Kosmische „Geisterteilchen“: Der IceCube-Neutrinodetektor am Südpol hat erstmals kosmische Tau-Neutrinos nachgewiesen – die dritte, bisher noch fehlende Sorte dieser Elementarteilchen aus dem fernen All. Der Nachweis bestätigt damit gängige Modelle, nach denen alle drei Neutrino-Sorten aus energiereichen astrophysikalischen Ereignissen bis zur Erde gelangen müssten. Der Anteil der kosmischen Tau-Neutrinos hilft zudem dabei, das Standardmodell der Teilchenphysik zu überprüfen.
Neutrinos gelten als „Geisterteilchen“, denn diese fast masselosen Elementarteilchen interagieren kaum mit Materie und sind daher nur schwer zu detektieren. Erschwerend kommt hinzu, dass die Neutrinos oszillieren – sie können sich im Flug von einer der drei Neutrinosorten in eine andere umwandeln. Der Anteil der Elektron-, Tau- und Myon-Neutrinos ist dabei je nach Quelle, Entstehungsmechanismus und Wegstrecke unterschiedlich. So entstehen beispielsweise bei Zerfällen in Atomreaktoren vorwiegend Elektron-Neutrinos.
„Dennoch sollten über astrophysikalischen Distanzen hinweg detektierbare Mengen aller drei Neutrinosorten auf der Erde ankommen“, erklären die Physiker der IceCube Collaboration.
Auf der Suche nach dem „Doppelschlag“
Doch gerade Tau-Neutrinos waren bisher Mangelware. Zwar wurde diese Neutrinosorte schon in Teilchenbeschleunigern und nach Neutrino-Oszillationen detektiert. Der eindeutige Nachweis eines kosmischen Tau-Neutrinos stand aber bisher noch aus. Das Problem: Typisch für solche aus dem fernen All stammenden Tau-Neutrinos ist eine besonders hohe Energie von Dutzenden Teraelektronenvolt bis hin zu einigen Petaelektronenvolt.
Solche hochenergetischen Neutrinos werden von Neutrinodetektoren wie dem IceCube am Südpol aber nur sehr selten registriert. Zudem ist die charakteristische Zerfallssignatur der kosmischen Tau-Neutrinos nur schwer von der der Elektron-Neutrinos zu unterscheiden. Anders als die linienförmigen Lichtspuren der Myon-Neutrinos erzeugen diese beiden Neutrinosorten sich kugelförmig ausbreitende Photonenemissionen. Beim Tau-Neutrino entsteht dabei eine Doppelkaskade.
„Diese erscheint als typischer „Doppelschlag“ im ganzen Detektor oder als Doppelpuls-Wellenform in einem oder zwei einzelnen Photodetektoren“, erklären die Physiker der IceCube Collaboration. Allerdings können die Zentren der beiden Kaskaden so dicht beieinander liegen, dass sie wie eine einzige erscheinen.
Sieben Ereignisse aufgespürt
Um diese Probleme zu überwinden, haben die Physiker nun künstliche Intelligenz zu Hilfe genommen. Sie trainierten neuronale Netzwerke darauf, die im IceCube-Detektor erzeugten Doppelkaskaden der Tau-Neutrinos von den Signaturen anderer Neutrinos zu unterscheiden. Dafür lernte das KI-System zunächst mithilfe von simulierten Ereignissen die charakteristischen Merkmale kennen, bevor es dann die Rohdaten von knapp zehn Jahren IceCube-Betrieb zur Prüfung erhielt – sie umfassten Billionen Detektorereignisse.
Das Ergebnis: Mithilfe des KI-Systems spürten die Physiker tatsächlich sieben Ereignisse auf, die höchstwahrscheinlich von kosmischen Tau-Neutrinos stammen. „Diese sieben Ereignisse hatten gemessene Energien von 20 Teraelektronenvolt bis zu einem Petaelektronenvolt“, berichtet das Forschungsteam. Damit liegen sie in genau dem Bereich, in dem man die Zerfallssignatur des Tau-Neutrinos erwarten würde. Und auch die geringe Zahl der Kandidaten-Ereignisse passe ins Bild: „Wir haben vier bis acht Tau-Neutrino-Ereignisse erwartet“, erklären die Physiker.
Alles spricht für Tau-Neutrinos
Nach Ansicht des Teams spricht alles dafür, dass IceCube erstmals kosmische Tau-Neutrinos eingefangen hat. Die Signaturen blieben auch valide, nachdem die Physiker mehrere Tests durchgeführt haben, um falschpositive Signale auszuschließen. Ihren Angaben nach liegt die Wahrscheinlichkeit, dass der IceCube-Detektor keine kosmische Tau-Neutrinos eingefangen hat, bei fünf Sigma – in der Teilchenphysik gilt dies als die für einen Nachweis nötige Schwelle.
„Die sieben Signale haben zudem alle Charakteristiken, die wir für diese Partikel erwarten“, sagt Doug Cowen von der Pennsylvania State University und Mitglied der IceCube Collaboration. Auch andere Forscher halten die Resultate für valide: „Mit diesem Ergebnis ist es nun bewiesen, dass alle drei Neutrino-Flavours aus energiereichen astrophysikalischen Quellen auf der Erde ankommen“, kommentiert David Saltzberg von der University of California in Los Angeles gegenüber der American Physical Society die Resultate.
Zurzeit wird der IceCube-Neutrino-Detektor weitr ausgebaut, um seine Sensitivität zu erhöhen. Die Physiker hoffen, dann noch weitere Tau-Neutrinos einzufangen und zu identifizieren. Dies könnte es ermöglichen, ihre kosmische Quelle genauer einzugrenzen und auch zur Überprüfung des Standardmodells der Teilchenphysik beitragen. (Physical Review Letters, 2024; doi: 10.1103/PhysRevLett.132.151001)
Quelle: Physical Review Letters, American Physical Society (APS)