigen Kais.
Das deute darauf hin, dass in der Seefahrt bereits im frühen Neolithikum viele große Fortschritte gemacht wurden. „Die Studie enthüllt die erstaunliche technologische Raffinesse der frühen landwirtschaftlichen und pastoralen Gemeinschaften und hebt ihre Fähigkeiten in der Holzbearbeitung und dem Bau komplexer Schiffe hervor“, schreibt das Team um Gibaja.
Selbst für lange Strecken seetauglich
Insgesamt legen die Relikte nahe, dass die Kanus damals tatsächlich robust und seetauglich waren, sodass damit weite Strecken auf dem Mittelmeer zurückgelegt werden konnten. Wie ozeantauglich die Kanus von La Marmotte waren, belegen auch experimentelle Fahrten mit Nachbauten der Boote: Mit Segel ausgerüstet legte eines der Teams 800 Kilometer von Italien bis zur Küste Portugals zurück, ein anderes schaffte ohne seefahrerische Vorerfahrungen und allein durch Rudern 50 Kilometer pro Tag, wie die Forschenden berichten.
Untermauert wird dies durch in La Marmotta entdeckte Steinwerkzeuge, die aus dem Gestein nahe gelegener Inseln hergestellt wurden. Als nächstes wollen die Archäologen in La Marmotta nach weiteren Bootsüberresten suchen, um noch mehr über die jungsteinzeitlichen Seefahrer zu erfahren. (PLoS ONE, 2024; doi: 10.1371/journal.pone.0299765)
Quelle: PLOS ONE