Genetik

Stammbaum der Vögel wird neu geschrieben

Genetischer Ausreißer stellt gängige Annahmen zur Vogelevolution in Frage

Vogel
Wie Genomanalysen zeigen, muss der Stammbaum der Vögel umgeschrieben werden. © Daniel J. Field

Fehlerhafte Vögel: Der Stammbaum der Vögel ist in seiner jetzigen Form falsch, wie Genetiker herausgefunden haben. Darauf deutet eine neu entdeckte Basensequenz im Vogelgenom hin, die sich erstaunlicherweise seit dem Aussterben der Dinosaurier nicht verändert hat. Durch sie wurden alle bisherigen Genomanalysen verfälscht – und damit auch Zuordnungen zum Vogelstammbaum. Neben den Vögeln könnte jedoch auch anderen Tiergruppen ein erhebliches Stammbaum-Update bevorstehen.

Als vor 66 Millionen Jahren der Chicxulub-Asteroid auf der Erde einschlug, starben fast alle Dinosauriergruppen aus. Nur eine überlebte: die Vögel. Um ihre Erfolgsgeschichte zu verstehen, versuchen Wissenschaftler schon seit langer Zeit, alle rund 10.000 Vogelarten, die heute die Erde bevölkern, in einen eindeutigen Stammbaum einzuordnen. Seit wenigen Jahrzehnten hilft ihnen dabei auch die Methode der Genomanalyse.

Tauben und Flamingos als Außenseiter

Bislang haben die Analyse von Vogel-DNA und anatomische Studien folgendes Bild von den Verwandtschaftsbeziehungen der Vögel untereinander gezeichnet: 95 Prozent von ihnen gehören zu den „Neoaves“, den sogenannten Neukiefervögeln. Die restlichen fünf Prozent, darunter Laufvögel wie Strauß und Emu, weichen anatomisch von den Neoaves ab und bilden deshalb eigene Gruppen.

Die Neoaves selbst teilt man in zwei große Untergruppen ein: die Columbea, zu denen Tauben und Flamingos gehören, und die Passarea, zu denen praktisch jede andere Neoaves-Art zählt. Diese Gliederung basiert auf einer DNA-Analyse aus dem Jahr 2014, in die die Genome von 48 verschiedenen Neoaves-Arten eingeflossen sind.

Die Stammbäume im Vergleich
Der alte Stammbaum (oben) im Vergleich zum neuen (unten) © Edward Braun

Duell der Stammbäume

Doch als Forschende um Siavash Mirarab von der University of California in San Diego diese Analyse zehn Jahre später mit einem größeren Datensatz von insgesamt 363 verschiedenen Vogelgenomen wiederholen wollten, zeigte sich ihnen auf einmal ein komplett anderes Bild. Statt zwei Neoaves-Gruppen gab es laut Computerprogramm auf einmal vier und außerdem waren Tauben und Flamingos nun nicht mehr in derselben Gruppe, also kaum mehr als weit entfernte Verwandte.

Doch welcher Stammbaum ist der richtige? Um das herauszufinden, haben Mirarab und seine Kollegen nun einen genaueren Blick auf das genetische Erbe der Vögel geworfen. „Als wir uns die einzelnen Gene und den von ihnen unterstützten Stammbaum ansahen, stellte sich plötzlich heraus, dass alle Gene, die den älteren Stammbaum unterstützen, an einer Stelle zu finden sind. Das war der Auslöser für die ganze Sache“, erklärt Seniorautor Edward Braun von der University of Florida.

Basensequenz seit den Dinosauriern unverändert

Die Genomstelle, die für den älteren Stammbaum spricht, ist nach Angaben der Biologen 21 Millionen Basenpaare lang und macht rund zwei Prozent des Vogelgenoms aus. Das Ungewöhnliche an ihr: Sie ist seit dem Aussterben der Dinosaurier gleich geblieben. Normalerweise verändert sich das Genom im Laufe der Zeit durch einen Vorgang namens Rekombination – die Neuordnung der DNA während der Reifeteilung der Zelle.

Dadurch steckt zum Beispiel in jeder Eizelle beziehungsweise jedem Spermium eines Tieres eine andere Genmischung, die an die nächste Generation weitergegeben wird. Deshalb geraten Geschwister auch trotz gleicher Eltern mitunter sehr unterschiedlich. Die Rekombination ist erheblich für die genetische Vielfalt einer Spezies. Dass sich bestimmte DNA-Abschnitte überhaupt nicht vermischen oder neu zusammensetzen, ist daher ungewöhnlich – vor allem wenn dieser Zustand bereits seit 66 Millionen Jahren anhält.

Mirarab und seine Kollegen nehmen an, dass die Rekombination des 21 Millionen Basenpaare langen Abschnitts durch eine andere Chromosomenstelle aktiv unterdrückt wird. Warum das so ist und ob dieser Rekombinationsstopp etwas mit dem Massenaussterben am Ende der Kreidezeit zu tun hat, ist allerdings noch unbekannt.

Genomausreißer verfälschte Stammbaum

In jedem Fall war es jedoch diese ungewöhnliche „eingefrorene“ Sequenz, die Vogel-Stammbaumanalysen in der Vergangenheit verfälscht hat, wie die Forschenden berichten. Da die uralte Region zum Beispiel bei Flamingos und Tauben sehr ähnlich aussieht, wurden sie früher derselben Gruppe zugeordnet, doch der Rest ihres Genoms weist auf ein deutlich entfernteres Verwandtschaftsverhältnis hin.

Bezieht man die Besonderheiten des ungewöhnlichen DNA-Abschnittes bei der Stammbaumanalyse mit ein, dann landet man bei der neuen Stammbaum-Version von Mirarab und seinem Team – der nach aktuellem Wissensstand korrekten Version.

Womöglich auch andere Tiergruppen betroffen

Doch es stellt sich die Frage, ob neben den Vögeln auch die Stammbäume anderer Tiergruppen fehlerhaft sein könnten. Gut möglich, sagt Braun: „Wir haben diese irreführende Region bei Vögeln entdeckt, weil wir sehr viel Energie in die Sequenzierung von Vogelgenomen gesteckt haben. Ich denke, dass es solche Fälle auch bei anderen Arten gibt, die derzeit noch nicht bekannt sind.“ (Proceedings of the National Academy of Sciences, 2024; doi: 10.1073/pnas.2319506121)

Quelle: University of Florida

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