Qualvoller Tod: Unsere jungsteinzeitlichen Vorfahren praktizierten offenbar eine besonders grausame Form der Menschenopfer. Dabei wurden vor allem Frauen getötet, indem man sie fesselte und damit langsam erdrosselte oder ihnen durch schwere Gewichte die Luft abdrückte, wie 7.000 bis 5.500 Jahre alte Grabfunde enthüllen. Möglicherweise wurden die Opfer noch vor ihrem Tod begraben. Wozu diese rituellen Tötungen dienten und wie weit sie wirklich verbreitet waren, lässt sich bisher aber nur vermuten.
Rituelle Tötungen und Menschenopfer waren einst in vielen Kulturen üblich – auch bei uns in Mitteleuropa. Indizien dafür liefern unter anderem Funde im „deutschen Stonehenge“, der Kreisgrabenanlage von Pömmelte in Sachsen-Anhalt. Dort haben Archäologen schon vor einigen Jahren die Skelette von Frauen und Kindern entdeckt, die vor rund 5.300 Jahren im Rahmen von Ritualen in Schachtgruben geworfen wurden – ob tot oder lebendig, ist unklar. Auch anderswo in Europa gibt es Hinweise auf Menschenopfer in den jungsteinzeitlichen Bauernkulturen.
Vom Felsblock erstickt
Eine besonders grausame Form der rituellen Tötung könnten nun Bertrand Ludes von der Universität Paris und seine Kollegen aufgedeckt haben. Anstoß für ihre Studie gab ein rund 6.000 Jahre altes Schachtgrab im französischen Saint-Paul-Trois-Châteaux mit ungewöhnlichem Inhalt: In der tiefen, auf die Sonnenwenden hin ausgerichteten Grube lagen die Gebeine von drei Frauen, deren Körperhaltungen und Positionen zueinander auf einen gewaltsamen und rituell motivierten Tod hindeuteten.
Die erste Tote, eine rund 50 Jahre alte Frau, nahm eine zentrale Position im Grab ein. „Diese Tote war für die mittlere Jungsteinzeit konventionell positioniert“, berichten die Archäologen. Anders jedoch ihre beiden Begleiterinnen: Eine der beiden Toten lag auf dem Bauch und ihr Brustkorb wurde von einem großen Felsblock niedergedrückt. Aufgrund ihrer Analysen gehen die Archäologen davon aus, dass diese Frau durch „positionelle Asphyxie“ starb: Sie wurde getötet, indem ihr aufgrund ihrer eingeklemmten Position die Luft abgedrückt wurde.
„In einer solchen Position ereignet sich der Tod relativ schnell, selbst wenn die Opfer nicht geschlagen oder unter Drogen gesetzt wurden“, erklären Ludes und seine Kollegen.
Durch eine Halsfessel stranguliert
Auch die zweite Frau im Grab starb an gewaltsamem Ersticken, aber in noch grausamerer Form. Ihre gekrümmte Haltung mit stark angewinkelten und nach hinten geknickten Beinen deutet den Archäologen zufolge auf eine erzwungene Selbsterdrosselung hin. „Typischerweise wird das Opfer dabei mit einem Seil um Knöchel und Hals gefesselt“, erklärt das Team. „Durch die erzwungene Position der Beine führt dies unweigerlich zur Selbststrangulation.“ Diese noch heute bei der italienischen Mafia beliebte Tötungsart sei auch in der Steinzeit schon bekannt gewesen.
Im Grab von Saint-Paul-Trois-Châteaux wurden demnach gleich zwei Frauen im Rahmen eines rituellen Kontextes erstickt. Zwar lässt sich allein aufgrund ihrer Gebeine nicht feststellen, ob und wie lange sie noch lebten, nachdem sie in diese Grube gelegt wurden. Die Archäologen halten es aber für durchaus wahrscheinlich, dass diese Frauen noch lebten – und es sich um gezielte Menschenopfer handelte. Als Indiz dafür werten sie die vermutlich hochrangige zentrale Tote im Grab, aber auch die im Umfeld gefundenen Tieropfer, Keramiken und rituell zerbrochenen Mahlsteine.
Fälle aus allen Teilen Europas
Doch der Fund ist kein lokaler Einzelfall: Als Ludes und seine Kollegen nach weiteren Funden von ungewöhnlich positionierten und daher „verdächtigen“ Toten aus der Jungsteinzeit suchten, wurden sie in mindestens 20 Fällen fündig. „Diese Vorfälle positioneller Asphyxie und erzwungener Selbststrangulation überspannen fast 2.000 Jahre der Geschichte und verschiedenste Regionen Europas“, berichten sie. Die Archäologen gehen davon aus, dass die Dunkelziffer hoch ist. „Unsere Zahl ist sicher stark unterschätzt.“
Die frühesten Fälle solcher Menschenopfer und potenziell rituellen Tötungen identifizierte das Team in tschechischen Silo- und Grubengräbern der Linearbandkultur im Tal der Donau. Dort könnten schon vor gut 7.000 Jahren Menschen auf diese Weise getötet worden sein. Auch in Sachsen-Anhalt starb eine Frau vor rund 6.300 Jahren durch langsames Erdrosseln. Die jüngsten Fälle solcher Tötungen ereigneten sich vor rund 5.500 Jahren in Südfrankreich und Nordspanien.
Zweck und Kontext noch rätselhaft
Damit illustrieren diese Funde, dass die Tötung von Menschen durch Ersticken in der Jungsteinzeit ein transkulturelles und überregionales rituelles Phänomen war. Offenbar spielte diese Form der Menschenopfer in mehrere neolithischen Bauernkulturen Europas eine wichtige Rolle. Warum die Menschen damals vor allem Frauen und Kinder auf eine so grausame Weise töteten und was diese Opferungen bewirken sollten, ist jedoch noch ein Rätsel. (Science Advances, 2024; doi: 10.1126/sciadv.adl3374)
Quelle: Science Advances, American Association for the Advancement of Science (AAAS)