Astronomie

Geheimnis der Zombie-Sterne gelüftet?

Wie die unerklärlich jungen Sterne im Zentrum der Milchstraße entstanden sind

Zentrale Sterne der Milchstraße
Die Sterne direkt am zentralen Schwarzen Loch der Milchstraße zeigen ungewöhnliche, teils unerklärliche Merkmale. Jetzt könnten Astronomen eine Erklärung dafür gefunden haben. © ESO/ L. Calçada/Spaceengine.org

Stellare Wiedergänger: Astronomen könnten herausgefunden haben, warum einige Sterne im Herzen der Milchstraße ungewöhnlich jung sind – und alte Rote Riesen dort weitgehend fehlen. Wie das Team herausfand, kollidieren die schnellen, dicht gedrängten Sterne im galaktischen Zentrum so oft, dass sie kaum Chance haben, alt zu werden. Aus den Trümmern entstehen dann besonders massereiche, scheinbar junge Sternenriesen – eine Art Zombie-Sterne. Und auch weitere Rätsel des Milchstraßenzentrum könnten diese Kollisionen klären.

Im Zentrum unserer Galaxie herrscht ein dichtes und gleichzeitig hochdynamisches Gedränge: Auf engstem Raum rasen dort Sterne mit enormem Tempo um das zentrale Schwarze Loch Sagittarius A*. Innerhalb weniger Lichtjahre bewegen sich so mehr als eine Million Sterne durcheinander. „Es ist, als wenn man versucht, während der Rushhour durch eine überfüllte U-Bahnstation zu rennen“, erklärt Erstautorin Sanaea Rose von der Northwestern University in Illinois.

Zenturm der Milchstraße
Um das zentrale Schwarze Loch (Ausschnitt) der Milchstraße drängeln sich besonders viele schnelle Sterne. © NASA/CXC, Stanford/I. Zhuravleva et al.

Fehlende Roten Riesen und „unmögliche“ Jungsterne

Doch diese innerste Sternenpopulation der Milchstraße gibt Astronomen Rätsel auf: Unter ihnen sind auffällig wenig alte Rote Riesen, dafür deutlich mehr Jungsterne als erwartet. Denn eigentlich müssten die extremen Gezeitenkräfte am Schwarzen Loch die Sternbildung weitgehend verhindern. Dennoch finden sich dort sowohl junge, massereiche Sterne als auch Protosterne, die noch in ihren Staubkokons zu stecken scheinen. Aber wie konnten sie in dieser unwirtlichen Umgebung entstehen?

Auf der Suche nach einer Erklärung haben Rose und ihre Kollegen sich das Gebiet am zentralen Schwarzen Loch noch einmal näher angeschaut. Im Fokus stand dabei die Frage, wie oft es in diesem stellaren Gedrängel zu Sternkollisionen kommt und welche Folgen sie haben. Dafür stellten sie in einem Modell die Bedingungen nach, wie sie in der Zone zwischen 0,03 bis 0,3 Lichtjahren vom Schwarzen Loch entfernt herrschen und ließen dort 1.000 Sterne kreisen.

Rasante Zusammenstöße

Es zeigte sich, dass die Sterne im Galaxienzentrum wie erwartet besonders oft kollidieren. Die Art dieser Zusammenstöße hängt jedoch davon ab, wie weit die beteiligte Sternen vom Schwarzen Loch entfernt sind. In der innersten Zone bis zum Abstand von rund 0,03 Lichtjahren von Sagittarius A* sind die Sterne so schnell, dass sie einander nur streifen oder voneinander abprallen. „Sie stoßen zusammen und rasen dann einfach weiter“, erklärt Rose. „Dabei verlieren diese Sterne einen großen Teil ihrer äußeren Hüllen.“

Diese „beraubten“, massearmen Sterne können dann aus dieser innersten Zone weiter nach außen driften. „Sie bilden dadurch eine Population von seltsamen, massearmen Sternen, die heute im gesamten Galaxienzentrum verteilt sind“, berichten die Astronomen.

Erste Erklärungen

Der Clou jedoch: Diese Kollisionen könnten gleich zwei der Rätsel um die zentralen Sternenpopulationen lösen. Das erste ist der Mangel an alten Roten Riesen: Weil die Kollisionen den Sternen ihre Hülle rauben, können sie sich nicht zum Roten Riesen aufzublähen. „In der Zone bis 0,03 Lichtjahre vom Schwarzen Loch entfernt, treffen die stellaren Kollisionen die meisten dieser massearmen Sterne, bevor sie sich über die Hauptreihe hinaus entwickeln können“, erklären Rose und ihr Team.

Wolke X7
Die stellaren Kollisionen könnten auch Phänomene wie die Wolke X7 erklären. © Anna Ciurlo/UCLA

Das zweite Rätsel ist die sogenannte X7-Wolke. Diese rund 50 Sonnenmassen schwere, längliche Ansammlung von Gas und Staub kreist in einem engen Orbit ums Schwarze Loch und nähert sich ihm zurzeit immer weiter an. Weil die starken Gezeitenkräfte in diesem Gebiet alle Stabwolken schnell wieder auseinanderreißen, muss X7 relativ frisch entstanden sein. Aber wie? Rose und ihr Team vermuten, dass auch diese Wolke auf eine Sternkollision zurückgeht.

„Die Massen, die bei Streifkollisionen oder Beinahekollisionen ausgeschleudert werden, könnten solche Gas- und Staubstrukturen wie X7 im galaktischen Zentrum erzeugen“, berichten die Astronomen.

Massereiche Zombiesterne

Doch das ist noch nicht alles: Rose und ihr Team haben auch eine Erklärung für die Jungsterne und Protosterne am Schwarzen Loch gefunden. Den Schlüssel dazu liefern stellare Kollisionen in einer zweiten Zone, die zwischen 0,03 bis 0,3 Lichtjahren vom Schwarzen Loch entfernt liegt. Die Sterne dort bewegen sich mit nur wenigen hundert Kilometern pro Sekunde deutlich langsamer. Wenn sie kollidieren, reicht ihre Energie daher nicht aus, um zu entkommen – die Sterne verschmelzen.

Das Entscheidende dabei: Diese stellaren Verschmelzungen haben einen „verjüngenden“ Effekt. Wie ein Art Phönix aus der Asche entsteht ein neuer, wasserstoffreicher Riesenstern. „Obwohl sie aus einer älteren Population entstanden sind, erscheinen diese Sterne dadurch jung. In Wirklichkeit sind sie jedoch Zombiesterne: Sie fressen ihre Nachbarn“, sagt Rose. Sie und ihr Team schätzen, dass im galaktischen Zentrum mehr als 100 solcher Zombiesterne mit über zehn Sonnenmassen existieren.

Trümmerwolke statt Protostern-Kokon?

Und auch die rätselhaften G-Objekte – vermeintlich protostellare Staubkokons – könnten auf diese Sternkollisionen zurückgehen: „Eine Verschmelzung zwischen zwei kollidierenden Sternen kann ein fluffiges, G-ähnliches Objekt erzeugen“, berichten die Astronomen. Erst wenn diese glühenden staubigen Trümmerwolken etwas abkühlen und nach rund zehn Millionen Jahren kollabieren, entsteht der „wiedergeborene“ Zombiestern.

Nach Ansicht der Astronomen unterstreichen ihre Ergebnisse, wie sehr Kollisionen die Sterne im inneren Zentrum unserer Galaxie prägen. „Es ist eine Umgebung, wie es sie sonst nirgendwo in unserer Galaxie gibt“, sagt Rose. „Aber wenn wir mehr über diese stellaren Populationen erfahren, kann uns dies auch etwas darüber verraten, wie sich das Zentrum unserer Milchstraße entwickelt hat.“ (Meeting of the American Physical Society 2024; The Astrophysical Journal, doi: 10.3847/1538-4357/acee75)

Quelle: Northwestern University

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