Evolution

Neuer Stammbaum für die Blütenpflanzen

Genetische Einordnung von über 9.500 Pflanzenarten enthüllt Neues und Überraschendes

Der Stammbaum der Blütenpflanzen war noch nie so genau wie jetzt. © UrosPoteko/ Getty Images

Eine große Familie: Es gibt einen neuen Stammbaum der Blütenpflanzen – er ist umfassender und genauer als alle vorherigen. Dafür haben hunderte Wissenschaftler aus der ganzen Welt den genetischen Code von über 9.500 Pflanzenarten ausgewertet und in ein riesiges Netz aus Verwandtschaftsbeziehungen eingeordnet. Das führte auch zu einigen Überraschungen und Korrekturen dieser größten Landpflanzengruppe auf unserem Planeten, wie das Team in „Nature“ berichtet.

Die ersten Blütenpflanzen haben sich vor über 140 Millionen Jahren entwickelt, vielleicht sogar noch deutlich früher. Seitdem hat die Pflanzenklasse der Angiospermen eine unvergleichliche Erfolgsgeschichte hingelegt: Sie stach etliche Konkurrenten aus, überlebte das Massenaussterben am Ende der Kreidezeit und macht heute mit 330.000 bekannten Arten rund 90 Prozent aller Landpflanzen aus. Die Blütenpflanzen beeinflussen außerdem das Klima, gestalten unsere Ökosysteme und haben sogar zur Entstehung zahlreicher neuer Insekten, Pilze und Vögel beigetragen.

Eine genetische Datenflut

Trotz ihrer großen Bedeutung für das Leben auf der Erde blieb der genaue Stammbaum der Blütenpflanzen lange Zeit eine Blackbox. Schuld daran waren die extreme Diversität der Klasse und zu ungenaue genetische Analyseverfahren. Doch ein fast 300-köpfiges Forschungsteam um Alexandre Zuntini von den Royal Botanic Gardens in London hat sich dieses Großprojekts nun angenommen und den vollständigsten Blütenpflanzen-Stammbaum aller Zeiten erstellt. Er basiert auf 15-mal mehr Daten als alle Versionen vor ihm.

Insgesamt flossen in die Arbeit des Teams rund 1,8 Milliarden Buchstaben des genetischen Codes von über 9.500 Blütenpflanzen-Arten ein. Sie decken circa 60 Prozent aller bekannten Blütenpflanzen-Gattungen ab. Die Proben für die genetischen Analysen stammten dabei vor allem aus unterschiedlichen wissenschaftlichen Pflanzensammlungen und Herbarien.

Proben aus Herbarien
Auch die ausgestorbene Art Hesperelaea palmeri (links) und 200 Jahre alte Proben von Arenaria globiflora haben den Stammbaum mit ihrem genetischen Code bereichert. © RBG Kew

DNA-Code auch seltener Exemplare

Während zu fast 2.000 der untersuchten Pflanzen bereits genetische Informationen in öffentlich zugänglichen DNA-Datenbanken vorlagen, wurden mehr als 800 Blütenpflanzen zum ersten Mal überhaupt genetisch sequenziert. Dazu gehörte etwa der in den Regenwäldern Australiens und Südostasiens heimische Baum Alstonia spectabilis, dessen Inhaltsstoffe gegen Malaria wirken.

Zu den untersuchten Pflanzen-Arten zählten sogar ein paar bereits ausgestorbene, darunter die einst auf Guadalupe heimische Hesperelaea palmeri, die dort zum letzten Mal im Jahr 1875 gesehen wurde. Der Nachwelt bleibt sie lediglich als getrockneter und gepresster Teil einer alten Pflanzensammlung erhalten – bislang zu wenig, um daraus aussagekräftige DNA zu extrahieren.

Genetische Reise in die Vergangenheit

Doch speziell für die Studie gelang es dem Team, gänzlich neue Genomtechniken zu entwickeln, mit denen sich selbst aus getrockneten Proben mit stark beschädigter DNA noch hunderte von Genen gewinnen lassen. Das dürfte der Wissenschaft auch in Zukunft als lange ersehnter Schlüssel dienen, um die weltweit fast 400 Millionen getrockneten Pflanzenexemplare genetisch auszulesen, deren DNA zuvor als unbrauchbar galt.

„Dieser neuartige Ansatz hat es uns in vielerlei Hinsicht ermöglicht, mit den Botanikern der Vergangenheit zusammenzuarbeiten“, sagt Seniorautor William Baker, ebenfalls von den Royal Botanic Gardens. Ein paar solcher Vergangenheits-Kooperationen sind auch in die aktuelle Studie eingeflossen. Unter anderem analysierte das Team eine getrocknete Probe der Himalaya-Gebirgspflanze Arenaria globiflora, die bereits vor rund 200 Jahren gesammelt und archiviert wurde.

Überraschungen im Stammbaum

Neuer Blütenpflanzen-Stammbaum
Der aktualisierte Stammbaum der Blütenpflanzen © Zuntini et al./ Nature, 2024 /CC-by 4.0

Indem Zuntini und sein Team ihre genetischen Erkenntnisse mit 200 Pflanzenfossilien kombinierten, konnten sie den Stammbaum der Blütenpflanzen schließlich so genau zurückverfolgen wie nie zuvor. Dabei offenbarte sich ihnen unter anderem, dass die Blütenpflanzen schon kurze Zeit nach ihrer Entstehung über 80 Prozent ihrer heute existierenden Hauptlinien hervorgebracht hatten.

Zwar flaute dieses Diversifikations-Tempo in den nächsten 100 Millionen deutlich ab, doch vor 40 Millionen Jahren folgte dann offenbar ein zweiter Schub, der mit einem globalen Temperaturrückgang zusammenfiel, wie das Team herausgefunden hat.

Neben neuen evolutionsbiologischen Erkenntnissen ermöglichte es der Stammbaum den Wissenschaftlern aber auch, einige bislang falsch zugeordnete Verwandtschaftsbeziehungen zu korrigieren. So ist die parasitische Pilostyles aethiopica, die in den Zweigen anderer Pflanzen lebt, zum Beispiel anders als gedacht gar nicht eng mit Kürbissen und Begonien verwandt. Und der Baum Medusanthera laxiflora hat wider Erwarten überhaupt nichts mit der Familie der Stechpalmen zu tun.

Medusanthera laxiflora
Der Baum Medusanthera laxiflora ist jahrelang der falschen Familie zugeordnet worden. © Timothy Utteridge/ RBG Kew

Neue Einblicke in Eigenheiten und Arzneiwirkungen

Die Verwandtschaftsbeziehungen der Blütenpflanzen untereinander zu kennen, eröffnet nun zahlreiche neue Forschungsmöglichkeiten. Denn ähnlich wie man die Eigenschaften eines Elementes allein anhand seiner Position im Periodensystem vorhersagen kann, verrät auch die Position einer Pflanzenart im Stammbaum mehr über ihre Eigenschaften und Fähigkeiten.

In Kombination mit künstlicher Intelligenz lässt sich so zum Beispiel viel zielgerichteter als bislang nach Blütenpflanzen mit medizinischem Potenzial suchen und außerdem ermitteln, wie anfällig eine Art für bestimmte Schädlinge und Krankheiten ist. Damit Forschende weltweit sich den Datensatz für diese und viele weitere Zwecke zunutze machen können, haben Zuntini und sein Team ihn frei zugänglich im Internet veröffentlicht. (Nature, 2024; doi: 10.1038/s41586-024-07324-0)

Quelle: Royal Botanical Gardens Kew

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