Römischer Genuss: Die Kultur des alten Roms ist untrennbar mit dem Genuss von Wein verbunden. Nun ist auch klar, wie dieser einst geschmeckt haben muss. Denn Archäologen haben erstmals die antiken Gärmethoden mit modernen Äquivalenten im heutigen Georgien verglichen. Der Wein der Römer hätte demnach geschmacklich sogar mit modernen Edelvarianten mithalten können. Doch wie genau schmeckte er?
Wein war einst fester Bestandteil der römischen Kultur. Es verwundert daher nicht, dass sich mit dem Römischen Reich auch der Weinbau über Nordafrika und weite Teile Europas bis hinauf nach England ausbreitete. Allerdings war der Wein für die Römer anders als heute kein Genussmittel, sondern vielmehr ein Alltagsgetränk, das verdünnt mit Wasser zu den Mahlzeiten serviert wurde.
Unter anderem deshalb hat römischer Wein häufig den Ruf eines wenig schmackhaften, schlecht hergestellten Getränks. Angeblich sollen die antiken Winzer diese Mängel zu überdecken versucht haben, indem sie dem vergorenen Traubenmost Gewürze, Kräuter und andere Zutaten beimischten. Doch stimmt das wirklich?
Dem Geschmack auf der Spur
Zwar gibt es keine Original-Kostproben des römischen Weines, doch in Georgien leben Winzer, die den Rebensaft immer noch ähnlich herstellen wie einst die Römer. Anders als die meisten modernen Weinhersteller lassen sie den Most nicht in Metall oder Beton gären, sondern in eierförmigen, porösen Tongefäßen, die fast komplett im Boden vergraben werden – den sogenannten Qvevri. Im alten Rom waren ähnliche Gefäße unter dem Namen Dolia im Einsatz. Riesige mit ihnen gefüllte Weinkeller sind zum Beispiel in der Nähe von Pompeji erhalten.
Wie genau sich die Gärung im Tongefäß auf den Geschmack des Weines auswirkt und wie demnach der antike Wein geschmeckt haben muss, haben nun erstmals Dimitri Van Limbergen von der Universität Gent und Paulina Komar von der Universität Warschau erforscht. Dafür verglichen sie die georgischen Gärmethoden mit den Berichten über Weinherstellungsverfahren im alten Rom und ermittelten, wie sich der Gärbehälter auf die späteren Aromen ausgewirkt haben muss.
Nussig und fruchtig
Das Ergebnis: Anders als moderne Gärbehälter erlaubt die poröse Natur von Qvevri und Dolia, dass der Most während seiner Gärung in Kontakt mit Luft kommen kann. Doch dabei ist Vorsicht geboten: „Unkontrollierter Luftkontakt verwandelt Wein in Essig, aber kontrollierte Oxidation kann zu großartigen Weinen führen, weil sie die Farbe konzentriert und angenehm grasige, nussige und getrocknete Fruchtaromen hervorbringt“, erklären Van Limbergen und Komar. Den georgischen Winzern gelingt dieser Spagat, indem sie die Behälter von innen mit Bienenwachs beschichten, bei den alten Römern war es wahrscheinlich Pech aus Kiefernharz.
Noch mehr Aroma steuert die Eierform der Dolia beziehungsweise Qvevri bei. Durch sie bilden sich Strömungen aus dem bei der Gärung freigesetzten Kohlendioxid, die dann wie ein natürliches Pumpsystem wirken. Feststoffe wie Hefen und Schalen werden dadurch aufgewirbelt und langsam mit dem Most vermischt. „Diese kontinuierliche Vermischung in den Behältern bereichert die Textur des Weins und fördert die Gleichmäßigkeit der Gärung und damit die Homogenität des Mosts“, berichten die Archäologen.
Würzige Note durch Hefe
Indem die georgischen Winzer ihre Tongefäße im Boden eingraben, können sie außerdem die Temperaturen kontrollieren, mit denen der Most während der Gärung in Kontakt kommt. Bei modernen Qvevri liegen diese in der Regel zwischen 13 und 28 Grad. Ideale Bedingungen für die sogenannte malolaktische Gärung, bei der scharfe Apfelsäuren in weichere Milchsäuren umgewandelt werden. Das verleiht den georgischen Weinen und somit wahrscheinlich auch der römischen Variante Karamell- und Nussnoten.
Darüber hinaus fördert das Vergraben auch die Vermehrung von Hefen an der Oberfläche des gärenden Mostes, wie Van Limbergen und Komar berichten. Sie bilden dort eine dicke weiße Schaumschicht, die verschiedene Aromastoffe wie Sotolon produziert. Sie verleihen dem Wein einen würzigen Geschmack, der an geröstetes Brot, Äpfel, geröstete Nüsse und Curry erinnert. Um dieses Aroma weiter zu verstärken, fügten die Römer ihrem Traubenmost außerdem Bockshornklee hinzu. Dieser hat ein ähnliches Geschmacksprofil.
Konkurrenz für moderne Edelweine
Mit all diesen nussigen und fruchtigen Aromen ist es nur schwer zu glauben, dass römischer Wein angeblich so mangelhaft geschmeckt haben soll. Van Limbergen und Komar gehen daher davon aus, dass stattdessen genau das Gegenteil der Fall war: Einige römische Weine hätten es wahrscheinlich sogar mit modernen Edelweinen aufnehmen können.
Anders als unsere heutigen Weißweine war der römische Wein aber wahrscheinlich zumeist dunkelgelb bis bernsteinfarben. Das lag am langen Kontakt mit den Traubenschalen und -kernen. Heutzutage erfreuen sich ähnliche Weine unter der Bezeichnung „orange Weine“ wachsender Beliebtheit. Und auch die traditionelle Gärung in Tongefäßen feiert in einigen Teilen Europas, darunter Frankreich und Italien, derzeit eine Renaissance. (Antiquity, 2024; doi: 10.15184/aqy.2023.193)
Quelle: Dimitri Van Limbergen, Ghent University